Stellwerk Magazin

a.r.t.e.s. kunstfenster Bezeichnend

Vorwort

Das kunstfenster der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne (ehemals a.r.t.e.s. galerie) geht zurück auf ein Doktorandenprojekt aus dem Jahr 2009. Dieses Projekt, das sich dem wissenschaftlichen Hintergrund verpflichtet sieht, hat sich zum Ziel gesetzt, den Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft zu fördern. Jedes Semester bietet es jungen Künstlern Raum und Gelegenheit sich zu präsentieren und mitzuteilen.

Mit der aktuellen Ausstellung “bezeichnend!” widmet man sich der gemeinsamen Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft - der Benennung des behandelten Untersuchungsobjekts. Noch bis zum 02. Juli 2015 sind die Werke der drei Künstler Rozbeh Asmani, Vera Drebusch und H.K Dehan Son zu sehen, die alle auf ganz unterschiedliche Weise Bezeichnungen als auch deren Spuren nachgehen.

Seit Mitte April sind die Flure und Räume der a.r.t.e.s Graduiertenschule nicht mehr nur mit weißer Raufasertapete bekleistert, sondern mit Kunst behangen. Damit öffnet die Graduate School ihre Türen für kunstinteressierte Besucher und Besucherinnen, die noch bis Anfang Juli die Werke der jungen KünstlerInnen Rozbeh Asmani, H.K. Dehan Son und Vera Drehbusch in Augenschein nehmen können. Bei einem Rundgang durch die Räumlichkeiten stößt man neben monochromen Farbtafeln und einer Reihe filigraner Bleistiftzeichnungen auch auf zahlreiche Fotografien. Das titelgebende Stichwort der Ausstellung bezeichnend! ist der Vorschlag all diese Werke aus einem gemeinsamen Blickwinkel heraus zu betrachten.

Die Frage nach Kunst ist hier keine rein ästhetische mehr, sondern eine der Präsentation. Institutionen, wie Museen haben einen wesentlichen Anteil an der Produktion und dem Status von Kunst.

Denn nicht nur die drei KünstlerInnen setzen sich in ihren Arbeiten mit Bezeichnungen auseinander, auch innerhalb von Ausstellungskontexten spielen diese eine bedeutende Rolle. So findet man in den meisten Kunstaustellungen neben jedem Ausstellungsstück eine fein säuberlich angebrachte Plakette, die Angaben über den Titel, den Künstler, das Entstehungsjahr und die im Werk angewandte Technik macht. Im Kunstfenster gibt es zwar keine kleinen Plaketten dafür aber zurechtgeschnittene Zettelchen. Einem Werk fehlt am Abend der Vernissage jedoch ein solcher Zettel. Dabei handelt es sich um ein Schreiben des Deutschen Patent- und Markenamtes, das dem Künstler Rozbeh Asmani die Antragsbewilligung auf die Lizensierung einer bestimmten Farbe mitteilt. Während die meisten Menschen ihre amtlichen Schriftstücke entweder akribisch abheften oder sie dem wohlgeordneten Chaos überlassen, sie jedoch keineswegs mit Kunst in Verbindung bringen, fügt Asmani den Amtsbrief noch am Tag der Eröffnung kurzerhand der Ausstellung hinzu und erklärt ihn zu Kunst. Ist der Weg in die Ausstellung erst einmal geschafft, ändert der fehlende Zettel, für den die Zeit wohl nicht mehr reichte, nichts an dem plötzlich erlangten Kunststatus des amtlichen Schreibens. Die Frage nach Kunst ist hier keine rein ästhetische mehr, sondern eine der Präsentation. Institutionen, wie Museen haben einen wesentlichen Anteil an der Produktion und dem Status von Kunst. Durch sie können Alltagsgegenstände oder eben bürokratische Schriftstücke aus ihrem eigentlichen Kontext herausgenommen und in einen neuen, einen künstlerischen hineingetragen werden. Die kleinen Plaketten neben den Werken sind lediglich die sichtbare Spur dieses Prozesses, der letztlich auch ein Bezeichnungsprozess ist. Durch ihr bloßes Vorhandensein erklären sie dasjenige, was sie bezeichnen, zu Kunst.

Kunst als Label?

