Stellwerk Magazin

TransLit-Professur Interview Marcel Beyer

Vorwort

Marcel Beyer ist einer der renommiertesten Autoren der Gegenwartsliteratur. Er wurde 1965 geboren und wuchs in Neuss auf. Von 1987 bis 1991 studierte er Anglistik, Germanistik und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Siegen. 1992 erlange er seinen Magister mit einer Arbeit über Friederike Mayröcker. Während seines Studiums lebte er in Köln und besucht als Gasthörer die Universität. Neben diversen Auszeichnungen bekam Marcel Beyer 1991 der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen. Er verfasst Lyrik, Libretti, Essays und Romane.

Was verbinden Sie persönlich mit der TransLit? Welche Erwartungen haben Sie in die Dozentur?

Als Christof Hamann mir von dem Konzept der TransLit erzählte und mich fragte, ob mich das interessieren würde, habe ich mich sehr gefreut. In Köln als Medienstadt kommt man viel eher auf die Idee zu überlegen: “Wie sind denn die unterschiedlichen Künste und die unterschiedlichen Medien miteinander verbunden?” Hier findet man durchaus Schriftsteller, die mit Vertretern anderer Künste ganz selbstverständlich zu tun haben und zusammenarbeiten. Für mich selber gilt das genauso. Das plant man alles nicht, das ergibt sich.

In Köln als Medienstadt kommt man viel eher auf die Idee zu überlegen: “Wie sind denn die unterschiedlichen Künste und die unterschiedlichen Medien miteinander verbunden?”

Zum Beispiel wurde ich 2002 gefragt, ob ich Lust hätte, mal ein Libretto zu schreiben. So habe ich den Komponisten Enno Poppe kennengelernt. Enno Poppe und ich haben uns sehr gut verstanden und es war mir eine große Freude mit ihm für eine Oper mit allen Höhen und Tiefen zusammenzuarbeiten. Da es Ennos erste Oper war und mein erstes Libretto, haben wir viel gelernt. Seitdem sind noch zwei weitere Opern entstanden. Dort schaue ich natürlich in ganz andere Bereiche hinein. Als Schriftsteller sitze ich zuhause am Laptop und arbeite still vor mich hin. Bei der Oper gibt es als erste Stufe die gemeinsamen Gespräche mit den Komponisten oder dem Regisseur. Als zweite Stufe gibt es die Gespräche: Was möchte man eigentlich gerne auf der Bühne sehen? Was würde einen interessieren? Was hat es noch nicht gegeben? Es ist ein Arbeiten in der Gruppe, wo jeder für seinen Bereich der jeweilige Fachmann ist. Es interessiert mich sehr, wenn man schließlich in den Proben sieht, wie aus dem, was auf dem Papier entstanden ist, etwas wirklich im Raum Existierendes wird, wie stumme Schrift sich in Gesang verwandelt. Ich empfinde den Sprung in ein anderes Medium oder eine andere Kunst immer als Bereicherung und habe nie Angst, dass von meinem Text etwas verloren gehen könnte. Es geht immer um das Übersetzen in ein anderes Medium, eine andere Kunstform. Das betrachte ich nicht als Verlust von Text, sondern als eine Verwandlung von Text in etwas anderes. Deshalb habe ich sofort zugesagt, als Christof Hamann mich fragte, ob ich die TransLit-Professur übernehmen möchte. Den Auftakt fand ich großartig, es war wirklich sehr schön. Ich glaube auch, dass die nächsten Wochen sehr interessant werden, da wir auch mit konkreten Beispielen arbeiten werden. Wir werden etwa aus der Graphic Novel einige Panels zeigen. Ulli Lust hat nämlich eine Form entwickelt, dass sie die Sprechblasen und Texte mit jeweils anderer Stimme vorliest.

Was muss man Ihrer Meinung nach als guter Autor/Schriftsteller mitbringen?

"Ich schalte alle Kommunikationsinstrumente ab, wenn ich arbeite. Das heißt, dass ich acht bis zehn Stunden am Tag alleine mit mir bin."

