Stellwerk Magazin

Ein Nachbericht Was geht mich die Welt an

Vorwort

Vom 3. bis zum 5. Oktober 2014 fand in der Halle Beuel der theatrale Kongress SAVE THE WORLD statt, auf dem Künstler aus Musik, Theater, Performance und Bildender Kunst auf Wissenschaftler und Politiker trafen, um über Weltrettung und Nachhaltigkeit ins Gespräch zu kommen.

Bonn, Anfang Oktober, die Außendependance des Theaters in der Halle Beuel zeigt sich in Festivalstimmung. Nicht die Deutsche Einheit wird gefeiert, wie wohl zu vermuten wäre, sondern die Weltrettung. SAVE THE WORLD, nennen Schauspieldirektorin Nicola Bramkamp und Kuratorin Andrea Tietz ihren dreitägigen theatralen Kongress, bei dem vom 3. bis zum 5. Oktober Künstler aus Musik, Theater, Performance und Bildender Kunst auf Experten in Sachen Weltrettung treffen, auf Wissenschaftler und Politiker.

"Es kostet uns die Welt, wenn wir nichts tun",

lässt Bramkamp schon im Spielzeitheft 2014/15 verlauten, und trotzdem tun wir immer noch zu wenig. Grund genug also, die Katastrophen unserer Tage publikumsgerecht aufzuarbeiten und ein Weltrettungsprogramm in den Köpfen zu festigen. Mit dem Sitz zahlreicher NGOs und Organisationen der UNO ist Bonn nicht zuletzt der prädestinierte Ort für dieses Unterfangen. Das Beueler Gelände einer ehemaligen Jutespinnerei bietet zudem genug Platz – für Informationsstände von Foodsharing, Germanwatch und den Maltesern, für eine Konzertbühne und das Zelt von Superchristina ("How to become a superhero in 20 minutes“), für den Container der Pixelhelper (einer ersten humanitären Live-Hilfsplattform, bei der eine Einflussnahme auf das Hilfsgut möglich ist).

Der Parcours: Sechs Stationen wurden jeweils von einem Künstler und einem Experten gestaltet, jede setzt genau an einem der Probleme an - Hunger, Klimawandel, Katastrophen, grenzenlose Profitgier, Landraub und virtuelle Welten.

Aber man bleibt nicht nur draußen. Das Herzstück des Kongresses bildet der Parcours, untertitelt mit "Eine utopische Expedition", für den das Theater seine Werkstätten öffnet. Die erste der drei geführten Besuchergruppen findet sich zunächst in einer Halle wieder, in der eine Tafel eingedeckt ist, Menükarten werden verteilt. Während die eine Hälfte der Gäste sich mit den Billets ‚zu viel‘, ‚ausgewogen‘ und ‚zu wenig‘ begnügen darf, geht die andere Hälfte – zumeist Frauen und Kinder – leer aus. Die privilegierten Damen und Herren nehmen unter Kronleuchtern und Lampenschirmen Platz, ihnen wird Fleisch, Gemüse, Reis und Quellwasser aufgetischt. Bei denen, die ‚zu wenig‘ haben, reicht es nur noch für eine Glühbirne und einen Löffel voll Reis. Die, die nichts haben, sitzen im Dunkeln um die Tafel herum, blicken den anderen auf die Teller. Vielleicht traut sich deshalb niemand, so richtig beherzt zum Besteck zu greifen; hier wird am Wasser genippt, da ein Stück Hühnchen in den Mund geschoben. Und womöglich macht sich so etwas wie Erleichterung breit, als alle endlich mit einem Kochlöffel und dem Patentrezept gegen den Hunger ausgestattet werden – einer Aufforderung, die eigenen Konsumgewohnheiten zu überdenken und Hilfsorganisationen mit einer Spende zu unterstützen.

Auch an der nächsten Station ist Engagement gefragt. Blickt man dort zur Decke, fühlt man sich kurz an ein Gewächshaus erinnert, auf etwas Grünes muss man nicht lange warten. Es tritt in Form der Sängerin und Regisseurin Bernadette La Hengst auf, die die Tinkerbell des Klimas gibt, ihr Peter Pan ist Nick Nutall, Sprecher des Klimasekretariats der Vereinten Nationen, und in diesem Fall der ‚future climate man‘ aus dem Jahre 2054. In der Zukunft sieht es nicht gut aus für unser Klima, 3 oder 4 Grad Celcius Erderwärmung lassen Katastrophen ahnen, über die Folgen von 5 Grad möchte man lieber gar nicht mehr sprechen. Also wird gesungen – "Say goodbye to lethargy, save the world with this melody.“ Wenn man diese Zeile nur lange genug im Chor trällert, wird auch der Klimawandel gestoppt. Das verspricht jedenfalls die Grafik, der behände entgegen gesungen wird – nach vier Refrains ist wieder alles im grünen Bereich.

Patrick Wengenroth (Becketts "Endspiel" bzw. Angela Merkel) liest aus Millers "Sexus" Patrick Wengenroth liest aus Millers "Sexus"

Weiter geht es zu einer Arbeitsstätte des absurden Theaters. Zwischen Werkbänken, Containern, Farben und Modellen wird Samuel Becketts Endspiel angerissen. Nach wenigen Minuten mutieren Hamm und Clov zu Angela Merkel und Ulrich Deppendorf, die in schönstem Hamburgerisch respektive Schweizerisch noch einmal einen ARD-Brennpunkt zur Atomkatastrophe von Fukushima nachstellen. Aber spätestens beim Satz "Sicherheit geht über alles" brechen Patrick Wengenroth und Prof. Dr. Jakob Rhyner auch aus diesen Rollen aus. Der Künstler hinterfragt die Weltrettung durch theatrale Szenarien, der Experte hält mit dem Argument der positiven Folgen des permanenten medienöffentlichen Drucks auf die Politiker dagegen. Als die 15 Minuten einer jeden Performance vorbei sind, zitiert Wengenroth schließlich aus Henry Millers " Sexus, dass Künstler eine kaputte Welt brauchen, um Kunst zu machen. Ein ganz heiler Planet liefe den Künsten zuwider.

