Stellwerk Magazin

POETICA I - Pia Tafdrup Das Neugeborene

Vorwort

Das erste Kölner Festival für Weltliteratur, die POETICA I eröffnete am 26.01.2015 an der Universität zu Köln. Es bildet den Auftakt für eine vom Internationalen Kolleg Morphomata der Universität zu Köln und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gemeinsam geplante Veranstaltungsreihe mit jährlich wechselnden Themen. In diesem Jahr geht es um DIE MACHT DER POESIE.

Kuratiert wird das Festival POETICA I von Michael Krüger, einer der prominentesten deutschen Autoren und Verleger. Er hat dazu renommierte Lyriker und Lyrikerinnen aus aller Welt nach Köln eingeladen: Yeşim Ağaoğlu aus der Türkei, Jürgen Becker und Marcel Beyer aus Deutschland, John Burnside aus Großbritannien, Lars Gustafsson aus Schweden, Yang Lian aus China, Aleš Šteger aus Slowenien, Pia Tafdrup aus Dänemark und Adam Zagajewski aus Polen.

In Lesungen in ganz Köln (in der Universität, der Stadtbibliothek, im Literaturhaus, dem Deutschlandfunk, dem Belgischen Haus und dem Schauspiel Köln) soll diese “Macht” inszeniert und diskutiert werden.

Dass das Leben Faszinosum und Katastrophe zugleich sein kann, davon erzählt Pia Tafdrup in nur wenigen Worten. Ihr Gedicht erzählt von einem Gefühl namens Freude, das nach einer lange Phase der Trauer zum Fremden wird. Dieses verbotene Gefühl, das sich nun wieder Zutritt verschaffen will. Nur widerwillig lassen wir es zu, fühlen uns wie Schmuggler, der unerlaubte Ware einführen. Der Weg führt durch einen schmalen Tunnel. Nur langsam lüftet sich der dunkle Schleier der Trauer. Mit wachsender Inbrunst treten wir ihr entgegen, ertränken sie auf hoher See und vergraben sie tief in der Erde – endlich nach tausenden von Jahren geht die Sonne wieder auf.

Joy ist das erste Gedicht aus Tafdrups aktuellen Gedichtband Salamander Sun. Sie veröffentlichte es zu ihrem sechzigsten Geburtstag im Jahr 2012. Ein Band voller Erinnerungen, denn die Dichterin widmet jedem ihrer Lebensjahre ein Gedicht. Beginnend mit den ersten Entdeckungen und Erlebnissen der Welt, erzählt Salamander Sun von den Möglichkeiten und den Herausforderungen des Lebens. Es erzählt aber auch vom Älterwerden und davon, wie die Zeit ihre Spuren im Leben hinterlässt.

Joy endet mit der nüchternen Feststellung, dass eben jenes Leben seine Bedeutung erst durch den Tod erhält. Einen Anlass zur Freude scheint diese Feststellung nicht zu geben. Doch Tafdrup macht auf das aufmerksam, was die meistens Menschen in dieser Aussage übersehen: ihre Umkehrbarkeit. Wenn Leben Tod bedeutet, bedeutet Tod auch Leben. Der Tod setzt ein Ende, aber ein Ende ist immer nur die Folge eines Anfangs und so wie das Ende dem Anfang unaufhörlich folgt, so lässt sich nach jedem Ende auch immer ein Neuanfang setzten. Es ist das Spiel mit den Kontrasten, die in ihrer Polarisierung zeigen, dass aus Kummer so etwas wie Freude geschöpft werden kann und umgekehrt.

Wie ein Neugeborenes bewegt sich die Freude in der Welt. Sie nimmt Gerüche wahr, die sie vorher schon kannte. Vielleicht von schnaubenden Pferden in der Scheune? Sonnenstrahlen erwecken sie aus ihrem Schlaf. Fasziniert verfolgt sie ihr Schattenspiel auf der Tapete. Auch bei Tag zeigen sich noch Spuren der Nacht: kein Licht ohne Schatten und kein Schatten ohne Licht. Hinter der Wand ertönen die Stimmen und das Lachen der Erwachsenen. Dort wartet er, der sichere Landeplatz, jenseits der Schatten. Gefühle, die urplötzlich in ihr Gegenteil umschlagen. Die Furcht ist dem Vertrauen immer auf den Fersen, Kummer ist der ständige Verfolger der Freude. Doch die Freude ist ihr immer einen Schritt voraus: first is joy – das gibt doch Hoffnung.

(c) Isak Hoffmeyer (c) Isak Hoffmeyer //////////////////////////////////////// Pia Tafdrup (geb. 1952) ist dänische Dichterin und Schriftstellerin. 1981 brachte sie ihren ersten Gedichtband Nar der gar hul pa en engel (When an Angel Breaks Her Silence) heraus. Zahlreiche mehr folgten in den kommenden Jahren, sodass Tafdrups Oeuvre bis dato fünfzehn Gedichtbände umfasst. Zu ihren Werken zählen ebenso zwei Theaterstücke und der Roman Hengivelsen (Surrender), mit dem sie 2004 den Schritt in die Prosaliteratur wagte, ihm folgte der Roman Stjerne uden land (Star without land). 1999 erhielt sie den Literaturpreis des Nordischen Rates – Skandinaviens renommierteste Auszeichnung für Schriftsteller. 2006 ehrte sie die Schwedische Akademie mit dem Nordischen Preis. Ihre Gedichte wurden bereits in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Am 29.01.2015 erschien ihr Gedichtband Salamander Sol (Salamander Sun and other poems) in englischer Sprache (Bloodaxe Books 2015).

Joy-Pia Tafdrup

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