Stellwerk Magazin

Poetica²: Ein Resümee Aus der "schwarzen Provinz" in die Welt

Vorwort

Poetica² | Blue Notes - in Sätzen leben, in Versen tanzen. Mit neun Gästen aus neun verschiedenen Ländern wurde die zweite Poetica ihrem Anspruch gerecht, ein “Festival für Weltliteratur” zu sein. Der Kosmopolitismus des Festivals entspricht demjenigen seines Kurators: Aleš Šteger, ein slowenischer Schriftsteller, der auch im Deutschen zuhause ist und aus verschiedenen Sprachen übersetzt.

Ein Resümee zu den “Blauen Stunden”, Diskussionen und Lesungen von Adrian Robanus, der unter anderem auch an der Organisation der diesjährigen Poetica beteiligt war.

Entweder man lebt in der Welt, oder in der "schwarzen Provinz", so der baskische Dichter und Romancier Bernardo Atxaga. "Orte, Lebensweisen, für andere Menschen zugänglich machen" ist ein wesentliches Anliegen Atxagas – und die Literatur ist natürlich das Medium par excellence dieses Anliegens. Die zweite Ausgabe des Kölner Literaturfestivals Poetica bot eine wunderbare Möglichkeit, die eigene "schwarze Provinz" zu verlassen und exzeptionelle Schriftsteller*innen aus aller Welt kennenzulernen.

Bei der Auftaktveranstaltung präsentierten sich die Autoren mit jeweils einem Gedicht, das gefolgt von ein paar Fragen durch den Kurator Aleš Šteger, die einzelnen Autoren dem Publikum vorstellte. Es folgten im Laufe der Woche: Drei "Blaue Stunden", in denen man mit jeweils drei der Autoren in Lesungen und Gesprächen näher bekannt gemacht wurde, zwei Sitzungen "Literatur im Dialog", in denen Dichter und Wissenschaftler diskutierten, eine "Literarische Werkstatt", in der Studierende mit Aleš Šteger und Ilma Rakusa ihre Gedichte diskutieren konnten, eine Großveranstaltung, "Vier Farben Blau" im Walraff-Richartz-Museum und eine abschließende Inszenierung im Schauspiel Köln.

Mit neun Gästen aus neun verschiedenen Ländern wurde auch die zweite Poetica ihrem Anspruch gerecht, ein "Festival für Weltliteratur“ zu sein. Der Kosmopolitismus des Festivals entspricht demjenigen seines Kurators: Aleš Šteger, ein slowenischer Schriftsteller, der auch im Deutschen zuhause ist und aus verschiedenen Sprachen übersetzt. Aus einem kleinen Land zu kommen, sieht Šteger als beste Voraussetzung für weltläufige Offenheit: "Als Slowene ist man zur Mehrsprachigkeit verdammt, und diese Verdammnis ist etwas Wunderbares“, so Šteger. Dadurch werde der Umgang mit dem Anderen selbstverständlich und das Andere werde zum Eigenen. Und dadurch ergibt sich eine programmatische Offenheit, die vielleicht für das Dichterische charakteristisch ist: Der slowenische Autor sucht "nach unbeantworteten Fragen, die auf eine Art und Weise gestellt werden, so dass eine ganze Welt entsteht".

V.l.n.r.: Paul Muldoon, Ilma Rakusa, Juri Andruchowytsch, Bernardo Atxaga, Günter Blamberger, Lavinia Greenlaw, Ana Ristović, Sjon, Semra Mägele

"Kleinen Literaturen und kleinen Formen soll eine Chance gegeben werden", so der Leiter des Internationalen Kollegs Morphomata Günter Blamberger.

Die Internationalität der Poetica geht einher mit der Idee, dass nicht immer "die berühmtesten und bekanntesten Autoren auch die Besten sind". "Kleinen Literaturen und kleinen Formen soll eine Chance gegeben werden", so der Leiter des Internationalen Kollegs Morphomata Günter Blamberger, der zusammen mit Heinrich Detering, dem Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die Poetica ins Leben gerufen hat. Gerade diese Endeckungslust macht den besonderen Reiz der Poetica für das Publikum aus – diese Momente, in denen man sich fragt, wieso man derart spannende Autoren eigentlich nicht schon früher entdeckt hat.

"Blue Notes": die poetische Zusammenführung des Ätherischen

Der nur lose programmatische Zusammenhang während der Festivalwoche könnte von peniblen Literaturwissenschaftlern vielleicht als Inkonsitenz mokiert werden. Aber die "Blue Notes" wurden zum elastischen Rahmenthema, in dem sich zum Teil verblüffende intertextuelle Bezüge eröffneten.

