Stellwerk Magazin

Interview Interview mit Melanie Raabe

Vorwort

Natürlich treffe ich sie lesend an: Melanie Raabe, Leseratte und die Überraschungsautorin des letzten Jahres. Mit dem Roman “Die Falle” brachte sie 2015 ihr äußerst erfolgreiches Debüt auf den Markt. Sogar so erfolgreich, dass sie bereits die Filmrechte nach Hollywood verkauft hat. Kurz vor Erscheinen ihres neues Romans “Die Wahrheit” (August 2016) habe ich Melanie Raabe zum Gespräch getroffen.

Am Besten stellst du dich zu Beginn kurz selbst vor.

Ja, na klar! Ich heiße Melanie Raabe, bin 34 und schreibe Romane. Mein erster beim Verlag erschienener Roman heißt "Die Falle". Er war relativ erfolgreich, ich habe viele Lesungen gemacht und er ist in viele Länder verkauft worden. Jetzt bin ich gerade mit meinem zweiten Roman fertig, der Ende August erscheint.

Zu diesem zweiten Roman komme ich später noch. Zunächst aber habe ich gelesen, dass du Stuntfrau werden wolltest: Der Schritt von Stuntfrau zur Autorin ist ein sehr großer, woher kam der Gedankenwandel?

(Melanie lacht) Das war als Kind! Ich hab als Kind gerne amerikanische Fernsehserien geschaut und einer davon hieß "Ein Colt für alle Fälle". Die Hauptfigur war Stuntman und ich war ungefähr acht Jahre alt und fand das ganz toll, und dann dachte ich, ich werde Stuntfrau. Ich habe dann immer Fahrradstunts geübt, aber ich war halt echt klein. In jedem Fall war ich immer schon beides: ein Kind, das gerne draußen herumgerannt ist und verrückte Dinge gemacht hat, aber immer auch Leseratte war. Dann habe ich später Literatur studiert und weiter viel gelesen, trotzdem kam der Wunsch, daraus wirklich einen Beruf zu machen, erst relativ spät auf, weil es für mich immer sehr unrealistisch klang, dass ich mein Geld mit Romanen verdienen kann. Ich habe dann zuerst als Journalistin gearbeitet und im Stillen geschrieben. "Die Falle" ist zwar mein erster erschienener Roman, aber bei Weitem nicht der erste, den ich geschrieben habe.

Und diese Misserfolge, dass fertige Romane nicht von einem Verlag angenommen werden, verleiten einen nicht dazu, das Schreiben sein zu lassen?

Ich hätte vielleicht aufgehört, meine Sachen Verlagen anzubieten, aber ich hätte nie aufgehört zu schreiben, weil ich sehr gerne schreibe. Zum Glück quäle ich mich nicht mit dem Schreiben. Ich habe auch, bevor ich angefangen habe, Romane zu schreiben, immer alles aufgeschrieben, Tagebuch oder Gedichte und kleine Geschichten. Das gehört für mich dazu, mich an Erlebnissen oder Dingen, die mir auffallen und mich interessieren, schreibend abzuarbeiten. Da könnte ich nie mit aufhören. Wenn allerdings mein fünftes Buch, oder vielleicht dann mein sechstes, abgelehnt worden wäre, hätte ich zwar nie aufgehört zu schreiben, aber ich hätte gedacht: "Ok diese Branche will mich nicht, dann ist das jetzt vielleicht so!"

Zum Glück war das nicht der Fall! Kommen wir nun zu deinem Buch "Die Falle". Man nimmt dich als sehr lebensfroh war. Wie kamst du da auf die Idee, deine Protagonistin in ein Haus zu sperren, fernab jeglichen Lebens?

Also zum einen ist mir die Idee ein bisschen in den Schoss gefallen. Und zwar war ich nach meinem vierten Buch auf der Suche nach neuen Stoffen für mein fünftes Buch. Und man hat in solchen Momenten eine Art selektive Wahrnehmung. Alles, was man irgendwie hört, könnte potentieller Buchstoff sein. Und dann saß ich mit einer Freundin beim Abendessen und sie hat mir von einer Autorin erzählt, über die sie mal gelesen hat, dass sie das Haus nicht verlässt. In dem Zustand, in dem ich war, habe ich direkt gedacht: Aha, das könnte eine interessante Protagonistin sein. Dann habe ich mir das aufgeschrieben und auf dem Nachhauseweg direkt weitergesponnen. Ich habe überlegt was passiert sein könnte, warum sie das Haus nicht verlässt. Würde sie aus dem Haus gehen, wenn es unbedingt sein müsste? Und so hat sich das dann weiterentwickelt.

Und hast du dann eine spezielle Recherche unternommen?