Betrachtet man die Werke Rozbeh Asmanis gestaltet sich der Blick auf die erläuternden Zettel als besonders lohnenswert. Denn auf ihnen findet man Titel wie BP Europe SE #1, Commerzbank AG oder Henkel AG & Co. KGaA. Lässt man den Blick wieder zurück auf die Werke schweifen, bemerkt man plötzlich, dass die Farbtafeln nicht mit beliebigen Farben bedruckt sind, sondern mit den lizensierten Farbcodes der im Titel genannten Firmen. Erst vor diesem Hintergrund erhält der ausgestellte Brief des Patentamtes seine Bedeutung. Denn die monochromen Farbtafeln aus der Serie Abstract Colourmarks befassen sich mit dem juristischen Feld der Markenkennzeichnung.

rozbeth asmani

Rozbeh Asmani: BP Europe SE #1, 2012

Die von Asmani ausgewählten Farben sind allesamt durch Unternehmen lizensiert. Durch die Verschiebung der Farbmarken in den Ausstellungskontext betont Asmani zwar ihren ästhetischen Wert, zeigt aber gleichzeitig, dass die Farben nicht mehr nur für sich stehen können. Oftmals ist es auch gar nicht nötig den Titel der Farbtafeln zu kennen, um die Farbe mit dem jeweiligen Unternehmen zu assoziieren. Darüber war sich wohl auch das Unternehmen Kraft Foods bewusst, das Asmani 2009 verbot in seinem Werk Shirin die Farbe Lila zu verwenden. Eigentlich wollte er Schokoladenfiguren mit lilafarbendender Silberpapierfolie umwickeln, doch die Farbe Lila war bereits für Milka geschützt. Asmanis Serie Colourmarks reflektiert diese Aneignungsprozesse der Unternehmen von immateriellen Gütern. Die Farben büßen ihre vermeintliche Freiheit ein, indem sie zum Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen werden. Durch sogenannte Nizzaklassen können die Farben innerhalb der Markenwelt identifiziert werden. Denn erst wenn für Zeichenformen wie Wörter, Zahlen oder Farben eindeutige Bezeichnungen und Klassifikationen gefunden sind, können Unternehmen diese auch schützen lassen. Die Farbe, die sich Asmani beim Deutschen Marken- und Patentamt lizensieren ließ, ist im Übrigen in der Nizzaklasse 2 eingruppiert. Im Antrag findet sich die Erläuterung dieser Klasse. Sie bezeichnet Farben für dekorative Zwecke, für das Kunsthandwerk, für die Verwendung in der Produktion und strukturierte Farben. Der Künstler selbst beschreibt dort die Farbe als "Grau. Aber nicht so Grau. [...] Also ein grünlich-blaues Braunrot-Grau“. Ob man die jeweiligen Farben als Nizzaklassen, als die Markenfarbe des Ölkonzerns BP oder schlicht als Kunst ansehen will, bleibt jedem selbst überlassen. Letztlich ist dies wohl bloß eine Frage der (passenden) Bezeichnung.

Die Sichtbarkeit des Unsichtbaren

Auch Spuren sind eine Form von Zeichen. Sie bezeichnen stellvertretend eine andere Sache, die selbst nicht (mehr) sichtbar, greifbar oder hörbar ist.

Jenseits der juristischen Dimension setzt sich H.K. Dehan Son mit dem Thema der Bezeichnungen auseinander. Seine Bleistiftzeichnungen erinnern zunächst an Skizzen - solche, die man während eines Telefonates gedankenverloren aufs Papier kritzelt. Klare Formen oder Gestalten lassen sich in seinen Bildern nicht erkennen. Sie geben keine Richtung vor, kein Oben, kein Unten. Mal sind die Bleistiftstriche ganz klar und sauber auf das Papier gebracht, dann wieder verwischen ihre Konturen und sie verdichten sich zu einem dunklen Grau. Sons Zeichnungen erzeugen dadurch eine Dynamik, die den Blick des Betrachters immer tiefer ins Bild eindringen lässt. Doch obwohl sie vielfältige Assoziationsräume eröffnen, fällt es schwer dasjenige, was man in den Zeichnungen zu erkennen glaubt, in konkrete Begriffe zu übersetzen. Diesen Umstand reflektiert auch der Titel der Zeichnungen Windscapes. Er verweist auf die Wurzeln des Künstlers, denn im Koreanischen setzt sich das Schriftzeichen für Landschaft aus den Begriffen für Wind und Licht zusammen - "Poong" und "Kyung". Naturerscheinungen also, die für das menschliche Auge nicht sichtbar sind. Durch physischen Kontakt mit anderen Dingen hinterlassen sie jedoch ihre Spuren. Son greift damit das Thema der Ausstellung auf. Auch Spuren sind eine Form von Zeichen. Sie bezeichnen stellvertretend eine andere Sache, die selbst nicht (mehr) sichtbar, greifbar oder hörbar ist. Anhand rauschender Blätter zeigt sich der Wind und auch Licht ist nur durch sein Gegenstück, den Schatten erkennbar.

