Stellwerk Magazin

Rezension Gediegenes und Kurioses

Vorwort

Die Ausstellung “Gediegenes und Kurioses” versucht, das vieldiskutierte Präsentationsproblem außereuropäischer Kunst zu umgehen, und nimmt mit mehreren hundert Werken weniger Raum ein als man erwartet würde. So wurde eine architektonische Skulptur des kubanischen Künstlerduos Los Carpinteros mit Werken aus der Sammlung Olbricht ausgestattet und die Wände des Ausstellungsraums zudem um die Ölgemälde des chinesischen Künstlers Ouyang Chun erweitert. Die abwechslungsreiche und humorvolle Zusammenstellung ist noch bis zum 30. Oktober 2016 im Museum Folkwang in Essen zu sehen.

Helm/Helmet/Yelmo lautet der Titel des Objekts, welches die Ausstellung zurückhaltend dominiert. Die architektonische Skulptur des kubanischen Künstlerduos Los Carpinteros gibt die Präsentationsform der ausgestellten Werke vor: Es beinhaltet Lieblingsstücke aus Thomas Olbrichts Sammlung. Neben Gediegenem und Kuriosem lassen sich in den wabenförmigen Vitrinen wissenschaftliche Apparaturen, Kitsch, anthropologische Exponate, kostbare Schätze und seltene Tiere finden, die in ihrer Gesamtheit eine Helmkonstruktion bilden. Olbricht kuratierte die Ausstellung in der Tradition der historischen Wunderkammer. Demnach ist es weder kurios noch verwunderlich, dass die fünf Kategorien der Wunderkammer in den Waben vertreten sind: Artificialia (kostbare Kunstwerke), Naturalia (seltene Naturalien), Exotica (Objekte aus fremden Welten), Scientifica (wissenschaftliche Instrumente) und Mirabilia (unerklärliche Dinge).

Idee eines Gesamtkunstwerkes

Nach Olbrichts Erläuterungen soll die Ausstellung ähnlich wie ein Gesamtkunstwerk konstruiert sein, in dem sich die einzelnen Bestandteile aufeinander beziehen. Die sechs Ölgemälde des chinesischen Künstlers Ouyang Chun, der in dem Ausstellungskatalog als "chinesischer Basquiat" angeführt wird, stammen aus seinem Zyklus "Wang/König" (2006-2009; 30 großformatige Ölgemälde) und ironisieren den an Kostbarkeiten gebundenen Herrscherkult, der auch nach dem Tod des Königs in der Grabkammer fortgeführt wird. Mit den ausgewählten Stücken in den Waben des Helm/Helmet/Yelmo bezieht sich Olbricht auf die Werke des chinesischen Künstlers. Zusätzlich wird der einheitliche Raum der architektonischen Ausstellungs-Skulptur mitsamt den Ölgemälden an den Wänden durch drei präparierte Tiere (einen weißen Pfau, einen Leoparden und einen Giraffenkopf) gegliedert und so ein durchdachtes Ausstellungskonzept geschaffen.

Installationsansicht Gediegenes und Kurioses. Los Carpinteros, Ouyang Chun und Lieblingsstücke aus der Sammlung Ulbricht. Foto: Museum Folkwang, 2016. Installation Helm/Helmet/Yelmo von Los Carpinteros, Courtesy of the Artists and Ivorypress

"Was ist Kunst?"

In Anbracht der Präsentationsformen außereuropäischer Kunst steht der Helm/Helmet/Yelmo mit den über 200 Lieblingsstücken Olbrichts zweifellos im Mittelpunkt. In der Auswahl der Exponate finden sich konservierte Eidechsen, gefaltete Handtücher, Spielzeug, aber auch Gemälde, Kleinbronzen und Handwerkskunst. Diese unterschiedliche Auswahl lässt "Gediegenes und Kurioses" zu einem Vorzeigebeispiel dafür werden, dass die Beantwortung der Frage "Was ist Kunst?" stets kontext- und defintionsbedingt ist. Die Vielfalt der Kunst steht im Vordergrund und die noch allzu gängige Trennung von angewandter, ethnologischer und bildender Kunst wird umgangen. Ermöglicht wird diese Vorgehensweise durch das bereits erwähnte traditionelle Vorbild der historischen Wunderkammer.

