Stellwerk Magazin

Retrospektive Alibis: Sigmar Polke.

Vorwort

Vom 14. März bis zum 5. Juli 2015 findet im Museum Ludwig eine Ausstellung zu Sigmar Polke statt, einem der bekanntesten deutschen Gegenwartskünstler. Unter dem Titel „Alibis: Sigmar Polke. Retrospektive“ werden rund 250 Werke des Künstlers gezeigt, die zwischen 1963 und 2010 entstanden sind und die zum Teil das erste Mal in Deutschland zu sehen sind. Dabei werden nicht nur seine Zeichnungen und seine Malerei ausgestellt, durch die er hauptsächlich bekannt wurde, sondern auch Grafiken, Skizzenbücher, Objekte, Skulpturen, Fotografien, Filme, Diainstallationen und Fotokopierarbeiten finden einen Platz in der Retrospektive.

Damit beleuchtet das Museum Ludwig das gesamte Werk Sigmar Polkes erstmals in einem solchen Umfang. Bei der Präsentation in Köln handelt es sich um die dritte Station der Ausstellung. Ursprünglich organisiert wurde sie vom Museum of Modern Art in New York zusammen mit der Tate Modern in London. Initiiert und kuratiert wurde die Polke-Ausstellung in großen Teilen durch die stellvertretende Direktorin des Museum of Modern Art Kathy Halbreich. In Köln wird die Retrospektive nun von Dr. Barbara Engelbach, Kuratorin des Museum Ludwig, betreut.

„Can you always believe your eyes?“ – so der Titel eines der Werke Polkes, das in der Ausstellung zu sehen ist. Dabei ist der Titel integraler Bestandteil des Bildes. Was steckt hinter dieser Frage? Verweist Polke damit auf den Künstler als Magier, der den Betrachter dazu bringt, die Dinge auf seine Weise zu sehen? Steckt vielleicht eine gesellschaftskritische Aussage hinter der Frage? Oder ist sie eine Mahnung nicht immer an das Eindeutige im Sichtbaren zu glauben? Polke, Künstler, Kritiker, Magier – Sigmar Polke entzieht sich der kunsthistorischen Einordnung in ebenso vielfältiger Weise, wie es Interpretationsmöglichkeiten für einige seiner Werke gibt.

Sigmar Polke hat sich künstlerisch durchweg kritisch mit gesellschaftlich und politisch aktuellen Themen auseinandergesetzt, sein Stil hat sich jedoch im Laufe der Zeit stetig gewandelt. Laut der Generalsekretärin der Kunststiftung NRW Dr. Ursula Sinnreich zeige die Ausstellung, dass der rote Faden in Polkes Lebenswerk nicht in einem bestimmten Stil zu finden sei, sondern wenn überhaupt, in der kritischen Darstellung. Polke reflektiere die verdrängte Historie des Nationalsozialismus und verfolgte stets das Zeitgeschehen der alten Bundesrepublik wie kein anderer Künstler seiner Zeit. Dr. Ursula Sinnreich erklärte weiter, dass es bei der Ausstellung nicht nur darum ginge, den "Superstar“ Sigmar Polke zu präsentieren, sondern zu zeigen, dass eine solch kritische Haltung in der Kunst wichtig war und immer noch wichtig ist. Sie hoffe, dass die Geistesgegenwart Polkes auf diese Weise weiter getragen werde.

"Seine Werke saugen politische und gesellschaftliche Themen auf, wie ein Schwamm."1Dr. Barbara Engelbach

Bei einem Rundgang durch die Ausstellung kommt der Besucher zunächst an den frühen Werken Polkes vorbei. Diese Gemälde aus den 1960er Jahren zeigen deutlich seine ironische Auseinandersetzung mit der Konsum- und Warenwelt des bundesdeutschen Wirtschaftsaufschwungs. Häufig verknüpft er typische Motive dieser Zeit mit abstrakten Elementen. So zum Beispiel bei seinem Gemälde "Schokoladenbild“ von 1964, in das ein typisches Motiv der Nachkriegswarenwelt vor einem abstrakt gestreiften Hintergrund zur Darstellung kommt.

