Stellwerk Magazin

Rezension Schwarzgespinste

Vorwort

Das internationale Festival der Philosophie phil.COLOGNE lud am 24. Mai 2014 zur Diskussion: Was wollte … Heidegger?
 Ein Gespräch mit dem Philosophen und Heidegger-Biografen Rüdiger Safranski und dem Herausgeber der “Schwarzen Hefte” Peter Trawny.
Sabine Geicht war vor Ort und lauschte der Diskussion über die “Schwarzgespinste”.

Schwarz kann nicht einfach nur Un-Farbe sein. Im Selbst gelingt es ihm nicht. Es heißt vielleicht: Kein Farbton sei ihm inhärent; doch dann – woher die Diversität der Emotionen, Urteile, Doktrinen, die von ihm ausgehen und in es zurückschlagen? Und die Vielfarbigkeit ihrer Schattierungen, das kreischende Beißen, wenn sie gegen einander prallen, der sanfte Strom, wenn sie dann leise klingend und abwägend ineinander fließen, sich mischen und wechselseitig wieder erzeugen, um sich danach erneut in ihrer paradoxen Dynamik zu erdrücken, zu verblassen, zu übermalen und letztlich ineinander zu explodieren beginnen? Keine Intensität sei ihm zu eigen; doch dann – woher die ungezähmte Kraft, mit der es in seinen Bann zieht und fesselt, so man sich ihm nähert; woher die Faszination seines Schattenspiels zwischen Nähe und Ferne, in dem es Relationen zum Selbst schafft und in sich einwebt, bis der gordische Knoten sich zugezogen hat und kein Schwert ihn mehr durchzuschlagen vermag? Das unsagbare Loch, das alles verschlingt und in dem die Einzeldinge so zum Alles kulminieren, dass sie gleichsam in vollkommenes Nichts übergehen, wird nicht umsonst ein schwarzes genannt: In ihm wirkt ein Sog als die Kraft des Ganzen, von der selbst das Licht sich nicht lösen kann.

Martin Heidegger, wegen seines NS-Engagements stets umstritten, steht ganz aktuell mit der Herausgabe seiner "Schwarzen Hefte" wieder im Fokus der Aufmerksamkeit. Von 1931 bis Anfang der siebziger Jahre zeichnet Heidegger in vierunddreißig Wachstuchheften Gedanken und Gedankengefüge auf. Es sind seine Denktagebücher jener Jahre. Seit Februar 2014 liegt der fünfhundertseitige Band seiner "Schwarzen Hefte" vor. Dieser umfasst die zahlreichen Notizen, die Heidegger von 1931-1938 zur Aufgabe von Philosophie und zu den Umständen im NS-Staat angefertigt hat. Seit Mitte März erschienen noch zwei weitere Bände.1Martin Heidegger, Gesamtausgabe Band 94: Überlegungen II-VI, Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2014

So wie hier das Licht selbst noch gebannt werden muss, können auch wir uns der magnetisierenden Wirkung des Schwarzen, das als Farbe zutage tritt, nicht entziehen. Nicht umsonst tragen die lange verborgenen Wachshefte mit bisher unveröffentlichten Manuskripten Heideggers letztes Vermächtnis an die Welt, ein Gewand aus tiefem Schwarz. Erst nach seinem Tod sollten sie zugänglich werden – und man kündigte bereits an: Das, was diese Manuskripte enthalten, das werde die Philosophie erschüttern. Erschüttern – das heißt: in Aufruhr versetzen; erzittern lassen; anstelle von Statik Dynamik stiften; zirkuläre geistige Regungen, diskursiv oder subjektiv stets zwischen Bruch und Versöhnung agierend, motivieren und – erzwingen; verkehren und ins Wanken bringen; das heißt also: uns in unserem Sein berühren. Und tatsächlich erhoben sich mit dem Erscheinen der Schriften zahlreiche Aufschreie in der Welt – anklagende wie defensive, den Bruch wie auch Versöhnung suchende. Doch waren sie alle gemeinsam nicht so laut wie die Fragen, die in ihnen mit ihnen schrien. Wie könnten wir uns ihrem Ruf verweigern? Denn wir wissen, dass diese schwarzen Hefte mit ihrem höchst kontroversen Inhalt faktisch vorliegen und nach einer Verhaltung zu ihnen verlangen. Um diese Verhaltung aus unserem Sein gewinnen zu können, machen wir uns also auf den Weg zu ihr. Dieser Weg – er ist ein Weg des Denkens; wir gehen ihn, indem wir eine Frage stellen, die uns – vielleicht, und wenn wir richtig, d.h. nach dem Wesen des Gesuchten fragen – dem, was wir suchen, also dem Wesentlichen dessen, wonach wir fragen, näher und in eine Verhaltung zu ihm bringt. Und die Frage, die unseren Weg leiten soll: Wie könnte sie diesbezüglich anders lauten als –

