Stellwerk Magazin

Interview Aus dem Leben einer Wörterbuch-Redakteurin

Vorwort

Die Leiterin der Duden-Redaktion Kathrin Kunkel-Razum wurde 1959 in Potsdam geboren. Sie studierte Germanistik und Geschichte auf Lehramt in Leipzig und absolvierte anschließend ein Forschungsstipendium im Bereich Lexikologie. Nach ihrer Promotion arbeitete sie zunächst als Redakteurin und Lektorin im In- und Ausland, bis sie schließlich 1997 zum Duden kam. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

© Duden Verlag

Haben Wörterbücher eine Zukunft?

Ich bin ganz fest davon überzeugt! Sie haben bestimmt eine Zukunft, wenn auch nicht in der Art, wie wir sie heute kennen. Im Moment gibt‘s spannende Entwicklungen, vor allem in Hinblick auf die Digitalisierung. Insgesamt verzeichnen wir nach wie vor eine große Nachfrage, zwar nicht unbedingt nach Wörterbüchern im klassischen Sinne, aber nach Sprachdaten, die in bestimmte Anwendungen eingebunden werden und dort die Funktionen eines Wörterbuchs übernehmen.

Wie bewerten Sie die Entwicklung der deutschen Sprache, insbesondere im Hinblick auf die Kommunikation in den sozialen Medien?

Das ist eine Frage, die sich nicht leicht beantworten lässt. Grundsätzlich mache ich mir keine Sorgen um die deutsche Sprache. Natürlich gibt es Entwicklungen, die auch mir persönlich aufstoßen. Aber insgesamt denke ich, dass wir in einer Zeit leben, in der vielleicht so viel geschrieben wird wie noch nie: Jeder tippt und schreibt ja ständig. Das bringt natürlich auch mit sich, dass mehr Fehler gemacht werden. Zudem haben wir in bestimmten Bereichen einen sehr kreativen Umgang mit der Sprache, also z.B. bei WhatsApp oder Facebook. Und das sollte man, auch wenn es sehr oft nicht regelgerecht ist, nicht per se verdammen. Denn so entstehen Wortneuschöpfungen oder ein neuer Umgang mit Wörtern und Buchstaben, vor allem auch mit Emojis. Aber es gibt natürlich auch Bereiche, in denen regelgerecht geschrieben werden muss. Wenn Sie sich nach Ihrem Studium irgendwo bewerben, dann empfiehlt es sich, wirklich fehlerfrei zu schreiben, sonst schmälern Sie Ihre Chancen auf den Arbeitsplatz, auf den Sie sich gerade beworben haben, ganz sicher.

Sie haben Wortneuschöpfungen oder Emoji-basiertes Schreiben angesprochen. Wie wird denn entschieden, ob solche Veränderungen der deutschen Sprache in den Duden aufgenommen werden?

Einen Emoji-Duden haben wir noch nicht gemacht, aber wir haben tatsächlich vor vielen Jahren bereits ein kleines Taschenbuch über die Emojis und Zeichen von verschiedenen Sprachen und Kulturen herausgebracht – da waren wir unserer Zeit voraus. Aber gehen wir eher auf das Gebiet von Wortneuschöpfungen ein. Wir beobachten die Sprachentwicklung und untersuchen sie mit Hilfe des sogenannten Duden-Korpus. Das ist eine große-, elektronische Textsammlung, die über 4 Milliarden Wortformen umfasst und die praktisch jeden Tag wächst. Täglich kommen neue Texte hinzu und damit auch neue Wörter. Diese Textsammlung werten wir nach bestimmten Kriterien aus. Auf dieser Grundlage entscheiden wir später, ob es ein Wort in den Duden schafft oder nicht. Wir wollen keine Eintagsfliegen zeigen, sondern Wörter, die sich in der Standardsprache eingebürgert haben und die über einen längeren Zeitraum und vor allem in mehreren Textsorten vorkommen.

