Stellwerk Magazin

Theatralfilm-Festival Part I Raum

Vorwort

Das Theatralfilm-Festival vom 7. bis 9. November 2014 in der studiobühneköln ist dem Film gewidmet, der nicht bloß dramatische Texte verfilmt oder Theateraufführungen abfilmt, sondern strukturelle Elemente des Theaters aufgreift und in den Film transferiert. Diskussionen, Kurzfilme und ein Langfilm widmeten sich am ersten Festivalabend dem strukturellen Element Raum.

Credits: Dogville, Concorde Film

Gedreht werden darf nur vor Ort, die Verwendung von Requisiten und Kulissen ist nicht zulässig 1Vgl. http://pov.imv.au.dk/Issue10/section1/artc1A.html#i2, zuletzt eingesehen am 8.11.2014, Übertragung ins Deutsche: Lena Hintze., verschriftlichten die dänischen Filmemacher Lars von Trier und Thomas Vinterberg den ersten Punkt in ihrem Keuschheitsgelübde des Dogma 95-Manifests für die Produktion von Filmen. Das erklärte Ziel der Bewegung war es, 'bestimmten Tendenzen' im zeitgenössischen Illusionskino Hollywoods entgegenzuwirken, der technischen Verkünstelung Einhalt zu gebieten. Als besonderes Experiment aus der Reihe von Filmen, die sich dem Manifest verschrieben und zugleich doch nie alle Regeln des Gelübdes eingehalten haben, darf von Triers "Dogville" (2003) gelten. Allenthalben begegnet man der Umsetzung des Stoffes auf der Theaterbühne, jüngst im Schauspiel Frankfurt (Regie: Karin Henkel) und in der Interimsspielstätte des Schauspiel Köln (Regie: Bastian Kraft). Gestern aber wurde wiederum bewusst das Original auf die Leinwand gebracht.

Neue Plattform für den theatralen Film

Theatralfilm heißt das Festival, in dessen Rahmen "Dogville" zur Aufführung kommt – eine Plattform, die sich erstmals dem theatralen Film widmet, dessen strukturelle Nutzung von Elementen des Theaters herausstellt. In "Dogville" ist dies vor allem das Element des Raumes. Die Häuser und Straßen des Dorfes in den Rocky Mountains bestehen nur als Umrisse, sie sind minimalistische Zeichen auf schwarzem Grund. Ein Innen und ein Außen gibt es zwar für die Charaktere des Filmes, für den Zuschauer hingegen sind die Wände nicht als Wände existent; er befindet sich in der Macht- womöglich auch Ohnmachtposition, alles sehen zu können. Dieser Mikrokosmos der Theaterbühne wird im Film nicht verlassen.

Ein neues Dogma

18 Jahre nach Dogma 95 legen auch die Dortmunder Theatermacher Kay Voges und Alexander Kerlin ihrer Adaption von Vinterbergs "Das Fest" (1998) ein Regelwerk zugrunde. "Gewissen Tendenzen in der zeitgenössischen darstellenden Kunst entgegenzuwirken" 2Dogma 20 _ 13 Gründungsmanifest, S. 1, abrufbar unter: www.theaterdo.de/uploads/events/downloads/DOGMA2013.pdf, zuletzt eingesehen am 8.11.2014., ist nun die Absicht. Voges, der als Eröffnungsredner des Festivals in der studiobühne fungiert, ruft eine gemeinsame Zukunft von Theater und Film aus: das Kino der Zukunft sei live, der Film erfahre seine Auferstehung im Theater. Entsprechend lautet die erste Regel des Keuschheitsgelübdes von Dogma 20 _ 13: "Die Dreharbeiten dürfen nur dort stattfinden, wo Zuschauer anwesend sind!" 3Dogma 20 _ 13 Gründungsmanifest, S. 2, abrufbar unter: www.theaterdo.de/uploads/events/downloads/DOGMA2013.pdf, zuletzt eingesehen am 8.11.2014). Voges will die Montage den Köpfen des Publikums überlassen, nicht den Händen der Filmcutter; Schauspieler sollen wieder die Macht über die Bilder bekommen. Um den gewöhnlich manipulierten Blick des Zuschauers aufzubrechen, sei es nötig, an Oberflächen zu kratzen, den digitalen Fehlern nachzuspüren, so Voges weiter. Seine Vision von einer Geschichte, die aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt wird, setzt er in Dortmund erfolgreich mit mehreren Live-Kameras um. Ist das noch Theater? Ist das schon Film?

Eröffnungsrede Theatralfilm-Festival, Kay Voges | Foto: Horst Baumann

Zum Verhältnis von Film und Theater

Bereits bei der 'inoffiziellen Eröffnung' des Theatralfilm-Festivals kraft einer Podiumsdiskussion am Nachmittag treffen – ganz im Sinne des Festivalthemas – Vertreter beider Disziplinen aufeinander. Sibylle Dudek, Dramaturgin der "Dogville"-Inszenierung am Schauspiel Köln sitzt neben dem Filmwissenschaftler Peter Scheinpflug, ergänzt wird die Runde durch Oliver Franke, der im intermedialen Bereich zwischen bildender und darstellender Kunst forscht. Vom naturalistischen Spiel im Gegensatz zum theatralen Setting in "Dogville" ist die Rede, und dass gerade diese Kollision den Reiz ausmache. Dudek weiß von den spezifischen Anforderungen der Mülheimer Industriehalle zu berichten, die dem Drehort des ursprünglichen Filmes nicht ganz unähnlich sei; analog zu Voges Ausführungen produziert auch die Kölner Vorstellung an jedem Abend eine Art Live-Film. In welchem Verhältnis Theater und Film dann noch zueinander stehen, wird gefragt, und was beide Seiten durch die Intermedialität eigentlich gewinnen können.

v.l. n.r.: Oliver Franke, Dr. Peter Scheinpflug, Sibylle Dudek, Alexander Weinstock | Foto: Horst Baumann

Zeichensystem 'Raum'

Expliziert werden die Fragen an diesem Abend nicht nur anhand des Langfilmes "Dogville", sondern auch mittels mehrerer Kurzfilme, die das Zeichensystem Raum in besonderer Weise vergegenwärtigen. Robert Gwisdek beispielsweise wird ein Raum zum Verhängnis, in dem die beiden abgehenden Türen in den Raum selbst führen. Wieder und wieder stolpert er durch eine Tür in den Raum, den er durch die andere Tür zu verlassen hoffte, er hängt in einem Kreislauf – so eine mögliche Übersetzung des Filmtitels "Circuit" – fest. An den kommenden beiden Abenden sollen jeweils die Elemente Zeit und Spiel in theatralen Filmen in den Fokus rücken. Wiederum bilden ein Artist-Talk und eine Podiumsdiskussion, Kurz- und Langfilme den Nährboden für Gespräche rund um die Interräume Theater und Film, um deren gegenseitige Inspirationen und die Frage danach, ob eine Abgrenzung zwischen beiden Medien nicht längst überholt ist.

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