Doch es ist nicht die sichtbare Spur, die Son in seinen Bildern darstellt. Stattdessen nehmen die natürlichen Erscheinungen selbst im Medium der Kunst Gestalt an. Bei dem Versuch Wind und Licht (oder vielleicht auch Phänomene wie Windschatten) in graphischen Zeichen darzustellen, bilden sich immer wieder Muster, die sich zwar (ähnlich wie bei einem Fingerabdruck) alle gleichen, jedoch keines mit dem anderem identisch ist. Das vermeintlich Chaotische der Naturgewalt weicht so den Attributen der Gleichförmigkeit und Ruhe, die den Betrachter dazu einlädt, sich in den Zeichnungen zu verlieren.

Son | Drebusch

H.K Dehan Son: Windscape, 2014 | Vera Drebusch: Cipressi, 2014

Latente Erinnerung

Auch Vera Drebusch setzt sich in ihren Arbeiten mit dem Thema der Spur auseinander. So etwa in ihrer Plakatserie Cipressi, die über das gesamte Gebäude verteilt ist. Dabei handelt es sich um Fotografien, die Drehbusch auf einem italienischen Friedhof aufnahm. Diese zeigen wiederum Fotografien, nämlich die von Verstorbenen. Die Angehörigen klebten sie auf die Grabmäler. Doch die aufgeklebten Bilder werfen Falten, ihre Farben sind verlaufen und verblasst, die Umrisse der Aufnahmen nur noch schemenhaft zu erkennen. Den ständig wechselnden Witterungsbedingungen ausgesetzt, ist das eigentliche Motiv kaum mehr auszumachen. Die Fotografie als materieller Träger von Erinnerung, hält dem Verstreichen der Zeit ebenso wenig stand wie die Erinnerung selbst. Das Verhängnisvolle der Trauer: Sie lässt uns vergessen. Fotografie verspricht dem zwar vorzubeugen, doch tatsächlich täuscht sie nur über die Vergesslichkeit unserer Erinnerung hinweg. Nie mehr wird man sich die Gesichtszüge der verstorbenen Person in ihrer Gesamtheit ins Gedächtnis rufen können. Nie mehr wird man ihr Lachen, ihren Gang oder ihren von Wut verzerrten Gesichtsausdruck rekonstruieren können. Drehbuschs Arbeiten legen diesen Prozess des Vergessens offen zu Tage. Denn nicht die Erinnerung lässt uns unsere Trauer bewältigen, sondern das Vergessen und das Verstreichen der Zeit. Die transformierte Oberfläche der an den Grabsteinen angebrachten Fotografien lässt die physische Spur dieses Prozesses sichtbar werden.

Die Graduiertenschule integriert all diese Werke in ihren Arbeitsalltag. Dadurch verleiht sie dem Kunststatus der Werke besonderen Nachdruck. Denn die Arbeiten der drei KünstlerInnen verweisen auf das Alltägliche. Die Farben großer Unternehmen wie der Commerzbank begegnen uns jeden Tag und brennen sich in unser Gedächtnis ein, ohne dass wir es bemerken. Doch ebenso unbemerkt vergessen wir auch Dinge, die wir eigentlich bewahren wollten. Was bleibt sind allenfalls die flüchtigen Spuren dieser einstigen Erinnerungen, die wir nun nicht mehr zu benennen wissen.

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