Die deutsche Rechtschreibung unterlag bisher mehreren Reformen. Wie bewerten Sie die Zukunftschancen der aktuellen Rechtschreibung? Wird sie sich bald ändern?

Im Kleinen wird sie zum Beispiel gerade jetzt abgeändert. Erst vor zwei Wochen hat der Rat für deutsche Rechtschreibung einen Bericht bei der Kultusministerkonferenz vorgelegt, in dem einige Änderungen vorgeschlagen worden sind. Kleinere Änderungen kann der Rat selbst vornehmen, bei größeren muss jedoch die Kultusministerkonferenz (KMK) hinzugezogen werden und zustimmen. Die Zustimmung ist noch nicht erfolgt, aber wir denken, dass dies im Frühjahr passieren wird. Diese Änderungen betreffen einerseits einen Buchstaben: Wenn die KMK zustimmt, gibt es bald das große „ß“. Zum anderen soll mehr Varianz im Bereich der sogenannten Nominationsstereotype zugelassen werden. Ein aktuelles Beispiel dazu ist: „Ich wünsche Ihnen alles Gute zum neuen Jahr“. Bisher wurde „neues“ in „neues Jahr“ in diesem Kontext kleingeschrieben. Aber viele Menschen schreiben es eben groß, weil sie der Meinung sind, es sei ein Nominationsstereotyp, also eine feste Einheit. Stimmt die KMK zu, wird in Zukunft für diese Fügungen aus Adjektiv und Substantiv neben der Kleinschreibung die Großschreibung zugelassen. Außerdem hat der Rat selber entschieden, aus der amtlichen Wortliste einige Variantenschreibungen zu entfernen, also z.B. „Majonäse“ und „Ketschup“. Diese Schreibungen sind ab jetzt nicht mehr zulässig.

Woher nimmt der Duden die Vorlage für die korrekte Rechtschreibung? Gibt es Wörter und Grammatikregeln, die willkürlich festgelegt worden sind?

Zunächst müssen wir sehr sauber unterscheiden, ob wir über Rechtschreibung oder Grammatik reden. Für die Rechtschreibung gibt es das vom Rat für deutsche Rechtschreibung erarbeitete Regelwerk, welches verbindlich für alle ist, die im öffentlichen Bereich arbeiten. Danach richten sich selbstverständlich auch die Wörterbuch-Verlage. Aber natürlich gibt es auch in diesem Regelwerk einige Auslegungsmöglichkeiten. Da obliegt es dann den Wörterbuch-Verlagen, dieses Regelwerk umzusetzen, aber an bestimmten Stellen auch zu interpretieren. In der Grammatik ist es natürlich ein bisschen anders, weil es dort nicht so ein striktes Regelwerk gibt. In diesem Fall ist es also tatsächlich unsere eigene Kompetenz, die Sprache und die Sprachentwicklung zu beobachten, und bei konkreten Zweifelsfällen zu entscheiden, ob wir diese oder jene Variante empfehlen. Wir versuchen auch aufzuzeigen, wohin Sprachentwicklung im Grammatikbereich führen könnte.

Beherrschen Sie selbst alle Regeln der deutschen Rechtschreibung oder müssen Sie auch hin und wieder im Duden nachschlagen?

Nein, leider beherrsche ich nicht alle Regeln. Und zwar weder in der Grammatik noch in der Rechtschreibung. Ich sage an dieser Stelle gerne: „Wir sind die besten Nutzer unserer Werke“. Natürlich haben wir eine Grundsicherheit, aber je mehr man versucht, alle Regeln zu verstehen, desto schwieriger wird das Ganze und desto häufiger hat man auch selber Fragen. Und die Dinge sind im Fluss, deshalb muss man die Regeln öfter überprüfen.

Wie oft wird der Duden neu aufgelegt, wenn, so wie Sie es erläutert haben, ständig kleine Veränderungen angepasst werden?