Ich glaube nicht, dass man etwas Bestimmtes mitbringen oder ein Vorwissen haben muss, bevor man anfängt, zu schreiben. Für mich ist es wichtig, dass ich nie die Neugierde verliere. Ich schreibe seit 35 Jahren, ich kann mittlerweile schnell entscheiden, was ich machen will und was nicht. Aber wie der Text am Ende aussieht, weiß ich vorher nie. Wenn ich das schon vorher wüsste, würde mir das Schreiben schnell langweilig werden. Jemand, der nicht gerne liest, sollte sich lieber dreimal überlegen, ob er Schriftsteller werden möchte. Wenn man etwas mit der Vorstellung schreiben möchte, dass andere das gerne lesen, sollte man auch selber jemand sein, der gar nicht anders kann, als zu lesen, jemand der gerne Entdeckungen macht. Unerlässlich, um Autor zu werden, ist das Alleinsein. Das muss man aushalten können. Das ist oft eine Typ-Sache. Es gibt Menschen, die haben Freude daran, den ganzen Tag kommunikativ zu sein. Aber so kommt man mit dem Schreiben nicht weiter. Ich schalte alle Kommunikationsinstrumente ab, wenn ich arbeite. Das heißt, dass ich acht bis zehn Stunden am Tag alleine mit mir bin.

Was würden Sie Studierenden raten, die SchriftstellerInnen / AutorInnen werden wollen?

Man sollte sich Literatur-Seminare an der Uni auch nach Interesse aussuchen und nicht nur, weil man da Punkte sammeln muss. Wenn man nur Punkte sammeln möchte, horcht man in bestimmte Bereiche zwar rein, setzt sich aber nie richtig mit dem Stoff auseinander. Der Literaturmarkt hat sich auch sehr verändert. Heute müssen alle Romane schreiben. Dieser Druck war früher nicht so stark. Ich glaube, dass Notizen sehr hilfreich sind. Ich habe immer ein Notizbuch dabei und halte so viele Momente fest. Wenn man sich nicht immer sagt "Ich muss einen Roman schreiben und nichts anderes" und stattdessen eine kontinuierliche Schreibpraxis entwickelt, dann entsteht auch nicht die Angst vor dem leeren Blatt.

Hat Sie ihr Germanistik Studium in Ihrem Beruf als Autor und Schriftsteller weitergebracht?

Ja, mein Germanistik Studium hat mich auf jeden Fall weitergebracht. Ich habe bereits mit vierzehn Jahren angefangen zu schreiben, sodass ich meine Studienfächer danach ausgesucht habe, dass sie mich nicht vom Schreiben abhalten. Wenn ich aufgrund des Studiums in die Bibliothek muss, kann ich auch schnell mal in den Regalen nachschauen, ob ich eine Anregung für das eigene Schreiben finde. Ich habe mit der Uni Siegen großes Glück gehabt. Es gab so wenige Erstsemester, dass wir paradiesische Studienzustände hatten. In den Seminare gab es teilweise nur drei Teilnehmer. Es gab keine Vorbehalte gegenüber zeitgenössischen Schriftstellern. Professoren haben es gerne gesehen, dass man journalistisch arbeitet, das Studium war praxisbezogener als es damals an den anderen alten Universitäten üblich war. Ich fand es interessant, praktisch zu erleben, dass es unterschiedliche Textsorten gibt. Oder auch wie man eine wissenschaftliche Hausarbeit schreibt. Zuhause schrieb ich dann abends Prosa und Gedichte. Das war ein anderes Schreiben. So entwickelte ich ein Gespür dafür, wie unterschiedliche Textsorten für ein unterschiedliches Publikum in unterschiedlichen Zusammenhängen funktionieren.

Wie schreiben Sie?

"Wenn ich in einer guten Schreibphase bin, dann wache ich morgens schon in Gedanken an den Text auf."

Ich führe eigentlich zwei Leben: Es gibt das Leben auf Reisen mit Lesungen und Vorträgen und es gibt das Schreiben zuhause. Wenn ich in einer guten Schreibphase bin, dann wache ich morgens schon in Gedanken an den Text auf. Während des Schreibens bin ich häufig euphorisch und denke: "Das ist klasse“. Wenn ich dann am nächsten Morgen aufwache denke ich entweder "Das geht überhaupt nicht" oder habe eine neue Idee, wie ich weitermachen kann. Ich schreibe mittlerweile auch nur noch tagsüber, früher habe ich nachts geschrieben, da kam ich zum Beispiel um 23 Uhr aus einer Kneipe und fing dann noch an, ein bis zwei Stunden zu schreiben. Heute kann ich mir das nicht mehr vorstellen. Nachts schreiben hat etwas Besonderes: Es ist still um einen herum, die einzelnen Geräusche, die noch von draußen kommen, sind besonders klar, und ich fand die Vorstellung immer ganz schön, dass alle schlafen und ich jetzt arbeite. Man hat die Welt für sich. Ich schreibe grundsätzlich nur zuhause und habe keinen Schreibtisch mehr, weil Schreibtische die Angewohnheit haben, sich mit unerledigten, dringenden Dingen zu füllen. Dadurch entsteht das Gefühl, dass ich erst anfangen kann, zu schreiben, wenn ich diese unerledigten Dinge hinter mich gebracht habe. Wenn ich am Laptop arbeite, dann genieße ich diese Mobilität, überall in der Wohnung hingehen zu können, wo ich will. Ich habe als Arbeitsplatz ganz gerne einen Ort, der eigentlich für etwas ganz anderes bestimmt ist, sodass das Schreiben zu einem Luxus wird. Zurzeit arbeite ich zum Beispiel am Küchentisch.

