Stellwerk Magazin

Buchmesse RUHR | RUHR Kitap Fuarı Was nützt mir die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann

Vorwort

Im Rahmen der deutsch-türkischen Buchmesse Ruhr im Belgischen Haus in Köln stellte Ece Temelkuran (geb. 1973 in Izmir) am 5. November 2014 ihren ersten ins Deutsche übersetzten Roman “Was nützt mir die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann” (2014) vor. Moderiert wurde die Lesung von Dr. Hannes Krauss, Dozent für Germanistik und Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen, übersetzt von Melek Korkmaz. Caroline Wirth war für die Rezitation zuständig.

Journalistin, Aktivistin, Romanschreiberin

Ece Temelkuran wurde vor allem durch ihre kritischen politischen Kolumnen und Artikel bekannt. Sie erhielt unter anderem den vom deutschen Staat verliehen Preis für die beste Journalistin des Jahres (1996) und den Pen for Peace Award des Journalisten Verbandes (2001). Ihr kritischer Journalismus führte in ihrem eigen Land allerdings zur Entlassung: Sie verlor 2011 ihren Job bei der Zeitung "Habertürk"1http://www.ecetemelkuran.com (9.11.2014).. Auf die Frage, warum sie heute weniger dem Journalismus als der Literatur zugewandt sei, antwortet Temelkuran: "Desto mehr man kämpft, desto mehr ähnelt man dem Kampf." Sie wolle solche Kämpfe mit Männern nicht mehr ausführen, denn diese würden irgendwann von der Bühne verschwinden, aber das, was sie im literarischen Schreiben ausdrückt, würde bleiben. Sie möchte einfach nicht mit den Antworten im Gedächtnis bleiben, die sie diesen Männern einmal gegeben habe. Bereits in einer früheren Aussage hatte Temelkuran betont, der Journalismus habe die Funktion, Ärger auszudrücken, die Literatur diene hingegen dazu, Ärger loszuwerden. Ihre Entscheidung, Literatur zu schreiben ist damit eine bewusste. Sie sei, so Temelkuran, nicht aus dem Gefühl der Angst, sondern aus dem der Enttäuschung hervorgegangen. Sie verarbeite politische Ereignisse daher über die literarische Sprache.

"Was nützt mir die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann"

Kritik am Journalismus zeigt sich auch in ihrem Roman "Was nützt mir die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann". In Tunis treffen vier Frauen aufeinander: die Ich-Erzählerin, eine arbeitslose Journalistin, Amira, Tänzerin und Aktivistin, Maryam, Wissenschaftlerin und Muslima und die alte Dame Madame Lilla. In einem weißen Mercedes machen sie sich gemeinsam auf die Reise nach Beirut. Journalismus-Kritik wird nicht nur durch die Ich-Erzählerin deutlich, sondern auch etwa, wenn in einer Passage, die vier Frauen einer übermütigen CNN-Reporterin Lügen über al-Gaddafis Sohn Saif al-Islam erzählen, die dann auch vonseiten der Reporterin nicht weiter hinterfragt werden. Der Roman ist vielschichtig. Er ist weder ausschließlich medienkritisch noch ausschließlich politisch. Die Erzählung, die stellenweise an einen Road-Movie erinnert, thematisiert weibliche Selbstbehauptung, weibliche Bildung und damit nicht zuletzt auch weibliches Erzählen. "Die mutigen Frauen, von denen ich erzähle, haben mir viel beigebracht über das Leben – in einer reinen Männerwelt geben sie nicht auf, fordern ihre Rechte ein."2Pressematerial: http://www.hoffmann-und-campe.de/autoren-info/ece-temelkuran/ (10.11.2014)

Caroline Wirth und Ece Temelkuran, Belgisches Haus Köln, November 2014 | Foto: Sabriye Türker

Weibliches Erzählen in Kreisen

Dieses weibliche Erzählen verläuft, so Temelkuran, in Kreisen, denn so würden Frauen nun mal erzählen. So erklärt sich auch, warum jedes Kapitel zunächst mit einer Action-Szene startet, dessen Logik erst nachgeliefert wird. Die Kreise ihrer Erzählungen und die der Protagonistinnen schließen sich immer erst zum Ende eines Kapitels. Auf Krauss' Frage, warum man trotz der wenigen männlichen Identifikationsfiguren den Roman möge, weiß die Autorin keine konkrete Antwort. Ihre Konstruktion 'konturloser' Männer diene aber dazu, Frauen nicht länger Illusionen auszusetzen. Ihr Wunsch für die Zukunft sei, dass jemand einmal eine Abschluss-Arbeit zu der Frage "Warum sind Männer in Ece Temelkurans Romanen immer in der Ferne?" schreibt.

Lachen als Medizin

Trotz dieser ernsten Fragen politischer und geschlechtsspezifischer Art, die nicht nur das Publikum, sondern auch die Autorin selbst stellten, gab es auch amüsante Momente. Insbesondere Temelkuran war zum Scherzen aufgelegt. So war ihre erste Reaktion auf Krauss' Frage, warum er den Roman trotz fehlender männlicher Identifikationsfiguren möge, dass er wohl die Frauen zu sehr liebe. Zudem machte sie gerade für Krisenländer den Wert von guten Freunden stark – von Freunden, mit denen man sogar über den eigenen Tod lachen könne. Zudem bereut die Autorin, nicht mehr über die Kurden und ihre Witze geschrieben zu haben und erzählt zum Ende der Lesung selbst einen Türkenwitz. So entlässt sie nach einer langen ernsten Fragenrunde ein lachendes deutsch-türkisches Publikum in den Abend.

Fotos: Sabriye Türker (v. l. n. r. : Caroline Wirth, Ece Temelkuran, Melek Korkmaz, Hannes Krauss)