Ja, ein bisschen schon. Ich komme ja aus dem Journalismus, auch wenn ich jetzt gerade nicht mehr journalistisch tätig bin. Und natürlich ist man dann versucht, erst einmal alles tot zu recherchieren. Allerdings wollte ich, dass auch ein bisschen was aus mir selbst kommt. Es gibt ja diese Stelle im Buch, wo Linda versucht, rauszufinden, wie viel Angst sie aushalten kann bevor sie kollabiert, wo sie diese Vogelspinne in die Hand nimmt. Und das habe ich eher zufällig auch gemacht, weil ich auch eine Spinnenphobie habe. Allerdings habe ich die Stelle erst geschrieben und es dann gemacht. Und ein paar Wochen, nachdem ich die Stelle geschrieben hatte, habe ich eine riesengroße Spinne in meinem Badezimmer gefunden, nicht eine mit den dünnen Beinen, sondern wirklich so ein riesiges Tier mit einem großen Körper und sehr dicken, schwarzen, haarigen Beinen und das fand ich natürlich nicht so toll. Die war so groß, dass ich nicht mal mehr in mein Badezimmer gehen konnte. Ich habe dann einen Freund angerufen, damit er sie für mich raustragen kann. Und dann dachte ich: Ok der Punkt ist für mich erreicht, dass ich selber nicht mehr klar komme. Jetzt muss ich irgendwas machen! Und da ich das selber gerade für meine Protagonistin recherchiert habe, habe ich mir selbst gesagt ich mach das jetzt auch mal! Und erstaunlicherweise dauerte es etwa eine Stunde von: Ich kann nicht in dieses Haus gehen, weil ich weiß in diesem Haus ist ein Mann, der zu therapeutischen Zwecken Vogelspinnen hält, bis zu: Die Vogelspinne sitzt auf meiner Hand. Man ist dann zwar durchgeschwitzt und hat die nächsten Nächte Albträume, aber es funktioniert! Dann sollte ich das vielleicht auch mal ausprobieren (lacht).

Melanie, ich habe gelesen, dass dein Roman jetzt verfilmt werden soll. Hast du eine klare Vorstellung davon, wie der Film aussehen soll, das Setting, die Charaktere?

Habe ich irgendwie schon, weil ich mir das während des Schreibens schon vorgestellt habe. Ich glaube allerdings, dass es später ganz anders aussehen wird, und ich finde das total in Ordnung, ich bin sogar gespannt, wie anders es dann aussehen wird. Die Figuren, die ich mir ausgemalt habe, könnten niemals gecastet werden, weil ich mir keine Hollywoodstars vorgestellt habe, sondern normale Menschen, die auch nicht so schön sind wie Hollywoodstars. Aber ich finde Literaturverfilmungen gelingen meistens, wenn sie sich trauen von der Buchgrundlage zu lösen. Sie müssen das Werk und den Kern des Werkes respektieren, aber Filme sind ein so anderes Medium, das so andere Qualitäten hat, dass es für mich total ok wäre, wenn es ganz anders wird, solange nur der Kern erhalten bleibt. Jeder, der wissen will, wie ich diesen Stoff umsetzen würde, kann ja immer mein Buch lesen und ich bin total neugierig darauf, wie jemand anderes mein Werk interpretiert. Und selbst wenn der Film schrecklich wird, was ich nicht glaube, gehe ich da mit meinen Freunden rein und wir lachen uns kaputt.

Hat sich dein Leben denn durch diesen Erfolg stark verändert?

Mein Arbeitsleben schon. Im Alltag ist es eher zwiespältig. Wenn ich auf Lesereise bin oder Veranstaltungen habe, dann merke ich den Erfolg natürlich total, aber an normalen Tagen, wenn ich keine Interviews gebe und einfach meiner normalen Arbeit nachgehe, sitze ich halt zuhause am Schreibtisch und mache was vollkommen normales. Ich gehe mit meinen Freunden aus oder treffe meine Familie, was ich vorher auch immer gemacht habe.

Auf dein neues Buch "Die Wahrheit" ist man schon sehr gespannt.1Das Interview wurde kurz vor Erscheinen des neuen Romans geführt. Hast du Angst, dass das neue Buch den Erwartungen deiner Leser nicht entspricht und du nicht an den Erfolg von "Die Falle" anknüpfen kannst?

Ich bin da tatsächlich sehr entspannt. Zum Glück bin ich sehr zufrieden mit meinem Buch. Es war für mich ein sehr schwerer Stoff, an den ich mich gewagt habe. Das einzige, was meine Leser von mir bisher kennen, ist "Die Falle". Es kann also keiner wissen, was ich sonst noch so machen möchte und was mich interessiert. Aber es geht bei jedem Werk letztendlich um einen kreativen Prozess und um Kunst und ich glaube, den einzigen Fehler, den man machen kann, wenn man Kunst erschafft, ist, es allen recht machen zu wollen, denn das funktioniert eh nicht. Und ich weiß, dass ich mein Bestes getan habe. Das macht mich sehr ruhig. Ich freue mich auf das Erscheinen und währenddessen schreibe ich natürlich am dritten Buch weiter! Die Karriere ist hoffentlich lang!

Das hoffe ich auch! Vielen Dank, Melanie Raabe.

Foto: Christian Faustus