Stellwerk Magazin

Festival für Weltliteratur Interview mit Michael Krüger

Vorwort

Das erste Kölner Festival für Weltliteratur, die POETICA I, eröffnete am 26.01.2015 an der Universität zu Köln. Der Abend bildete den Auftakt für eine vom Internationalen Kolleg Morphomata der Universität zu Köln und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gemeinsam geplante Veranstaltungsreihe mit jährlich wechselnden Themen. In diesem Jahr ging es um “Die Macht der Poesie”.

Renommierte Lyriker und Lyrikerinnen aus aller Welt waren geladen: Yeşim Ağaoğlu aus der Türkei, Jürgen Becker und Marcel Beyer aus Deutschland, John Burnside aus Großbritannien, Lars Gustafsson aus Schweden, Ranjit Hoskoté aus Indien, Yang Lian aus China, Aleš Šteger aus Slowenien, Pia Tafdrup aus Dänemark und Adam Zagajewski aus Polen.

Am 26. Januar 2015 wurde die erste, nun jährlich stattfindende POETICA unter dem Titel "Die Macht der Poesie" eröffnet. In der Aula der Universität zu Köln trafen interessierte Zuhörer auf die zahlreichen Unterstützer und Förderer der Veranstaltungsreihe sowie auf die neun Lyriker1Ranjit Hoskoté aus Indien konnte die Festivalreise aufgrund eines Trauerfalls in der Familie leider nicht antreten des diesjährigen Festivals für Weltliteratur. In thematisch verschiedenen Lesungsformaten in ganz Köln (in der Universität, der Stadtbibliothek, im Literaturhaus, dem Deutschlandfunk, dem Belgischen Haus und dem Schauspiel Köln) waren die Dichter in der folgenden Woche anzutreffen.

Bevor diese selbst zu Wort kommen konnten, sprachen Vertreter der Universität (Prof. Dr. Freimuth), des »Bundesministeriums für Bildung und Forschung« (Sabine Eilers), des "Internationalen Kollegs Morphomata" (Prof. Dr. Blamberger), der "Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung" (Prof. Dr. Detering) und der Kurator der POETICA I (Michael Krüger). Als Ziele der Woche wurden die Internationalisierung, aber auch die zu führenden Debatten über die Wirkmacht von Poesie aufgestellt. Letztere sei kein Ort, der außerhalb der Macht existiere, wie Detering beschrieb, während nach Michael Krüger gerade die Freiheit der Sprache eine entscheidende Voraussetzung sei.

Die Dichter, die am Ende noch jeweils eines ihrer Gedichte vortragen konnten, kamen in diesem Jahr aus der Türkei, Deutschland, Großbritannien, Schweden, Slowenien, Dänemark, China und Polen. Besonders beeindruckend dabei waren die Vorträge in der jeweiligen Muttersprache, denn obwohl das inhaltliche Verstehen erst mit der danach vorgetragenen Übersetzung eintrat, war alleine der Klang der vielen verschiedenen Sprachen und die dadurch erzeugten unterschiedlichen Stimmungen ein echtes Highlight. Vor allem die Vorträge der beiden nordischen Vertreter kamen besonders gut an. Das Gedicht von Lars Gustafsson aus Schweden konnte man beinahe verstehen ohne Schwedisch zu beherrschen, denn die darin eingeflochtenen deutschen Begriffe zeigten bereits, dass es sich um einen von der Musik inspirierten Text handelte; konkret ging es um "Die Stille der Welt vor Bach". Am Vortrag der Dänin Pia Tafdrup, einem Klanggebilde, wurde klar deutlich, dass gerader die Lesung in der Originalsprache einen wichtigen Aspekt einer internationalen literarischen Veranstaltung darstellt. Das Thema des Gedichts "Gute Nacht", der nahenden Tod des Vaters und die Erinnerung an die von ihm in der Kindheit erzählten Gute-Nacht-Geschichten allein wäre schon bewegend genug, aber vor allem die klangliche Ausgestaltung in der dänischen Sprache machte ihren Vortrag so eindrucksvoll.

Lea Fiestelmann im Gespräch mit Michael Krüger

Herr Krüger, Sie haben vor dem heute startenden »Festival für Weltliteratur«, der POETICA I, bereits in einigen Interviews gesagt, dass sie im Voraus "so wenig wie möglich über den Ausgang der POETICA I"2Zitat aus Feuchtinger, Silke: "Schönheit lässt sich nicht vernichten". Ein Gespräch mit Michael Krüger über innere Lichtungen, Lieder und die erste Kölner Poetica. – In: Kölner Universitätsmagazin No.1 2015. wissen möchten. Haben Sie die Kurator-Rolle nicht trotzdem mit einer gewissen Intention übernommen?