Was wollte… Heidegger?

Martin Heidegger (1889-1976) ist einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Seine Philosophie übt Kritik an und Distanz von der metaphysischen Tradition. Heideggers Analyse versteht sich als fundamentale Seinsanalyse. Terminologisch operiert er dabei nicht mit den herkömmlichen philosophischen Begriffen "Ich", "Selbstbewusstsein" und "Person", vielmehr ist die Rede vom "Dasein", dem stets schon In-der Welt-sein des Menschen. Das Sein des Daseins ist immer schon als ein Sein-bei einem Seienden verstanden. Nach dem Philosophiestudium arbeitete Heidegger von 1917 bis 1923 als Assistent bei Edmund Husserl, zwischenzeitlich war er Soldat. Nach der Herausgabe seines Hauptwerks "Sein und Zeit“ (1927) wurde er Professor für Philosophie an der Freiburger Universität. 1933 vorübergehend Rektor der Universität und Mitglied der NSDAP. Die alliierten Besatzungsmächte erteilten ihm daraufhin von 1945-1951 Unterrichtsverbot.

An Wanderern, die sich von dieser Frage leiten lassen und sie dabei für sich zu ergreifen suchen wollen, sind viele an diesem Nachmittag in den Balloni-Hallen in Ehrenfeld zusammengetroffen, um sich für ihren ganz eigentlichen Weg von den Reiseleitern vorbereiten zu lassen. Wie die Philosophie vor den Inhalten der schwarzen Hefte erzittern sollte, so surrt auch eine fast unbändige Mannigfaltigkeit an Vor-Verhaltungen zu eben jenen hier durch die Gemüter dieses Publikums, spiegelt sich auf den teils erwartungsvollen, teils angespannten Mienen wider und lässt die Atmosphäre nervös vibrieren. Das Schwarz als Unbekanntes, als Anderes begreifen, in der ihm wesentlichen Tonhaftigkeit und Intensität: Das Un-heimliche, Neue, das unsere Leitfrage in sich birgt, bildet den Grund der Stimmung und schlägt sich in der Befindlichkeit des Einzelnen, den Variationen, letztlich dem Zustand des Ganzen hier nieder. Eine Leitfrage – ein Weg: viele Fragende – viele Anfänge. Wie anders wären sie hier zu bündeln als dadurch, die Frage faktisch zu stellen, den Denkweg, den sie beschreitet, wirklich zu gehen? Die beiden geladenen Disputanten, Peter Trawny und Rüdiger Safranski, in ihrer Diskussion moderiert von Wolfram Eilenberger, lassen sich auf dieses Wagnis ein. Sie laden ein zu dieser unbekannten Reise, deren Ziel nicht allein Verstehen, sondern letztlich – das Denken selbst sein muss.