Sigmar Polke: Freundinnen, 1965/1966, Dispersionsfarbe auf Leinwand, 150 x 190 cm

Sigmar Polke: Freundinnen, 1965/1966, Dispersionsfarbe auf Leinwand, 150 x 190 cm.
© The Estate of Sigmar Polke / VG Bild-Kunst Bonn, 2015.

Sigmar Polke: Kopf, 1966, Öl auf Leinwand, 297,5 x 305 cm

Sigmar Polke: Kopf, 1966, Öl auf Leinwand, 297,5 x 305 cm. © Catharina Coblenz.

Darüber hinaus entstehen in den 1960er Jahren auch bereits einige Rasterbilder Polkes: sein großformatiges Werk "Kopf“ von 1966, oder "Freundinnen“ von 1965/66. Bemerkenswert ist dabei Polkes Präzisionsarbeit. Die einzelnen Lehrstellen der verwendeten Druckerraster sind mit einer unglaublichen Genauigkeit ausgemalt.

„Jede Ausstellung erzählt eine Geschichte - besonders wenn es sich um eine Retrospektive handelt.“2Dr. Barbara Engelbach

In den 1970er Jahren lässt sich im Œuvre Polkes ein Wandel feststellen. Der Künstler beginnt seine Arbeiten in den unterschiedlichsten Medien umzusetzen und diese miteinander zu verknüpfen, sodass sie sich gegenseitig durchdringen und ergänzen. Mit diesen neuen kollaborativen Arbeiten reagiert Polke auf die Massenkultur seiner Zeit und reflektiert neue soziale Strömungen mit ihren Subkulturen. Sichtbar wird dies insbesondere in zahlreichen Fotografien des Künstlers, aber auch in seinen 22 Collagen "Day by Day“ von 1975, in denen er Zeitungsausschnitte, Fotografien und auch handgeschriebene Schriftstücke collagiert und auf diese Weise auch Kunstwerke von gesellschaftlich-politischer Bedeutung schafft.

Sigmar Polke: Day by Day, 1975, 22 Collagen aus ausgeschnittenem und aufgeklebtem bedruckten Papier, Typoskript und Fotografien mit Bleistift, Kugelschreiber, Filzstift und Sprayfarbe, je ca. 62 x 43 cm

Sigmar Polke: Day by Day, 1975, 22 Collagen aus ausgeschnittenem und aufgeklebtem bedruckten Papier, Typoskript und Fotografien mit Bleistift, Kugelschreiber, Filzstift und Sprayfarbe, je ca. 62 x 43 cm. © Catharina Coblenz.

In seinen Gemälden setzt der Künstler fortan fotografische Substanzen ein. Fotografien macht er mithilfe eines manipulativen Entwicklungsprozesses zu Unikaten, Raster aus Druckverfahren verwandelt er in Gemälde und auch seine filmischen Darstellungen prägen Polkes vielfältiges Kunstschaffen. Die Tatsache, dass Polke mehr als 30 Jahre lang in Köln lebte und arbeitete, verleiht der Ausstellung im Museum Ludwig eine zusätzliche Brisanz und ist besonders im Hinblick auf Polkes Filmkunst interessant. Seit Mitte der 1960er Jahre wird die Kamera und die Ästhetik filmischer Darstellung ein integraler und fester Bestandteil seiner Arbeiten. Dennoch zeigt Polke seine Filme kaum einer Öffentlichkeit. Im Museum Ludwig wird ihnen erstmals ein großer öffentlicher Raum geboten und somit auch ein hoher Stellwert im Gesamtwerk eingeräumt.

Can you always believe your eyes?