Kuratiert wurde die POETICA I von Michael Krüger (*1943), einer der prominentesten deutschen Autoren und Verleger. Er konnte das Thema des Festivals für Weltliteratur entscheidend prägen, welches sich in diesem Jahr seiner bevorzugten literarischen Gattung, der Lyrik, widmete. Krüger ist seit 1968 im Carl Hanser Verlag tätig gewesen, in dem er zunächst das Lektorat übernahm, später aber in die Leitung wechselte, welche er bis zum letzten Jahr inne hatte. Außerdem ist er Dichter, Übersetzer und Herausgeber der Literaturzeitschrift Akzente. Einige seiner eigenen Lyrikbände sind Reginapoly, Unter freiem Himmel, Kurz vor dem Gewitter und Umstellung der Zeit; aber auch Novellen und Romane findet man unter Michael Krügers Werk. ////////////////////////////////// (c) Peter-Andreas Hassiepen

Es ist einfach das Interesse an der Gattung, die älter ist als alle anderen Gattungen, älter als die Rhetorik, älter als die Prosa, sogar älter als das Drama. Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, dieser ursprünglichsten Sprache der Menschheit Gehör zu verschaffen, deshalb nimmt man ein solches Angebot natürlich gerne an. Noch dazu an einer Universität, wo junge Leute sind, kann man das Ohr für die Besonderheiten der Poesie schärfen.

Ist also gerade der Kontakt zu den potenziellen Lesern oder zur Wissenschaft während dieser Veranstaltungsreihe für Sie entscheidend?

Das kommt ganz darauf an, was die Wissenschaftler damit machen. Die Wissenschaftler sollen ja das Uhrwerk beschreiben, aus dem die Gedichte gemacht sind sowie die Rezeptionsweisen usw., aber man kann glaube ich nur dann über Poesie reden – ob wissenschaftlich oder nicht –, wenn man sie liebt, wenn man die Gegenstände nicht liebt, dann hat es sowieso keinen Sinn, dann nützt auch die Wissenschaft nichts mehr.

Bei klassischen Werken, die ja auch eine ganz spezielle literarische Liebe darstellen, empfehlen sie in einem Ihrer zahlreichen YouTube-Videos3https://www.youtube.com/playlist?list=PL9FBC16C848F12A56, diese in Gesamtausgaben zu lesen. Ich komme beispielsweise aus einer Generation, in der fast niemand eine Gesamtausgabe zu Hause stehen hat. Was können Sie uns mit auf den Weg geben?

Ich glaube schon, dass man sich, wenn man jung ist, nicht mit Gesamtausgaben beschäftigen muss. Aber im Laufe der Zeit wird man natürlich entdecken, was einem im Leben wirklich wichtig ist, und dann kommt man darauf, dass man entweder ein Goethe-, ein Heine-, oder ein Gottfried-Benn-Leser ist. Dann hat man natürlich auch das Bedürfnis, immer mehr von diesen Autoren kennen zu lernen und das bedeutet, dass am Ende des Lebens nicht einzelne Gedichte stehen, sondern ein ganzes Werk. Das soll jetzt aber nicht so altklug klingen, als hätte ich gesagt, ›ihr müsst jetzt den ganzen Goethe lesen‹. Dann hätte man auch so viel zu tun, dass man zu keinem anderen mehr käme.

Wie kann man mit Literatur Ihrer Meinung nach Aufklärung erreichen, und ist dies auch ein politisches Ziel?

Ich glaube nicht, dass man mit Gedichten politische Aufklärung leisten kann; aber man kann Aufklärung über sich selber leisten! Ich glaube, das ist auch das Wichtigere, denn nur, der sich selbst aufklärende Mensch, ist in der Lage, über die Aufklärung der Gesellschaft nachzudenken. Gerade die Poesie ist in hohem Maße dazu angetan, dem nachvollziehenden Leser Aufklärung über sich selbst zu verschaffen.

Wie stehen Realität und Fiktion in der Poesie demnach in Verbindung?

Jedes Gedicht hat durch die Worte einen Realitätsbezug. Wir benutzen alle dieselben Worte. Wir haben eben gesehen, dass sehr selten irgendwelche eigentümlichen Worte benutzt werden, denn die Gedichte bestehen aus der gleichen Sprache, die wir alle sprechen.

Das kann ja durchaus auch kritisch gesehen werden.

Ja, aber es ist eben nicht eine Popsprache oder eine Sprache, die sich anzubiedern versucht, sondern eine Sprache, die die Worte ernst nimmt. Im Grunde sind die Worte ja selbst der Dichter. Das heißt die Worte wählen sich einen Dichter, der sie zur Sprache bringt.

Das Motto des Festivals ist »Die Macht der Poesie«. Am Mittwoch wird daher auch eine Veranstaltung zur politischen Macht der Poesie stattfinden. Wie stehen Politik und Lyrik also dennoch in Zusammenhang?

Es ist ziemlich sinnlos ein Gedicht in einen Bürgerkrieg zu rufen. Aber es ist nicht ohne Sinn gerade die Sprache des Bürgerkriegs zu untersuchen. In der Regel ist die Sprache der Bürgerkriege, das sehen wir auch jetzt in der Ukraine, dazu angetan, die wirklichen Konflikte zu verschleiern. Sprache hat zwei Seiten. Die eine ist die Wahrheit und die andere ist die Unwahrheit. Beides ist in der Sprache mit dem Ausdruck der höchsten Überzeugung möglich. Die Poesie versucht diese Sprache zu untersuchen und herauszufinden, wo die Trennlinie zwischen Wahrheit und Lüge besteht.

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