Da müssen wir wieder unterscheiden, von welchem Duden wir sprechen. Für die meisten ist „Duden“ der gelbe Rechtschreibband, viele beziehen sich aber auch auf duden-online.de. Die beiden Produkte verfügen nicht über denselben Wortbestand; duden-online ist viel umfassender als die gedruckte Fassung. Der Rechtschreibduden als gedrucktes Werk erscheint im Durschnitt alle 3-5 Jahre neu. Für den Online-Duden machen wir viermal im Jahr einen neuen Export, sodass alle Vierteljahre eine neue Variante erscheint. Dort gibt es aber auch die Möglichkeit, Wörter sofort rein- oder rauszunehmen, oder zu korrigieren, wenn etwas ganz Aktuelles passiert.

Wie sieht überhaupt das Tätigkeitsfeld in einer Wörterbuch-Redaktion aus? Könnten Sie einige Aufgabenbereiche beschreiben?

Seitdem der Verlag 2013 von Mannheim nach Berlin gezogen ist, haben sich die Dinge sehr verändert und auch die Redaktion hat sich sehr stark verkleinert. Bis 2013 war es so, dass wir selbst eine sehr große schreibende Redaktion waren und sehr viele Teile der Werke eben auch selbst verfasst haben. Jetzt hingegen sind wir eine kleine Redaktion und arbeiten viel mit externen Autoren zusammen. Der überwiegende Arbeitsbereich ist mittlerweile ganz klar das Projektmanagement; dieser Bereich umfasst Organisationen und Planungen darüber, welches Werk wann erscheinen muss, wie es mit anderen Werken zusammenhängt, welche Autoren dafür gewonnen werden können etc. Außerdem haben wir sehr viele externe Kundendienstmitarbeiter, die zum Beispiel auch die Sprachberatung für uns übernehmen, die wir telefonisch anbieten. Neben organisatorischen Bereichen umfasst unsere Arbeit in der Redaktion auch sehr viel Öffentlichkeitsarbeit, so zum Beispiel die Bespielung sozialer Medien wie Facebook, und außerdem auch Marketing. Grundsätzlich ist ein Arbeitstag in der Redaktion extrem abwechslungsreich; er läuft nie so ab, wie Sie es sich gedacht haben, und in erster Linie muss man sehr flexibel sein.

Was fasziniert Sie an der deutschen Grammatik und Rechtschreibung?

Tatsächlich habe ich den Grammatikunterricht in der Schule schon gerne gemacht. Aber auch während meines Studiums – ich habe Germanistik und Geschichte auf Lehramt studiert – war nach wenigen Wochen klar, dass ich den Fokus auf Sprachwissenschaften legen würde; entgegen meines ursprünglichen Plans, mich auf Literaturwissenschaften zu konzentrieren. Nach meinem Studium habe ich aber erst einmal viele verschiedene Dinge gemacht; ich habe bei einer germanistischen Fachzeitschrift gearbeitet, lange Zeit im Ausland Deutsch unterrichtet, im PR-Bereich gearbeitet und erst danach bin ich zu der Wörterbuch-Redaktion gekommen. Aber was mich an meiner Tätigkeit wirklich fasziniert, ist einerseits die Vielfalt der Tätigkeiten und andererseits die Veränderung der Sprache. Damit meine ich zum Beispiel auch die Auseinandersetzung zwischen Präskription und Deskription. Auf der einen Seite haben wir Sprachbewahrer, die Entwicklungen unserer Sprache nicht zulassen wollen, und auf der anderen Seite diejenigen, die beschreiben, was mit der Sprache passiert und wohin sie sich entwickelt. Zwischen diesen beiden Seiten hängt ein Pendel; mal bewegt es sich stärker zu der einen Seite, mal stärker zu der anderen, dies ist sehr spannend zu beobachten. Außerdem trifft man mit interessanten Leuten zusammen, das finde ich auch faszinierend.

Und wen zum Beispiel treffen Sie so?