Behutsam und mit nahezu heiter anmutender Leichtigkeit entspinnt sich bald der Diskurs auf dem Podium. Es gilt, das Dunkel, das sich über Heideggers Namen und jene Farbe wölbt, zu lichten und aus dem so kunstvoll eng gewobenen Netz seines Denkens den Ariadnefaden bergen zu können. Der Suchende trägt den Schlüssel in sich, in seinem eigentlichen Sein. So wird denn eben er alsbald als Ausgangs-, Dreh- und Angelpunkt der Heideggerschen Philosophie definiert: Die grundlegende Differenz zwischen Mensch und Ding, die Erkenntnis, dass jenes "fragile Wesen Mensch“ (Safranski) in der Weise, in der es ist, sein Sein und Wesen stetig vollzieht, sich seine spezifische Auszeichnung und Eigenartigkeit verleiht, bildet demnach das bis heute elektrisierende Faszinosum der Philosophie Martin Heideggers. Zugleich und eben dadurch bildet sie den Grundstein dafür, dass das durch die Subjektphilosophie ehemals vorherrschende Primat des Bewusstseins als Ausgangspunkt des Denkens nun durch das Sein als Da-Sein abgelöst werden kann. Und mit dem Menschen, als Da-Sein begriffen, ordnet der Diskurs nun langsam die so eng verflochtenen begrifflichen Stränge, muss die Philosophie sich doch alsdann gänzlich neue Momente zum Gegenstand nehmen, durch die sie dieses Sein näher begreifen kann und aus dem heraus auch sie näher zu begreifen ist: Das Gespräch bahnt sich langsam seinen verschlungenen Weg. Es erhellt, was als Da-Sein begriffen werden muss, unterscheidet mit Heidegger Seiendes und Sein, umgrenzt die Bedeutung des Zeugs in der Welt und zeigt, wie wir uns zu ihm verhalten können. Es fragt nach dem Sinn von Sein und der Bedeutung des Todes, dem Eigentlichen, dem Fremden, dem In-die-Welt-geworfen-Sein und unserer Begegnung mit dem Nichts selbst, für das uns ein bedeutungsvoller Sinn zu eigen ist. Indem wir diesen Weg mit den Disputanten gehen, auf dem wir achtsam Schritt für Schritt den terminologischen Wegweisern, die Heidegger für uns aufstellt, folgen und die begrifflichen Schemen mit Inhalt schärfen, begreifen wir, was sie für uns bedeuten können:

"Die Erlebnisweise in Situationen ist reicher als das, was man darüber denkt." (Safranski)

Und dieser Reichtum, als das Herz des Denkens Heideggers, ist tatsächlich die Intensität. Der Modus, in dem der Mensch als Da-Sein, als Eigentliches, sich selbst Ergreifendes und aus der Gänze Hervorhebendes, sein Wesen vollzieht. Dies ist bei Heidegger, so stellt Safranski heraus, keine moralische Kategorie, sondern eine der Intensität: Ob er ein Gebot impliziert, nach dem das eigentliche Handeln sich zu richten hat? Prinzipiell nicht. Doch wenn es eines gäbe, das sich aus dem Geflecht hermeneutisch zu erfassender Momente, welche Heideggers Denken konstituieren, faktisch herausdestillieren ließe – so lautete es: „Tu das, was du tust. Aber was du tust – das mache voll!“ (Safranski) Diese Kraft, dieses beinahe prometheische Streben nach Dynamik und Intensität, das dem Sein als eigentliches Da-Sein zugrunde liegen muss, ist es, das Heideggers Philosophie bestimmen und dadurch den Schlüssel zum Durchdringen seiner Existentialontologie bilden muss; und daher wundert es nicht, dass dann auch Trawny die These Safranskis mit aufgreift und ausspricht, was im betrachteten System so vielfach und kunstvoll angelegt ist:

"Heideggers Philosophie ist die Suche nach Intensität." (Trawny)

Wenn sie das ist, und wenn das ihr Wesentliche letztlich diese moralisch indifferente Kategorie ist – dann bleibt jetzt, gerade angesichts der neu erschienenen schwarzen Hefte, danach zu fragen, welche Färbung sein Denken auch mit der Intensität erhält. Eine Frage, die die Disputanten vom Philosophen zum Menschen Heidegger leitet und in Anbetracht derer ihre Einheit im Diskurs zur kontroversen Triade bricht. Gleichwohl kann dieser Bruch nicht als das Auftun einer unüberbrückbaren Lücke von eigener ontischer Qualität, die die Disputanten gänzlich voneinander trennt, beschrieben werden. Vielmehr schärft er Konturen, verleiht dem Gespräch einen immer wieder zwischen Harmonie und Kontrast changierenden Farbenreichtum, schenkt als Möglichkeit der Versöhnung, die auch sein Vorhergehendes ist, argumentativ und inhaltlich Dynamik – und malt so durch die Authentizität aller Höhen und Tiefen der Diskussionsbeiträge ein lebendiges Bild des Heideggerschen Denkens. Jeder der drei konträren Pole, zwischen denen der Bruch sich vollzieht, erhält durch ihn sein Spezifisches, und jeder von ihnen zeichnet sich aus – durch eigene Nuancen und eigenen Ton.

