Stellwerk Magazin

Rezension German Ängst

Vorwort

Am 7. September fand die Uraufführung des neuen Theaterstückes GERMAN ÄNGST - ANGST ESSEN ANGST AUF des ANALOGTHEATER in der studiobühne Köln statt. Regisseur Daniel Schüßler beschäftigte sich dieses Mal mit dem Thema Angst. Unter dem Stichwort ‘Delay’ - Nachhall verbindet Schüßler in dem Stück dramaturgisch den politischen‚’Nachhall der Geschichte’ mit eindrucksvollen soundästhetischen Effekten.

Auf der Bühne steht ein Mischpult, ein Bass mit Verstärker, eine Nebelmaschine, ein Ventilator, eine Schneemaschine - und ein riesiges weißes Luftkissen, das mit schwarzen Vierecken beklebt ist. Ein klassisches Musikstück erklingt und das Luftkissen beginnt, sich zu bewegen, ja geradezu zu tanzen. Zuerst vorsichtig, ganz sanft. Schließlich immer wilder. Es reckt sich zur Decke hin, es dreht sich, es fällt und richtet sich wieder auf. Nach und nach erscheinen sechs Figuren auf der Bühne - alle tragen graue Jumpsuits. Drei Frauen, drei Männer. Ihre Gesichter sind weiß geschminkt, ihre Mienen angstverzerrt.

"Es gibt keine Grenzen. Nicht für den Gedanken. Nicht für Gefühle, Angst setzt die Grenzen." (Ingmar Bergman)

Das postdramatische Stück GERMAN ÄNGST des Kölner Theaterensembles ANALOGTHEATER wurde in der Woche vom 7. bis 11. September zum ersten Mal in der studiobühne Köln unter der Regie von Daniel Schüßler aufgeführt. Auch am zweiten Spieltag war der kleine Saal voll besetzt. Angst - das ist schließlich ein hochaktuelles Thema. Auf der Facebook-Veranstaltungsseite des Stückes werden Schlagworte wie die Angst vor Islamisierung, Überfremdung, Altersarmut und sozialem Abstieg genannt. Den Reaktionen einiger Besucher zufolge, hatten manche wohl eher auf Antworten gehofft. Stattdessen lieferte das Stück ein krasses Bild einer von Angst zerfressenen Gesellschaft, deren Wurzel im zweiten Weltkrieg verortet wird. Das Stück konfrontiert, es zwingt zur Selbstreflexion.

GERMAN ÄNGST - die 'deutsche' Angst

Daniel Schüßler gründete 2004 das ANALOGTHEATER, seine Stücke sind bekannt für ihren stark performativen und interdisziplinären Charakter. Oft sind seine Stücke durchzogen von ästhetischen Darstellungsmomenten aus Tanz, Musik, Video oder Film. Er wurde 2010 bei den Heidelberger Theatertagen mit dem Preis der Jury ausgezeichnet. Für den Kölner Theaterpreis und den Kurt-Hackberber-Preis für politisches Theater wurde er mehrfach nominiert.

Der Titel des Stückes GERMAN ÄNGST ist tatsächlich seit langem im Ausland, insbesondere in den USA, ein verbreiteter Begriff, um die prototypische deutsche Verzagtheit und Ängstlichkeit zu beschreiben. In Deutschland will man hingegen daran glauben, dass wir die Vergangenheit hinter uns gelassen haben - und damit ist zumeist der Zweite Weltkrieg und die Nazidiktatur gemeint. Angela Merkel öffnete letztes Jahr die Grenzen für die Flüchtlinge, mit "Refugees Welcome" entstand geradezu eine Willkommenskultur. Deutschland präsentierte sich als weltoffen und furchtlos. Alsbald kehrte sich diese extreme Willkommenshaltung in ihr Gegenteil um. AfD, "Wutbürger", hinzu kamen außenpolitische Spannungen mit der Türkei. All dies sind Themen, die GERMAN ÄNGST aufgreift und reflektiert. In einer Szene prügeln die Protagonisten minutenlang auf etwas Unsichtbares ein - ihre Angst? Bis sie aufgeben und in Tränen ausbrechen. Mit Gewalt und Wut lässt sich die Angst nicht besiegen.

