Stellwerk Magazin

Rezension Tomorrow's parties

Vorwort

Am 16. und 17. Mai 2014 feierte die studiobühneköln ihr 40-jähriges Jubiläum. Anlässlich des runden Geburtstags durfte es an Gästen natürlich nicht fehlen: Das experimentierfreudige Ensemble Forced Entertainment spielte der Studiobühne zu Ehren das Stück TOMORROW’S PARTIES und führte die Zuschauer durch etliche Zukunftsszenarien der Menschheit – Humor und Dystopie inklusive.

Die Studiobühne wurde bereits 1920 gegründet und ist damit das älteste bestehende deutsche Universitätstheater. 1974 erhob die Universität zu Köln die Studiobühne zu einer zentralen Einrichtung, die zwar von der Universität gefördert und unterhalten wird, aber als selbstständiges kulturelles Zentrum fungiert. Seit nunmehr 40 Jahren besteht die studiobühneköln, wie wir sie kennen. Die enge Kooperation von Theater und Universität ermöglicht den Studenten seit Jahren neben kostenfreien Kursen zu den Themen Schauspielerei, Tanz und Film allen Erstsemestern freien Eintritt zu den Theaterproduktionen.

Wenn ein Theater Geburtstag feiert...

Die studiobühneköln feierte 40-jähriges Jubiläum und lud ein. Davon hatten nicht nur Geburtstagskind und Gäste etwas, sondern auch der gemeine Zuschauer bekam sein Schmankerl. Denn die Studiobühne fuhr nicht nur mit Snacks und Drinks nach der Vorstellung auf, sondern auch mit einem Stück, das dem Zuschauer seine Zukunft in nett verpackten Häppchen vorsetzte und ihn durch den Humor zunächst das eigene Schicksal vergessen ließ. Wer noch nicht hier war, sollte die Gelegenheit wahrnehmen, denn jeder, der sich schon mal eine Produktion in der Studiobühne angeschaut hat, weiß, dass sie sich nicht mit klassischen Produktionen zufrieden gibt und dort auch gerne mal experimentiert werden darf.

So auch die britische Gruppe Forced Entertainment, deren künstlerisches Repertoire weit über konventionelle Theaterschauspielerei hinausgeht. Fotografie und Installationen finden sich ebenso wieder wie experimentelle Theaterstücke, die gern mal sechs, zwölf oder 24 Stunden dauern können, in denen Witze erzählt und Zaubertricks vorgeführt werden oder auch spontan ein Fragenkatalog beantwortet werden muss. Besonderen Wert legt das Ensemble bei seinen Projekten auf die Frage, was zeitgenössisches Theater alles sein kann, weshalb auch mal das traditionelle Theatersetting verlassen und der Zuschauer zu einer Stadtrundfahrt mit dem Bus eingeladen wird, wobei die touristischen Informationen jedoch der künstlerischen Freiheit unterliegen. Sicher nicht zu Unrecht kann ihnen der Titel "pioneers of British Avantgarde theatre"1http://www.forcedentertainment.com/page/3056/2009-Press-Release zugeschrieben werden. Besonders bemerkenswert an Forced Entertainment ist die seit der Gründung 1984 bestehende sechsköpfige Stammbesetzung, die ihre Produktionen gemeinsam entwickelt und verwirklicht. Neben Claire Marshall, Cathy Naden, Robin Arthur, Terry O’Connor und Richard Lowdon sticht Tim Etchells besonders hervor, da er neben der Arbeit bei Forced Entertainment seine Kreativität in etlichen Soloprojekten auslebt. 2http://www.timetchells.com

Tomorrow’s Parties: Vielleicht, vielleicht aber auch nicht...

1994 holte die Studiobühne Forced Entertainment im Rahmen des binationalen Festivals theaterszene europa zum ersten Mal nach Deutschland, nun anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der Studiobühne und des 30-jährigen Bestehens von Forced Entertainment waren sie wieder zu Gast – dieses Mal mit dem englischsprachigen Stück TOMORROW'S PARTIES. Wie die meisten Stücke von Forced Entertainment stammen auch hier Idee, Konzept und Text aus der Feder des Ensembles. Produziert wurde es in Kooperation mit verschiedenen Theatern 3BIT Teatergarasjen, Internationales Sommerfestival Hamburg, Kaaitheater, Künstlerhaus Mousonturm, Theaterhaus Gessnerallee und Sheffield City Council. Mit Unterstützung von der Stanley Thomas Johnson Foundation.), insbesondere mit dem Festival Belluard Bollwerk International, wo es 2011 auch Premiere feierte. Wie der Titel schon verrät, verschreibt sich das Stück voll und ganz der Zukunft. Aber nicht irgendeiner Zukunft, sondern der Zukunft der Menschheit. Mit viel Humor wurden dabei unterschiedlichste Möglichkeiten aufgezeigt, wie diese aussehen könnte.