Die Werkgruppe "Wir Kleinbürger – Zeitgenossen und Zeitgenossinnen“, die zwischen 1974-1976 entsteht, verdichtet bereits alle Themen, die Polke in den 1970er Jahren beschäftigten. Für diese Werke verwendet er eine Reihe von Bildvorlagen aus Undergroundmagazinen, Comics, Tageszeitungen und wissenschaftlichen Publikationen. Durch die Montage des Materials erzeugt der Künstler irritierende Schichten von Vexierbildern, Verwandlungen und optischen Täuschungen.

Zugleich antizipieren diese Werke Polkes künstlerisches Schaffen der 1980er Jahre, in dem sich Polke zunehmend mit der Verwendung unterschiedlichster, neuer Materialien befasst: photochemischen, wärme- und feuchtigkeitsempfindlichen und auch giftigen Substanzen. Die Wahl des Materials und der künstlerische Einsatz stellen eine bislang neue und vollkommen innovative Art von Kunst dar, die zudem eine ambivalente Wirkung auf den Betrachter ausübt – zwischen Faszination und Verunsicherung. Aufgrund ihrer Materialbeschaffenheit verändern sich die Werke mit der Zeit und rekurrieren so auf die filmische Ästhetik. Aufgrund der Transformationen sind die Werke heute andere als vor 20 Jahren. Passend dazu taucht im Werk "Die Dinge sehen wie sie sind“ von 1991 der Titel spiegelverkehrt im Bild auf. Die Umkehrung hinterfragt das Eindeutige des Sichtbaren. Aufgrund seiner Begeisterung für Optik und Chemie und seinen daraus resultierenden Kenntnissen in diesen Bereichen, wurde Polke ab den 80er Jahren häufig als Alchimist oder gar Magier der Kunst bezeichnet. Einige seiner Bilder, wie z.B. "Der Illusionist“ von 2007, spielen mit diesen Zuschreibungen, so etwa auch mit der Frage der Autorität und Macht in: "Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“ von 1969.

Sigmar Polke: Papua, 1980–81 16mm-Film transferiert auf Video (Farbe und schwarz-weiß, ohne Ton) 29:51 min. © The Estate of Sigmar Polke / VG Bild-Kunst Bonn, 2015.

Alibis: Sigmar Polke. Retrospektive ist die letzte Ausstellung, bei der Polke anfangs noch selbst in die Planung involviert war. Kathy Halbreich führte zu Beginn der Ausstellungskonzeption noch intensive Gespräche mit dem Künstler, in denen zwei wichtige Aspekte zur Ausstellung geklärt werden konnten. Polke selbst stimmte einer Retrospektive und auch der damit verbundenen chronologischen Ordnung innerhalb der Ausstellung zu, obwohl er sich zuvor stets über die kunsthistorischen Versuche amüsiert gezeigt hatte, Ordnung in sein Schaffen zu bekommen. Immer wieder entzog Polke sich mit seinem Werk kunsthistorischen Einordnungen, worauf auch der Titel der Ausstellung "Alibis" anspielt. Zudem erklärte sich Polke erstmalig damit einverstanden, alle Medien seiner Kunst in einer Ausstellung zusammen zuzuführen. Einer solchen medienübergreifenden Schau hatte der Künstler bisher nie zugestimmt. Über die Gründe kann man heute leider nur spekulieren. Vielleicht wollte sich Polke lieber auf ein Medium seiner Kunst konzentrieren. Umso beeindruckender ist die jetzt angelaufene Retrospektive im Museum Ludwig, weil sie die überaus spannende und faszinierende Kombination der verschiedenen künstlerischen Medien zu zeigen vermag.

Headerbild: Sigmar Polke: Can you always believe your eyes? (Wir Kleinbürger), 1976, Gouache, Lack und Acrylfarben, Tabak, Zinksulfid und Cadmiumoxid auf Papier auf Leinwand 207 x 295 cm. © The Estate of Sigmar Polke / VG Bild-Kunst Bonn, 2015.

Fotos: © The Estate of Sigmar Polke / VG Bild-Kunst Bonn, 2015. | © Catharina Coblenz

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