german ängst

"Delay - Nachhall", das ist laut Regisseur Daniel Schüßler das programmatische Stichwort des Stückes. Ursprünglich stammt der Begriff aus der Musik: das akustische Hinauszögern von Sound. Schüßler erweitert diesen Begriff noch um eine politische oder philosophische Dimension: Der Nachhall der Geschichte. Das Stück geht der Frage nach, inwieweit uns als Gesellschaft die Angst der Vergangenheit - entsprungen aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges - noch bis heute Grenzen setzt, beeinflusst, unser Leben kontrolliert. Dies setzt er sehr eindrucksvoll durch soundtechnische Effekte um. Der Rhythmus des Stückes wird durch den Takt der Soundeffekte bestimmt, geradezu kontrolliert. Am Mischpult steht der Antagonist des Stückes - ein orangenes, braun, lila farbenes Monster: die Angst (Marius Theobald). Die Bewegungen der sechs anonymen Figuren werden durch den Takt der Musik vorgegeben. Steigert sich der Takt, werden ihre Bewegungen schneller, stoppt die Musik abrupt, so halten auch die Protagonisten inne. Jeder Akt endet mit dem Zurückspulen einer Soundsequenz, welches die Figuren hinter die Bühne zu ziehen scheint.

"Wir drehen hier gleich richtig durch. Stimmung!"1Analogtheater

Das Stück besteht aus fünf Akten. Der erste Akt besteht aus dem Erscheinen der Angst in Form eines Monsters. Dieses kontrolliert von nun an die Handlung. In jedem Akt wird ein anderer Aspekt der Angst dargestellt. Dritter Akt: Im Hintergrund läuft ein monotoner Diskobeat, auf den zwei Figuren auf roboterähnliche Weise tanzen. Eine dritte Figur spielt den Animateur. Sie spricht in ebenfalls monotonem Ton immer wieder die gleichen Sätze ins Mikrofon: "Wir drehen hier gleich richtig durch. Stimmung!" Zu dem Ausbruch oder der Stimmung kommt es nie. Stattdessen unterbricht die Angst die Szene, indem sie die Soundsequenz rückwärts laufen lässt, und so die Figuren von der Bühne 'wegdirigiert'. Die Partykultur der heutigen Jugend wird parodiert und so als reine Ablenkung von der quälenden Angst enttarnt.

german ängst

Experimentelles Spiel mit der Angst

Das Stück beginnt und endet mit Angst - ein nie enden wollender Kreislauf. Neben der nackten Konfrontation mit vielleicht eigenen Verhaltensweisen bietet GERMAN ÄNGST jedoch auch einen möglichen Lösungsansatz. Sich zurückziehen, ablenken, drauflos prügeln - all das löst das Problem nicht. Man muss es an der Wurzel packen und sich direkt damit auseinandersetzen. Das ewige Drumherumgerede der Politiker, Ausreden und Aufschübe, die blinde Wut der AfD-Anhänger - all das kann unsere aktuellen Probleme nicht lösen. Werden wir den Mut haben, uns unseren Ängsten zu stellen?

GERMAN ÄNGST ist stellenweise sehr abstrakt. Die Bilder und akustischen Mittel müssen erst vom Zuschauer reflexiv durchdrungen werden, um den Zugang zum Stück zu finden. Man muss sich andererseits auf eine emotionale Konfrontation - vielleicht auch mit sich selbst, sicherlich aber mit der Gesellschaft, in der wir leben, einlassen können. Während das Stück stark gesellschaftskritisch ist und sich natürlich mit Themen beschäftigt, die im vergangenen Jahr wieder und wieder in Medien, Politik und Kultur verhandelt wurden, ist es an keiner Stelle klischeebehaftet. Mit starken, geradezu ins Extrem getriebenen, teils abstrus, teils komischen Bildern, die klug mit soundästhetischen Mitteln kombiniert werden, überzeugt das Stück. Eine Parodie der Angst. Es hebt sich ab von anderen aktuellen Ansätzen an das Thema, indem es an die Sinne, die Emotionen des Zuschauers appelliert, nicht unmittelbar an den Verstand, der oft von Ängsten umnebelt ist.

Fotos: Christof Wolff

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