Stichwort: Spekulation

Wird die Welt von einem großen weißen Haus beherrscht? Oder von international agierenden Konzernen? Oder nichts davon? Könnte sich die Gesellschaft nicht etwa zu einem Feudalsystem entwickeln, in dem jeder abwechselnd König und Bauer sein dürfte? Oder liegt es vielleicht einfach jedem frei sich temporär in die Sklaverei zu verkaufen? Vielleicht gibt es ja auch viel zu viele Menschen, vielleicht aber auch gar keine mehr? Vielleicht wird überall Krieg ausbrechen, vielleicht wird Krieg aber auch zum Hobby der Reichen, und nur zu bestimmten Zeiten in bestimmten Gebieten ausgeübt, wie bei Schon- und Jagdzeiten. Dann könnten ebenso auch Essstörungen, Selbstverletzungen und Genmanipulation zum Alltag gehören. An den Wochenenden werden Pillen zur Aggressionssteigerung ausgeteilt und die Menschen verprügeln sich gegenseitig, um die Effizienz an den Arbeitstagen zu steigern. Bleibt vielleicht aber auch einfach alles beim Alten?

All Tomorrow’s Parties

Teilweise unglaublich absurd, teilweise erschreckend nah an der Realität der Gegenwart. Mal elaborierter, mal im schnellen Austausch, mal gemeinsam, mal gegenläufig entwickeln die beiden Darsteller, gespielt von Cathy Naden und Richard Lowdon, derartige Szenarien und stellen sich dabei doch eigentlich nur die Frage nach der nicht allzu fernen Zukunft der Menschheit. Zumindest lässt die Namensgebung dies vermuten. So kann der Titel als Referenz auf William Gibsons Roman "All Tomorrow’s Parties" gesehen werden. Denn auch Gibson beschäftigt sich in seinem Roman mit der nahen Zukunft und als Vorreiter des Cyberpunks insbesondere mit dystopischen Szenarien unter dem Einfluss der Technik.

Im Sinne des futuristischen Themas halten sich Kulisse und Inszenierung minimalistisch zurück. Denn die beiden Hauptdarsteller bewegen sich während der ganzen Performance nicht von ihrem mittig platzierten Stapel aus Europaletten weg – geschweige denn darauf hin und her. Abgesehen von ein paar Gesten mit den Armen überlassen sie die Arbeit vollständig der Sprache. Eingerahmt wird der Palettenstapel im Hintergrund noch von einer fröhlich bunten Lichterkette, die eine entspannte, heitere Atmosphäre kreiert, vor der mit viel Witz die (vermutlich) über kurz oder lang in Richtung Untergang weisende Zukunft des Menschen erzählt wird.

Forced Entertainment schaffen es, den düsteren Beigeschmack der entwickelten Zukunftsvisionen mit einer guten Portion britischen Humors und der Überspitzung ins Absurde zumindest bis nach Vorstellungsende aufzuschieben. Umso beeindruckender erscheint diese Leistung, wenn man bedenkt, dass sich das komplette Stück auf einer Grundfläche von 0,96 Quadratmetern abspielt und auf großartige physische Handlungen verzichtet wird. Darunter leidet leider ein bisschen die Aufnahmefähigkeit aller nicht englischsprachigen Muttersprachler, da die Wechsel von einem Szenario zum nächsten teilweise sehr schnell vonstattengehen. Aber irgendwelche Einschnitte muss der große Einfallsreichtum dieses Ensembles ja mit sich bringen. Ideenlosigkeit kann man ihm jedenfalls nicht vorwerfen.

TOMORROW'S PARTIES gehört zu den Stücken, die begeistern, weil es dem Publikum sowohl abendfüllende Unterhaltung als auch ein ernstes Thema liefern kann. Doch hängt dies auch davon ab, mit welchen Erwartungen man sich das Stück ansieht. Es gehört nicht zu den Stücken, die mit moralischem Zeigefinger aufwarten, aber vielleicht wird dem ein oder anderen dadurch mal wieder erschreckend bewusst, wie viel von den dystopischen Visionen schon in der Gegenwart seinen Ursprung hat. Vielleicht lässt man sich aber einfach nur von den witzigen Episoden treiben. An diesem Abend funktionierte beides.

Fotos: Till Böcker

Die Redaktion empfiehlt passend zu diesem Artikel:

TOMORROW'S PARTIES in der studiobühneköln
theaterszene europa 7.-14. Juni 2014