Stellwerk Magazin

Fotografie Martin Rosswog – Entlang Europa

Vorwort

Martin Rosswog, geboren am 31.5.1950 in Bergisch Gladbach, studierte ab 1982 Fotografie an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf. Er schloss sein Studium 1987 als Meisterschüler von Prof. Bernd Becher ab. Seit seinen frühen Jahren verfolgt er eine dokumentarische Praxis in der Fotografie. Seit 1988 ist Rosswog als Fotograf und Buchautor tätig, er lebt und arbeitet in Lindlar. Seine Ausstellung “Entlang Europa” ist noch bis August 2015 in der Photographischen Sammlung / SK-Stiftung Kultur in Köln zu sehen.

Am 16.04.2015 besteht vor Ort die Möglichkeit zum Künstlergespräch mit Martin Rosswog. Am 20.04.2015 laden die Kuratorinnen Gabriele Conrath-Scholl und Claudia Schubert zu einer Führung ein.

Bereits seit den 1980er Jahren reist Martin Rosswog quer durch Europa. Fotografiert hat er traditionelle Häuser und Bauernhöfe, ihre Bewohner und die Landschaft. Entstanden ist eine beeindruckende Dokumentation intimer Lebenseinblicke in den ländlichsten Gebieten Europas.

Von Estland, Weißrussland, Bulgarien, Polen, Irland, Deutschland, Belgien, Finnland, Norwegen und Ungarn über Schottland, Portugal und Spanien – immer wieder, auch wenn Jahre dazwischen lagen, suchte Martin Rosswog die entlegensten Winkel dieser verschiedensten europäischen Länder mit ihren jeweils spezifischen Landschaften auf. Die Gebäude und ihre Bewohner in Farbe und die Landschaften in Schwarz-Weiß. Beim Betrachten der Fotografien fühlt man sich, als wäre die Zeit stehen geblieben. Gebaut aus naturbelassenen Materialien, die den teils windschiefen Gebäuden über Jahrzehnte hinweg Bestand gegeben haben, können eben diese Gebäude durch die Fotografien ihre Geschichten erzählen. Moderne Alltagsgegenstände, wie eine auf der Bank liegende Cola-Flasche, eine Wasch- oder Spülmaschine wirken dabei geradezu surreal und beinahe störend. Einfach und teils ärmlich eingerichtet sind die Häuser, die zumeist nur aus einem Raum bestehen, in welchem Vorhänge statt Türen einzelne Wohnbereiche voneinander trennen. Breite Ritzen an den Türen lassen erahnen, wie kalt es im Winter auch im Innern werden kann. Und dennoch strahlt jede Fotografie eine gemütliche und wohnliche Wärme aus. Hervorgerufen wird diese durch die frisch geschnittenen Blumen, alten Kaminöfen, Muster- und Farbmixe, die heute schon beinahe wieder angesagt erscheinen. Ob es vielleicht die Wehmut nach Ursprünglichkeit und Geborgenheit ist, die uns dazu treibt, Patchwork-Teppiche auszulegen und das Traditionelle damit aufzuwerten und nicht mehr als altbacken anzusehen? Auch gerahmte Bilder von Familienmitgliedern vermitteln ein Gefühl der Zusammengehörigkeit: die Fotografie in der Fotografie.

Martin Rosswog: Com Dhineol, County Kerry, Irland (Haus der Gebrüder Daly)

Martin Rosswog: Com Dhineol, County Kerry, Irland (Haus der Gebrüder Daly) 1992/1993

Des Weiteren fallen die vielen religiösen Bilder auf, die den Menschen Halt zu geben scheinen. Die Menschen, meist ältere Paare, die ihr ganzes Leben an einem Ort verbracht haben, schauen auf den fotografischen Portraits oft ernst, sind gezeichnet von einem Leben, das die Schnelllebigkeit unseres Alltags nicht kennt. Sind es vielleicht die Spuren des Zweiten Weltkriegs, die sie geprägt haben? Sicherlich haben die meisten Bewohner gelernt oder lernen müssen, was es bedeutet, mit Wenigem auszukommen und trotzdem zufrieden zu sein. Die jüngsten dargestellten Personen sind Lorna MacLeod und ihr Sohn, die Rosswog 2013 in Schottland besuchte. Wirft man einen Blick in ihr Wohnzimmer und das Schlafzimmer des Jungen, so fällt schnell auf, dass die Moderne auch vor abgelegenen Regionen keinen Halt macht. Poster von „Toy Story“ und Autos und auch Pandabären schmücken die Wände, DVDs dekorieren Wandregale. Die schwarz-weißen Landschaftsfotografien vermitteln hingegen den Eindruck unendlicher Weite, Ruhe und Frieden. Ab und zu auch eine sympathische Kleingartenatmosphäre.

Seit einigen Jahren widmet der Künstler sich nicht nur ausschließlich dem Medium Fotografie, sondern auch dem Film. So entstanden verschiedene Dokumentarfilme, die die zunächst fotografischen Einblicke in Bewegung gesetzt haben. In der Ausstellung ist etwa das 74-minütige Video von dem über 80-jährigen Portugiesen Señor Carlos zu sehen, der aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in den 1960er Jahren Portugal verließ, um in Frankreich zu arbeiten, um so seine Familie ernähren zu können. Das 2010 entstandene Filmmaterial zeigt den Mann beim Kochen, in seinem Nutzgarten und beim Füttern der Tauben.

Haus von Carlos Cavalho, Vale de Algoro, Portugal, April 2010

Doch wie reagierten die Menschen eigentlich auf das fotografische Eindringen Rosswogs in ihr privates Alltagsleben? Tagebucheinträge des Künstlers gewähren einen Einblick. Spontan klingelte Rosswog, oft gemeinsam mit einem Dolmetscher, bei verschiedenen Personen, deren Häuser seiner Meinung nach die Region am Besten repräsentierten. Einer seiner Tagebucheinträge kann man Folgendes entnehmen:

"Es ist schon eine merkwürdige Arbeit, die ich da betreibe. Erst das Kennenlernen, das Gespräch draußen vor der Tür oder am Gartenzaun. Dann bekommt man die Haustüre geöffnet für einen ersten Blick in die Wohnung. ‚Ja einverstanden, Sie können fotografieren.'“

Und dann beginnt seine Arbeit, der intime Einblick in das Leben der aufgesuchten Menschen. Doch begegnen sie einem völlig Fremden mit Gastfreundlichkeit.Die Fotografien Rosswogs geben einen detaillierten Einblick in die verschiedensten Begegnungen und Häuserlandschaften mit ihren jeweiligen Bewohnern, bleiben als dokumentarische Detailwiedergabe dabei jedoch nicht hermetisch, sondern laden den Betrachter dazu ein, sich sein eigenes Bild von Europa zu machen, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Länder zu entdecken. Mit seinem spannenden Querschnitt durch verschiedenste Menschenlandschaften an die Systematik eines August Sanders erinnernd nimmt Martin Rosswog den Betrachter auf eine Reise – entlang Europa.

Fotos: © Martin Rosswog, VG Bild-Kunst, Bonn, 2015

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