Primitive Kunst war gestern

Die Spannung der Ausstellung lässt sich zudem aus den Entwicklungen in der Kunstgeschichte erklären. Seitdem Winckelmann sich 1764 an einem ersten Versuch einer Weltkunstgeschichte probierte, wurde klar, dass vor allem europäische Länder in einem prozessualen Streben nach künstlerischer Perfektion Raum finden konnten. Auch in den Abhandlungen internationaler Kunst, wie denen von Georg Wilhelm Friedrich Hegel oder John Ruskin, blieb außereuropäische Kunst lediglich als primitive oder ethnische Kunst erwähnenswert, wobei Ruskin "no art in the whole Africa, Asia or America" erkennen wollte. Die größte Problematik dieser Vorgehensweise ist auch heute noch sichtbar, wenn Künstler wie Rasheed Araeea einer "islamischen" und keiner modernen Kunst zugeordnet werden, obgleich er hauptsächlich minimalistische Werke anfertigt.

Jenseits von Raum und Zeit

Indem bei "Gediegenes und Kurioses" nur die Ölgemälde Ouyang Chuns durch Beschilderungen ausgezeichnet sind, werden die Exponate der Sammlung Olbricht einer kunsthistorischen Einordnung bezüglich Zeit und Ort der Entstehung enthoben. Im Helm/Helmet/Yelmo werden Werke renommierter Künstler, wie beispielweise die Gerhard Richters, identisch mit den Objekten ferner Kulturen, und eben auch nicht anders als gefaltete Handtücher oder Spielzeug präsentiert. Durch die fehlende Beschriftung einzelner Stücke wird auch nicht zwischen "Kunst" und "Nicht-Kunst" unterscheiden - die Wertungskriterien für die Objekte werden unterlaufen. Der Kunst-Konsument wird so in dieser Ausstellung zu einem freieren ästhetischen Zugang verleitet. Die Definierbarkeit von Kunst wird hierbei hinterfragt, während die museale Inszenierung auf Ästhetisierung abzielt und eine tendenziell gleichberechtigte Interpretation aller Werke und verschiedene Lesarten der Objekte erlaubt. Auch wenn dieses Präsentationsformat nicht der einzige Weg sein dürfte, mit musealen Konventionen des Ausstellens zu brechen und die viel diskutierte Frage des Ausstellens im Bezug auf außereuropäische Kunst zu umgehen, so hat Olbricht einen galanten und humorvollen Weg gefunden. Ein ironischer Unterton durchzieht die Auswahl der Lieblingsstücke Olbrichts nämlich genau dann, wenn er kleine Sammelautos oder eine geschnitzte Pinoccio-Büste mit einem Phallus statt Nase neben einer afrikanischen Kleinbronze oder ostasiatischen Vase platziert. Eine ebenso subtile Komik findet sich auch in den chinesischen Ölgemälden, wenn die dargestellten Figuren karikative Züge tragen. Dieser verspielte doch angenehme Umgang mit einer anhaltenden Problematik öffnet den Zugang zu der Ausstellung auf erheiternde Weise.

Ouyang Chun, A Certain Country, A Certain Monarch, 2008. Öl, Goldfolie auf Leinwand, 170 x 530 cm © Ouyang Chun | © Foto: Li Liang

Weltkunst 2014 - 2019

Dennoch wird auch auf den traditionellen Wert der Ausstellung gesetzt. Der stellvertretende Museumsdirektor Dr. Hans-Jürgen Lechtreck verweist explizit auf die Osthaus-Sammlung des Museums, dessen Begründer Karl Ernst Osthaus im beginnenden 20. Jahrhundert viele internationale Werke erwarb. Als Helm/Helmet/Yelmo zum ersten Mal 2014 im Museum Folkwang ausgestellt wurde, waren darunter auch Werke der Sammlung Osthaus. Auf Anfrage des Museums kuratierte Olbricht nun 2016 mit Exponaten aus seiner Sammlung. Bereits 2014 war man sich einig, dass die architektonische Rauminstallation in den folgenden fünf Jahren verschiedene Objekte aus den Bereichen Archäologie, Weltkunst und Kunstgewerbe präsentieren sollte. Das gelungene Präsentationsformat zeigt noch bis zum 30. Oktober 2016 variantenreiche Weltkunst im Folkwang Museum Essen, bevor 2017 wieder neue Objekte und neue Perspektiven im Helm/Helmet/Yelmo betrachten werden dürfen.

Header: Installationsansicht Gediegenes und Kurioses. Los Carpinteros, Ouyang Chun und Lieblingsstücke aus der Sammlung Ulbricht. Foto: Museum Folkwang, 2016. Installation Helm/Helmet/Yelmo von Los Carpinteros, Courtesy of the Artists and Ivorypress.

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