Wie recherchieren Sie?

Das hat sich in den letzten 5 Jahren sehr verändert. Ich recherchiere fast nur noch Online, was zum Teil aber auch unnütz sein kann. Zum Beispiel wenn ich eine Stunde lang recherchiere, um einen Text im Netz zu suchen, und dann feststellen muss, dass er direkt hinter mir als Buch im Regal steht. Früher habe ich viel mehr in Bibliotheken gearbeitet, jetzt nutze ich dann doch die Online-Volltextsammlungen. Daran merke ich, wie sich in den letzten Jahren das Online-Sein völlig verändert hat. 2009 bin ich zweimal am Tag online gegangen, um E-Mails abzurufen. Mittlerweile gehe ich morgens ins Netz und es läuft den ganzen Tag im Hintergrund.

Sie waren schon sehr früh Preisträger vieler Auszeichnungen. Hat Sie das in Ihrem Schreiben beeinflusst?

Nein, das glaube ich nicht. Aber es ist etwas, was einem den Rücken stärkt – auch in finanzieller Hinsicht. Wenn ich einen Preis bekomme, kann ich mir ausrechnen, wie viele Monate am Stück ich nun sorgenfrei schreiben kann. Und natürlich ist die Anerkennung etwas Schönes, aber ich habe es nie als Druck empfunden.

In Ihren Werken geht es thematisch häufig um das "Dritte Reich". Warum dieser Bezug?

"Dann hat mich die Frage interessiert, zu was Menschen fähig sind, wie Menschen, die ganz normal in die Gesellschaft integriert sind, trotzdem Ungeheuer sein oder werden können."

Der besondere Bezug hat sich erst entwickelt als ich 1990/91 hier in Köln im Stadtmuseum bei einer Lesung von einem Mittelalterroman war. Dort hingen vergrößerte Zeitungs-Titelseiten von historisch wichtigen Daten, darunter die Titelseite der hiesigen Zeitung nach dem zweiten Weltkrieg mit der britischen Besatzung, auf der ein Zeuge für Hitlers Tod angeführt wurde. Ich habe mir das dann notiert und hatte eigentlich keine Absicht, daraus einen Text zu machen, es hat mich einfach dahingezogen. Das war der Anfang. Dann hat mich die Frage interessiert, zu was Menschen fähig sind, wie Menschen, die ganz normal in die Gesellschaft integriert sind, trotzdem Ungeheuer sein oder werden können. Ich las dann mehrere Bücher über Medizin im Nationalsozialismus: über junge Ärzte, die von einem Tag auf den anderen sogenannte Menschenexperimente in Konzentrationslagern durchführten. Auf diese Weise bin ich da hineingeraten. Der nächste Schritt war dann, dass ich dachte, dass ich mich schreibend damit auseinandersetzen möchte.

Welches ist ihr Lieblingsbuch und warum?

Wenn ich jetzt auf die einsame Insel müsste und ein Buch mitnehmen dürfte, dann würde ich aus dem Moment heraus die Gesammelten Gedichte von Friederike Mayröcker mitnehmen, weil ich da jetzt in den letzten zehn Tagen wegen der Poetik-Dozentur ganz tief hineingestiegen bin und viel Neues entdeckt habe. Und wenn ich auf die einsame Insel müsste, würde ich immer daran denken, was mich zum Schreiben anregen könnte.

Gibt es Pläne für ein neues Buch?

Es gibt insofern Pläne für ein neues Buch, als dass ich im Januar und Februar 2016 in Frankfurt die Frankfurter Poetik-Vorlesungen halten werde. Für einen neuen Roman gibt es bislang noch keine Pläne.

Foto: Frank Höhler

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