Vor allem hervorragende Wissenschaftler, z.B. unsere Grammatikschreiber. Das sind inzwischen 10 hochrangige Professorinnen und Professoren aus dem In- und Ausland. Und wenn man die alle an einem Tisch hat und versucht, ein Werk zusammen zu verfassen, das in sich stimmig ist, ist das schon eine relativ große Herausforderung. Aber eine Herausforderung, die für einen selbst auch wahnsinnig bereichernd ist, weil man einfach sehr viel über Sprachbereiche lernt, in die man sonst nie so tief einsteigen könnte. Außerdem führt unsere Arbeit in der Öffentlichkeit auch zu Bekanntschaften mit z.B. Rappern, Politikern und Schriftstellern.

Um noch einmal auf Ihren Werdegang zurück zu kommen: Sie haben ein Lehramtsstudium begonnen, jedoch eine Tätigkeit im redaktionellen Bereich angenommen. Wollten Sie jemals Lehrerin werden?

Das ist tatsächlich eine schwierige Frage, da ich aus der DDR stamme und es damals mit der Studienwahl etwas schwieriger war, als es heute ist. Ich unterrichte sehr gerne, aber ob ich heutzutage wirklich an einer Schule unterrichten wollen würde, weiß ich nicht. Damals nach dem Studium konnte ich es mir auf jeden Fall vorstellen. Trotzdem habe ich unmittelbar nach dem Abschluss die wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen. Die Stelle bei der Wörterbuch-Redaktion war eigentlich eher zufällig, ich bin erst einmal davon ausgegangen, dass ich Hochschullehrerin werde – und das wäre auch eine gute Wahl gewesen. Aber mit meiner jetzigen Position bin ich sehr zufrieden und ich habe auch inzwischen öfters mal Gelegenheiten, mit Studierenden zusammenzuarbeiten. Das macht mir großen Spaß!

Haben Sie selbst Vorschläge und Tipps für einen Germanistik-Studenten, der im redaktionellen Bereich arbeiten möchte? Allgemein: Versuchen Sie, irgendwie an ein Praktikum zu kommen. Man hat relativ wenige Vorstellungen darüber, was es heißt, diesen Beruf auszuüben. Und der ist ja auch nicht immer gleich, Wörterbuch-Redaktion ist nicht gleich Wörterbuch-Redaktion. Zum Beispiel gibt es die akademischen Wörterbücher; bei diesen schreibt man nur an dem jeweiligen Buch, ist also nicht noch für andere Werke verantwortlich, wie es in den Redaktionen von Duden oder Klett der Fall ist. Wer ein ernsthaftes Interesse hat, sollte vor allem versuchen, in zwei unterschiedlichen Redaktionen ein Praktikum zu machen, da sich die Arbeitsbereiche sehr stark unterscheiden. So sieht man schnell, was einem mehr liegt.

Sollte man denn einen sprachwissenschaftlichen Schwerpunkt haben?

Unsere Redaktion bietet zwei Praktikumsstellen an: eine in der Wörterbuch-Redaktion, da braucht es den Schwerpunkt germanistische Linguistik und das vertiefte Wissen. Wir haben aber auch immer einen Praktikanten im Bereich Sachbuch. Wir publizieren auch für den sogenannten „Nachmittagsmarkt“, hierbei handelt es sich um fachspezifische Lernhilfen für Schülerinnen und Schüler, z.B. für Biologie oder Geschichte. Da braucht es keinen Schwerpunkt in Sprachwissenschaften. Mittlerweile sind wir bei dieser Stelle auch schon so weit gegangen, dass es noch nicht mal ein Germanistik-Studium sein muss. Was man in jedem Falle haben sollte, ist ein betriebswirtschaftliches Verständnis. Wir sind ein privatwirtschaftlicher Verlag ohne Steuergeldzuschüsse, und da geht es darum, Geld zu verdienen. Deshalb ist ein gewisser Blick aufs Marketing sehr wichtig, um die Verkaufschancen des Produktes zu prüfen. Unabdingbar für jeden Lexikografen ist außerdem eine sehr gute Allgemeinbildung und ein großes Interesse an allem, was in der Welt passiert. Schließlich schlagen sich die Dinge irgendwann im Wörterbuch in einer Definition nieder.

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