Eilenberger, als Moderator sichtlich intendierend, markante Spitzen zu setzen und die Intensität nun in eine klare Farbgebung zu übertragen, kann in seinen Provokationsbemühungen oft leider nur grob umrissene Schwarz-Weiß-Malerei evozieren. Denn an die fachlich differenzierten und anschaulich-behutsam gesetzten Pinselstriche seiner beiden Disputanten kann er inhaltlich wie formal nicht durchgehend anknüpfen. Allzu oft fällt er in seinen Versuchen, die Disputanten durch die teils phrasenhaft formulierten und vorurteilsbeladenen Wendungen – wie der Tatsachenbehauptung, Heidegger sei bekanntermaßen ein „charakterlich schwacher Mann, der sich gerne wichtig tut“ (Eilenberger) gewesen, oder der ferndiagnostizierenden Vermutung einer „absonderlichen psychopathologischen Störung“ dieses Philosophen – zu polarisierender moralischer Stellungnahme zu bewegen, mehr durch fachlich wie thematisch fragwürdige Beiträge auf. Dies bleibt vor allem deswegen recht unverständlich, da seine Beiträge, sofern sie sich auf systemisch-analytische Diskussionsphasen beziehen und er selbst sich noch in der objektiv betrachtenden Perspektive positioniert, mithin doch von einem fundiertem und fein ausgeprägtem Verständnis der Heideggerschen Philosophie zeugen. Eine Aufrechterhaltung dieses begrifflichen Könnens und jenes zugleich unterhaltsamen wie geschickt im Disput intervenierenden Habitus, die seinen Anteil in der ersten Diskussionsphase tatsächlich auszeichneten, wäre vielleicht durchaus angebrachter und wünschenswerter gewesen. Selbst in seiner extremen Un-Farbgebung liefert er mithin jedoch Material und Kontrast, ein Handwerkszeug aus Schwarz und Weiß, das dadurch dem Diskurs zur Beantwortung der Frage, was Heidegger tatsächlich wollte, bereitgestellt ist und ihm als Ausgangsbasis dienen kann. Denn die Spitzen, die Eilenberger setzt, verfehlen zwar ihre Wirkung, nicht jedoch ihr Ziel: Sie reiben auf, sie polarisieren, sie stacheln zu Zustimmung, zu Richtigstellung, Widerspruch an, erzwingen eine Verhaltung und legen somit die äußersten Pole fest, zwischen denen es kunstvoll auszuloten gilt. Diese Absolutsetzung von schwärzestem Schwarz und weißestem Weiß, die Rahmen und Kern des Disputs abzustecken und damit eben im schärfsten Gegensatz seine Grundmotive zu umreißen weiß, ist der Anteil Wolfram Eilenbergers.

Für feiner nuancierte Schattierungen hingegen, die die Kontraste regulieren und zwischen den Polen Abstufungen, Abwägungen und Mischungen zu installieren fähig sind, zeichnet Trawny verantwortlich. Er differenziert die Begrifflichkeiten, zeigt Analogien und Unterschiede auf, kontextualisiert, von der fachlichen Überzeugung und der technischen Präzision des Herausgebers beseelt, sachlich aufgefasste Denkinhalte und personelle Aspekte Heideggers und stellt dabei in akribischer Genauigkeit Ton für Ton und Schattierung für Schattierung nebeneinander. Die brisante Frage danach, ob Heidegger, nur einer Revolution anhängen konnte, die rechts gerichtet war, führt Trawny anders als der pauschal aburteilende Eilenberger differenziert darauf zurück, dass die Momente des Nationalen und des Sozialen besondere Berührungspunkte mit Heideggers Philosophie aufweisen: Die NS-Bewegung kam den ontologischen und anthropologischen Überzeugungen dieses Denkers in deren Grundmotiven sehr nahe. Trawnys Ausführungen folgen in fein nuancierten gedanklichen Schritten und brechen bei aller entschiedener Bejahung der Frage die Kontradiktion von Schwarz und Weiß in feine, systemisch ineinander gefügte Schattierungen. Dabei bliebe das Gesamtkunstwerk jedoch merkwürdig unvollständig, der Weg der Fragenden drohte oft zu stagnieren. Die Frage „Was wollte… Heidegger?“ verschwämme allzu oft in Richtung der Frage „Was tat… Heidegger?“ Die Antwort auf die Frage möge zwar aus dem Dunkeln geborgen werden, doch verweilte sie im diffusen Spiel begrifflicher Schatten – wäre da nicht ein kreativer Widerpart, der ergänzend und weiterführend zu agieren weiß: Denn wahrlich gelichtet, ent-borgen werden kann sie erst in Trawnys produktiv-harmonischem Wechselspiel mit seinem Gesprächspartner Rüdiger Safranski.

