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Interview mit Lydia Daher Beruf: Lyrikerin

Vorwort

Lydia Daher, 1980 in Berlin geboren und in Köln aufgewachsen, lebt nun in Augsburg als Lyrikerin und Musikerin. Die studierte Geisteswissenschaftlerin ist unter anderem auch Kuratorin für spartenübergreifende Kulturveranstaltungen (z.B. Brecht Festival Augsburg, Volkstheater München) und an Schulen und Universitäten Dozentin für “Kreatives Schreiben”. Ihre Texte wurden bereits in Anthologien, Zeitschriften und Schulbüchern veröffentlicht. Zuletzt erhielt sie den Bayerischen Kunstförderpreis. Ihre letzte Veröffentlichung ist der Cut-up-Lyrikband “Und auch nun, gegenüber dem Ganzen – dies” (Voland & Quist 2014).

Foto: Gerald von Foris

Wann und wie bist du das erste Mal mit Lyrik in Kontakt gekommen?

Beindruckt haben mich damals die Texte der Beat-Generation. Mit 16, 17 habe ich gemerkt: Okay, Lyrik muss nicht unbedingt nur abgehoben akademisch sein. Sie kann auch ganz nah am Leben sein. Außerdem war ich schon immer sehr an Songtexten interessiert. Mittlerweile lese ich alles Mögliche an Lyrik, quer durch die Zeiten, Stile, Nationen.

Wie bist du auf die Idee gekommen aus ausgeschnittenen Wörtern von Literaturkritiken deutscher Tageszeitungen Gedichte neu zusammen zusetzen?

Ich habe ein Buch von dem Berliner Autor Jochen Schmidt gelesen: Schmidt liest Proust. Er hat ein Jahr lang jeden Tag 50 Seiten aus Prousts Werk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit gelesen und darüber einen Blog-Eintrag verfasst. Daraus ist dann ein ziemlich dickes Buch geworden. Ich habe mich beim Lesen gefragt, ob ich es schaffen würde, zumindest einmal in der Woche ein aufwendiges literarisches Konzept zu verfolgen. Und da kam ich dann auf die Idee mit den Collagen, weil mich diese Technik sowieso schon lange interessiert hat. Mir war klar, dass ich das Material irgendwie eingrenzen muss. Also dachte ich, ich kaufe mir jede Woche eine Zeitung und nehme mir Bildmaterial und eine Literaturkritik vor. Das war der Rahmen, aus dem ich viel machen konnte, wie ich im Laufe der Arbeit bemerkt habe.

Wie sah die Arbeit an den Collagen denn konkret aus?

Manchmal habe ich den Zugang zuerst über das Bildmaterial, dann wieder über die Wörter gefunden. Im Arbeitsprozess gab es immer ein Wechselspiel zwischen Bildern, Wörtern und dem, was mich persönlich umgetrieben hat. Teilweise habe ich einzelne Wörter gezielt herausgeschnitten, manchmal aber auch den Artikel vollkommen auseinandergenommen und dann geschaut, was beim Durchschütteln passiert. Manchmal habe ich zuerst die Bildcollagen entworfen, manchmal die Texte, dann wieder ist beides parallel zueinander entstanden. Es war immer anders.

Bist du etwa mit der Intention an die Arbeit eines neuen Cut-up Gedichtes gegangen, heute eins über das Thema Liebe zu "schreiben", oder kam die Idee zum Gedicht erst mit dem Ausschneiden?

Die Ideen kamen und entwickelten sich bei der Arbeit. Und es hat mich immer wieder überrascht, wie nah die Texte und Zeilen, die entstanden sind, an mir und meinem Leben und auch an meinem "poetischen Ton" dran waren, dass man etwas so Eigenes aus dem vorgefundenen Material machen kann.

Wie kam es, dass aus ursprünglich 52 geplanten Collagen über 150 wurden und im Buch dann 101 veröffentlicht wurden?

Es sind mehr geworden, weil die Arbeit so spannend war und ich manchmal gar nicht mehr aufhören konnte. Und weil ich beim Arbeiten an einer Collage schon oft die Idee für die nächste entwickelt habe. Es war ein sehr dynamischer Prozess. Für das Buch wollte und musste ich dann aber eine Auswahl treffen, auch wenn mir diese schwer fiel. Ich habe mich letztendlich für die Blätter entschieden, deren Bild-Text-Kombinationen meiner Meinung nach am stimmigsten waren und im Zusammenspiel das größte Potential entfaltet haben.

© Lydia Daher

In einer Rezension ist zu lesen, dass in deinen Collagen "unterschwellig eine große Aggressivität und auch Schmerz zu spüren"1Zitat von fixpoetry sei? Stimmt das?

Ich glaube, dass in dieser Arbeit alle möglichen Gefühlslagen und Gedanken abgebildet sind, die ich innerhalb eines Jahres so hatte. Mit Sicherheit waren auch Wut und Schmerz dabei, gerade auch in der Auseinandersetzung mit dem Tagesgeschehen. Wenn man mit einer Tageszeitung arbeitet, wird man ja zwangsläufig mit allerlei Mist konfrontiert.

Würdest du sagen, dass du durch die Arbeit an den Cut-up Gedichten einen anderen Blick auf Literatur gewonnen hast, vielleicht sogar in allem Geschriebenen ein Gedicht siehst, solange man es nur auseinanderschneiden und wieder richtig zusammenkleben kann?

Natürlich bleibe ich ständig an gedruckten Worten und Sätzen hängen, die ich interessant finde und die mich ansprechen. Doch es geht derzeit nicht so weit, dass ich wieder ein neues Gedicht daraus mache. Ich war im Dezember schon etwas wehmütig, als sich das Projekt gen Abschluss bewegte, aber dann musste das Buch fertiggestellt werden, darauf folgte die erste Ausstellung, Lesungen, und dann standen auch schon die nächsten Projekte an. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass es mich demnächst mal wieder packt.

Was begeistert dich so sehr an der Poesie und warum hast du dich entschieden Lyrik und nicht etwa Romane zu schreiben?

An Lyrik begeistert mich, dass sie den Blick auf die Welt verändert. Man kann poetisches Material und Potential überall entdecken. Und wenn ich dann anfange ein Gedicht zu schreiben, weiß ich nicht, wo ich am Ende lande. Das Ergebnis ist immer überraschend. Deswegen ist der Prozess für mich auch das Interessanteste. Und solange ich nicht die Geschichte habe, die ich unbedingt erzählen will, und von der ich denke, dass sie nur in "prosaisch" umzusetzen ist, werde ich das auch nicht tun.

Du arbeitest auch als Sängerin. Was ist für dich der Unterschied zwischen einem Songtext und einem Gedicht?

In der Lyrik stehen die Worte alleine da und müssen auch alleine bestehen können, wohingegen Songtexte von der Musik mitgetragen werden. Das macht einen gewaltigen Unterschied. Ich reime mehr, wenn ich für Musik schreibe. Es gibt einige Verschiedenheiten und Besonderheiten, aber das würde hier den Rahmen sprengen.

Wie sieht der Beruf der Lyrikerin aus?

Die meisten Lyriker haben ein ziemliches Patchwork-Berufsleben. Nur vom Schreiben und Veröffentlichen kann keiner leben. Viele übersetzen nebenher, arbeiten als Dozenten, Kritiker, Kuratoren. Dann kommen Auftritte hinzu, Preisgelder, Stipendien etc. Bei mir ist das nicht anders. Ich arbeite ziemlich viel, aber unterm Strich spielt die Auseinandersetzung und Arbeit mit der Sprache bei allem eine entscheidende Rolle.

© Lydia Daher

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