Ein weiteres Kernanliegen der Poetica ist es, Literatur als eine Form, die eigenes Wissen schafft, ernstzunehmen. Und so wurde das Motto "Blue Notes" auch zum Anlass genommen, den kulturellen Symbolwert des Blauen anhand der Gedichte der Autoren zu erörtern. Trotz der verschiedensten Blau-Nuancen in den gehörten Texten gelang diese Überführung des Poetischen ins Begriffliche allerdings nicht durchgehend, was allerdings nicht als Mangel empfunden werden muss. Denn Motti müssen vor allem "etwas Musikalisches haben", so Aleš Šteger, die "poetische Aufgabe ist es, etwas, was ätherisch ist, zusammenzuführen". Der nur lose programmatische Zusammenhang während der Festivalwoche könnte von peniblen Literaturwissenschaftlern vielleicht als Inkonsitenz mokiert werden. Aber die "Blue Notes" wurden zum elastischen Rahmenthema, in dem sich zum Teil verblüffende intertextuelle Bezüge eröffneten: So haben beispielsweise die britische Autorin Lavinia Greenlaw und die Schweizer Dichterin Ilma Rakusa beide Gedichte verfasst, die von der Erfassung von Farbphänomenen in Sprache und der gleichzeitigen Unmöglichkeit dieser Versprachlichung handeln: Blue Field und Licht Lumen. Findet sich in einem Gedicht des irisch-amerikanischen Dichters Paul Muldoon das "Blau im toten Auge eines Indiandermädchens", so heißt es bei der serbischen Lyrikerin Ana Ristović: "was übersteht ist blau, wie das Auge der Guillotine".

Das Performative ist der Stille des Studiums überlegen

Ein Spezifikum des Lyrischen ist die besondere Wichtigkeit des Lautlichen – und das wurde in Texten wie Atxagas "Wintergedicht" gerade deswegen so deutlich, weil fast niemand im Publikum die Originalsprache, hier das Baskische, verstehen konnte. Die Konzentration lag also auf dem Klang. Die Gedichte immer erst in Originalsprache und dann in Übersetzung zu hören – wunderbar von Kölner Schauspielern gelesen –, ist zentrale Erfahrung der Poetica. Höhepunkte waren beispielsweise das klagend-zärtliche Isländisch Sjons oder das zwischen kraftvoller Bestimmtheit und weichem Fließen changierende Ukrainische des begnadeten Performers Juri Andruchowytsch. Manchmal ist das Performative tatsächlich der Stille des Studiums überlegen, wie Günter Blamberger in einem Interview zur Poetica bemerkt hat.

Eine Besonderheit dieser zweiten Poetica war es, dass trotz des melancholischen Rahmenthemas auch die Ironie, das Spielerische nicht zu kurz kam. Das galt für die Gespräche – wenn beispielsweise der isländische Poet Sjon bemerkte, dass die Isländer eigentlich nur alles Fremde stehlen und so stark transformieren würden, dass das Ergebnis dann die berühmte isländische Originalität sei. Es galt aber ebenso auch für eine Veranstaltung spätabends im King Georg am Ebertplatz, die einen hohen Kultwert hatte: Einen Lichtpropeller seines Sohnes schwenkend, kombinierte und performte Aleš Šteger Zeilen aus Gedichten der Poetica-Autoren, kongenial musikalisch begleitet von Philipp Plessmann.

Trotz aller Begeisterung hatte die Poetica natürlich dennoch ihre Misstöne: Beispielsweise, als Durs Grünbein sich am Abend im Literaturhaus betont von der Programmatik der Poetica distanzierte und das Sprechen über seine Texte als "Gerede" abtat. Und die fast fünfstündige Veranstaltung "Vier Farben Blau" im Wallraff-Richarz-Museum fiel in ihrer Programmatik etwas auseinander und litt gegen Ende unter merklichem Zuhörerschwund, trotz illustrer weiterer literarischer Gäste wie Monika Rinck und Navid Kermani, die ins Gespräch mit den Poetica-Autoren gebracht wurden.

Der abschließende Abend im Schauspiel ließ aber solche Dissonanzen vergessen: Die vom Hausregisseur Moritz Sostmann inszenierte Abschlussveranstaltung mit Mitgliedern des Ensembles bot eine Vielzahl gelungener Umsetzungen der gelesenen Texte. Da wurde zum Beispiel die Antwort Lavinia Greenlaws auf die Sprachkrise des Lord Chandos von einer nachdenklichen Puppe mit der Feder verfasst oder ein Gedicht des bulgarischen Autors Georgi Gospodinov im dreistimmigen Kanon gerappt.

Und so eröffnete die Poetica dem Besucher tatsächlich für eine Woche die Möglichkeit, aus der eigenen "schwarzen Provinz" in die Weltliteratur zu entkommen. Den leisen Blue Notes, die sich nach der Abreise der Autoren einstellten, kann man zum Glück mit der Lektüre all der gemachten literarischen Entdeckungen begegnen – und mit der Vorfreude auf die dritte Poetica 2017.

Fotos: Silviu Guiman

Die Redaktion empfiehlt passend zu diesem Artikel:

Poetica²