Um dieser Frage und um dem Denken Heideggers also die Qualität als Farbe und eine wirkliche Beseeltheit zu verleihen, sie aus dem Zwielicht herauszuführen und die Richtung, die zu ihr führt, zu einer lebendigen zu machen, verlangt es nun nach dem Weg, den Trawnys Analysen treffend ebnen: das Wesen als eigentlichen Weg des Fragenden zu ergründen. Diese Aufgabe kommt Safranski zu. Ihm gelingt es, die Reisenden als eigentlich reisend Seiende, als höchst selbst in diese Reise Geworfene zu entdecken und die vormals so anonymisiert angelegten Pfade, die Trawnys strukturierende Ausführungen in ihren Konturen im Grau umrissen haben, als ihre eigentlichen, ganz besonderen, und zugleich – als die Denkwege Heideggers selbst zu ent-bergen. Dabei taucht er das Dunkle in ein neues Licht und zeigt, welcher Farbenreichtum dem Schwarzen doch zu eigen sein kann, sobald man sich auf und in es einlässt und das Spektrum in ihm als solches zu verstehen beginnt. Durch direkte, zugleich malerisch-fesselnde und lebensnah-praktische Erläuterungen bleibt es nun nicht mehr einfach als Un-Farbe, als Nichts, von dem abgestoßen sich abzuwenden oder dass es als wissenschaftliches Kuriosum zu sezieren gilt, bestehen: Mit irisierender Leichtigkeit, die bereits in der Annäherung an Heideggers systemische Grundmotive und -relationen jedem das existentielle Herz von dessen Denken zu erschließen vermochte – auch mit erfrischenden Pointierungen wie

"Die Karriere von der Vorhandenheit zur Zuhandenheit kann mit einer Beule verbunden sein" (Safranski)

gewürzt –, wird hier erst vielerlei offenbar, was zuvor hinter terminologischer Dichte und akribisch-wissenschaftlicher Schärfe verborgen blieb: wie genau innovative Denkwege und politische Irrwege miteinander verflochten werden können, auf welche Weise die Mannigfaltigkeit einer Philosophie in wilder, suchender Intensität zu explodieren und sich dadurch letztlich selbst zu verschlingen imstande sein kann und aufgrund welcher Berührungspunkte selbst das am eigensten Sein des Menschen in der Welt orientierte Denken in einem absurden Sehnen nach metaphysischer Revolution zu münden fähig ist, das in einem Fehlengagement für dem eigentlich entgegenstehenden Doktrinen endet. Als Schwarz steht das Schwarze hier nicht vor dem Richter: Es wird nicht verurteilt noch freigesprochen. Was geschieht, ist, dass es nun greifbar gemacht wird – in geistigen Höhen, abgründigen Tiefen: in erschütternd ursprünglicher Farbigkeit.