Zombiegesellschaft - Haben und Nichts

Doch selbst, wenn die Erde von Hunger und Katastrophen befreit wäre, blieben da immer noch die Zombies, mit deren Hilfe am nächsten Halt eine Lektion in Sachen Kooperation erteilt wird. Wiederum sind hier die Besucher die Akteure; in kleinen Gruppen müssen sie entscheiden, wie viele der 100 Paletten Notnahrung (Bohnen in Tomatensauce) sie im Falle einer Belagerung durch die Untoten für sich behalten und wie viele sie damit den nachfolgenden Generationen vermachen würden. Auch wenn in der Gruppe nur wenige selbst zu Zombies werden, weiß die Wissenschaft, dass die Bereitschaft des Menschen zur Kooperation unbedingt ausbaufähig ist. Die zu kurzsichtige Menschheit hat zu wenig für Folgegenerationen übrig, notwendig ist deshalb die Institutionalisierung eines globalen Kooperationskults. Verglichen mit der Änderung des eigenen Essverhaltens und dem melodischen Ansingen gegen die Lethargie scheint der Appell hier schon abstrakter.

Ungleich praktisch stellt sich dem der Testversuch Phase #1 entgegen: Ausgestattet mit Kittel, Handschuhen, Schutzbrille, Hammer und Meißel wird der Zuschauer zur Verbesserung des Land-Fußabdrucks gebeten. 4,3 Quadratmeter Asphalt liegen vor ihm – so viel wirtschaftlich genutzte Landfläche wie zur Herstellung einer Tasse Kaffee nötig ist. Sieben Minuten Zeit bleiben zwischen An- und Auskleiden, um die versiegelte Fläche Land für die Natur zurückzugewinnen, doch auch 20 eifrige Arbeiter tragen davon nur einen Bruchteil ab. Statt eines Brockens Asphalt darf man sich folglich auch einen Zweig Bambus als Souvenir mitnehmen, der schafft das Aufbrechen des Bodens nämlich kraft seiner selbst.

Am letzten Ort des Parcours ist es erneut ein Stellvertreter der eigenen Kräfte, der die Rettung des Planeten im Griff hat. In virtuellen Welten verdingen sich Abertausende als Helden im Kampf gegen das Böse. Die Zeit, die dafür aufgewendet wird, ist nicht allzu weit entfernt von dem Quantum, das man zur realen Weltrettung bräuchte, nur lässt sich ein ‚Game Over‘ vor dem Bildschirm wohl leichter verkraften als beim Blick aus dem Fenster. In der zunehmenden Verschränkung von Virtualität und Realität aber sehen Künstler und Experte hier auch gewinnbringende Potentiale. Die Faszination für die Spielewelt und die in ihr immer wiederkehrende Aufforderung "Save the world!“ könnten durchaus in Verantwortungsbewusstsein umschlagen, das konkrete Energien zur Weltrettung bündelt. Um sich dafür zu wappnen, geht es für die Gruppe aus der flimmrigen Videospiel-Atmosphäre zurück nach draußen. Ein letztes Mal wird der Klimatopia-Chor angestimmt, nun im Verbund mit den anderen beiden Besuchergruppen. Danach gönnt man sich eine Schüssel vegane Lauch-Kartoffel-Suppe oder ein Stück faire Schokolade. Das aber macht man zumeist allein, die Masse löst sich schnell auf. Keine geheimen Pläne werden geschmiedet, keiner der Besucher scheint sich Mitstreiter für seine Überzeugungen zu suchen.

Ausdauer braucht es wohl, beim Singen und bei den guten Taten, damit das mit der Weltrettung doch noch klappt.

Zu viel ist vielleicht schon gesagt worden in den vergangenen zwei Stunden, zu viel auch von dem, was man eigentlich weiß und trotzdem nicht umsetzt. Dabei sei gerade das Netzwerken so wichtig für Nachhaltigkeit, betont Publizistin und Kuratorin Adrienne Goehler beim Abschluss-Panel. Solitäre halten nicht nach, wenn nichts mehr ist; was die Welt deshalb brauche, seien Experimente im Netz, Experimente auch zwischen den Strängen der Kunst und Wissenschaft, wie an diesem Wochenende in Bonn zu sehen. Doch hängt der moralische Zeigefinger dabei oft zu hoch, als dass man sich ihm gern beugen würde; die Eitelkeit des Theatergängers ist letztlich nicht zu unterschätzen. Was lange nachhallt, sind die kaputten Gesichter von Regisseurin Alice Buddeberg und Schauspieler Bernhard Dechant, die auch nach 23 Stunden Lesemarathon – Mikrophon und Webcam unentwegt auf sie gerichtet – immer noch 50 Seiten aus Karl Kraus‘ Die letzten Tage der Menschheit (1915-1922) vor sich haben. Ausdauer braucht es wohl, beim Singen und bei den guten Taten, damit das mit der Weltrettung doch noch klappt.

24h-Lesung von Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit"

Fotos: Thilo Beu