Dass dies möglich ist, ist letztlich einzig dem Wechselspiel der beiden Hauptdisputanten zu verdanken: Safranski, der die Farben, und Trawny, der die Tiefen definiert. Was in ihrem richtungsweisenden Gespräch langsam erwächst, ist nicht eine Verdrängung des Schwarzen, das gerade die dunklen Kapitel der fachlichen, gedanklichen und persönlichen Geschichte Martin Heideggers beherrscht und in den "schwarzen Heften" seinen Höhepunkt findet. Trawny kann und will es nicht verfälschen, indem er es durch Konturierung abgrenzt oder durch Schattensetzung in ihm wesensfremde autonome Graustufen assimiliert; ebenso wenig unternimmt auch Safranski den Versuch, das Schwarze mit anderen Farben zu übermalen und die ihm eigene Ausstrahlung und Kraft durch die grellen Nuancen anderer Töne zu verdecken. Was hier wirklich geschieht, ist eine authentische und intensive Annäherung, die Schaffung einer eigentlichen Verhaltung zu jenem Schwarzen als Schwarzem selbst – zu den Farben, die es in sich selbst birgt, aus denen es sein Wesen als sein Wesen, seine seinsmäßige Tätigkeit bezieht und die es damit zugleich konstituieren; zu den Abstufungen, die seine notwendige dunkle Diversität und Komplexität begründen und in denen seine diffizile, fesselnde Urdynamik erst wurzelt. Das Schwarz als Schwarz verstehen – dieses Unterfangen duldet keine Verfälschungen; es duldet weder Ignoranz noch Leugnung, noch Exklusion. Und indem wir es verstehen – ergreifen wir damit nicht zuletzt auf wesentlichem Grunde endlich unsere Frage wieder und lernen, was es heißt, zu fragen: Was… wollte Heidegger? Denn der hat sich – wenngleich nach seinem Tode erst – letztlich gegen jenes Schweigen entschieden, das sein Wirken unbefleckt gelassen hätte, und zwar indem er die schwarzen Hefte nicht zerstörender Nichtung anheim gab, sondern sie der Welt letztlich überließ. So entzog er sein Vermächtnis jener beschönigenden Übermalung, die er einst selbst in Gang setzte, aber jetzt – in Einheit mit seinem personellen Andenken – der kritischen Kontroverse preisgibt. Damit hat er uns in der Philosophie das Schwarze um seiner selbst willen zugänglich gemacht, und diesem Wollen entsprechend können Trawny und Safranski, können wir gemeinsam uns als Fragende auf den Weg begeben.

Und in diesem anspruchsvollen Vorhaben zu bestehen, das stellt der heutige Diskurs klar heraus, wird der Philosophie einiges abverlangen. Denn in den berüchtigten Manuskripten verschmelzen bedeutende Grundsteine der Heideggerschen Philosophie mit fragwürdigen antisemitischen Topoi. Diese mögen zwar, so Safranski, einerseits jeglicher Originalität und teilweise auch jeder tieferen Bedeutsamkeit entbehren. Andererseits verlangen sie jedoch auch nach einer gründlichen Analyse und Verortung hinsichtlich ihrer Verwurzelung in und Verflochtenheit mit der fundamentalen Ontologie des großen Denkers. Nur so kann nämlich letztlich bewertet werden, ob tatsächlich gelten kann, was Trawny, auch im Hinblick auf noch ausstehende Publikationen, postuliert:

"Wir haben jetzt einen anderen Heidegger." (Trawny)

Der Ausgang dieser Reise liegt im Ungewissen. Was wollte Heidegger, als er uns die Möglichkeit gab, nach dem Schwarzen als Schwarzem zu fragen? Wohl, dass wir uns auf den Weg dieser Frage begeben. Was wollte Heidegger, als er erst das Schwarze als Schwarzes zum Gegenstand werden ließ? Wir wurden auf den Weg dieser Frage geworfen. Was aber erwartet uns? "Wenn das Dasein die Welt eigens entdeckt und sich nahebringt, wenn es ihm selbst sein eigentliches Sein erschließt, dann vollzieht sich dieses Entdecken von ,Welt‘ und Erschließen von Dasein immer als Wegräumen der Verdeckungen und Verdunkelungen, als Zerbrechen der Verstellungen, mit denen sich das Dasein gegen es selbst abriegelt" 2Martin Heidegger: Sein und Zeit, Darmstadt 2010, S. 129. – so benennt Heidegger selbst, was uns als Suchenden auf dieser Reise des Denkens bevorstehen wird. Ariadnes Faden liegt nun in unserer Hand. Spinnen wir ihn weiter – und folgen wir ihm.

Foto: Timo Müller