Stellwerk Magazin

Filmrezension "Ein deutsches Leben"

Vorwort

Brunhilde Pomsel, geboren 1911 in Berlin, arbeitete während des zweiten Weltkriegs als persönliche Sekretärin im Büro von Joseph Goebbels. 2016 sprach sie im Alter von 105 Jahren erstmals öffentlich und vor der Kamera über den Nationalsozialismus und ihre Zeit im Reichspropagandaministerium. Die Erinnerungen Pomsels sind in Zeiten, in denen rechtes Gedankengut wieder vermehrt Zuspruch findet, von erschreckender Aktualität und eine eindringliche Warnung an unsere Generation. Der auf Pomsels Erfahrungen basierende Dokumentarfilm „Ein deutsches Leben“ startet am 6. April in den Kinos.

© Salzgeber & Co. Medien GmbH

Der zweite Weltkrieg, der weltweit mindestens 55 Millionen Menschen das Leben kostete, steht zugleich für den größten Völkermord der Geschichte: etwa sechs Millionen Juden kamen von 1939 bis 1945 unter dem NS-Regime auf eine unvorstellbare Weise ums Leben. Brunhilde Pomsel bezeichnet ihre Rolle im Nationalsozialismus als die einer Nebenfigur; einer Statistin. Dabei arbeitete sie während des zweiten Weltkrieges drei Jahre lang für einen der größten Verbrecher der Geschichte: Von 1942 bis zu seinem Selbstmord am 1. Mai 1945 saß sie als Goebbels persönliche Sekretärin im Reichspropagandaministerium.

Im vergangenen Jahr sprach Pomsel im Rahmen der Dreharbeiten der Filmbiografie „Ein deutsches Leben“ erstmals öffentlich über die Erinnerungen an ihre Jugend und die Kriegszeit. Über insgesamt 13 Tage wurde Pomsel vom „Blackbox-Regie Kollektiv“, bestehend aus den vier österreichischen Regisseuren Christian Krönes, Olaf Müller, Roland Schrotthofer und Florian Weigensamer, interviewt. Der Fokus der Gespräche lag auf den Jahren von 1929 bis 1945; zwischen dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise und dem Erstarken der Nationalsozialisten bis hin zum Anfang, Verlauf und Ende des zweiten Weltkriegs. Auf der Basis des 30 Stunden umfassenden Interviewmaterials entstand nun ein knapp zweistündiger Dokumentarfilm. Die schwarz-weiß gehaltenen Interviewpassagen werden zusätzlich durch Archivmaterial des US Holocaust Memorial Museums und der Steven Spielberg Film and Radio Archives ergänzt und strukturiert – Ausschnitte aus Nachrichten, Aufklärungs- und Propagandafilmen und Reden sowie Zitate werden unbearbeitet und unkommentiert eingesetzt, um „den Zuschauer für die Wirkung von Kriegspropaganda zu sensibilisieren“. Auch die objektive Beurteilung bliebe damit ganz dem Zuschauer überlassen, so die Regisseure.

Pomsel, die während der Dreharbeiten 105 Jahre alt war, erlebte ihre Jugend im Berlin der Zwanziger Jahre. Nach ihrem Schulabschluss machte sie eine Lehre in einem Konfektionshaus, bekam danach jedoch eine Stelle als Sekretärin bei einem jüdischen Rechtsanwalt. Zur gleichen Zeit war sie auch für den Schriftsteller und frühen Nationalsozialisten Wulf Bley tätig. Um eine Stelle beim Rundfunk zu bekommen, trat Pomsel 1933 der NSDAP bei und kam 1942 schließlich in das Büro des Reichspropagandaministers Goebbels. Eine Anhängerin der Nazis sei sie allerdings nicht gewesen, sondern einfach „völlig unaufgeklärt und unpolitisch“. Auch die Schuldfrage beantwortet sie mit einem klaren „Nein“; ohne viel drum herum zu reden: „Ich würde mich nicht als schuldig betrachten. Ich habe nichts Unrechtes getan. Es sei denn, man wirft dem ganzen deutschen Volk vor, dass sie letzten Endes dazu beigetragen haben, dass diese Regierung überhaupt ans Ruder kommt. Das sind wir alle gewesen. Auch ich.“

Aussagen wie diese rufen gemischte Gefühle hervor. Man möchte dieser Frau, die über ein ganzes Jahrhundert alt ist und zwei Weltkriege erlebt hat, nichts Böses unterstellen. Viel zu gebrechlich wirkt sie hinter der Kamera; zu traurig, doch ist sie zugleich unfassbar konzentriert, klar und reflektiert; macht einen intelligenten und vor allem einen sympathischen Eindruck. Gleichzeitig löst gezeigtes Archivmaterial – unter anderem amerikanische Originalaufnahmen der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau – eine unfassbare Wut aus, und zwar auf ausnahmslos jeden, der in irgendeiner Form eine Rolle in den Machenschaften der Nazis gespielt hat, sei sie noch so klein.

Die letzten Kriegstage verbrachte Brunhilde Pomsel mit Kolleginnen und Kollegen im Luftschutzbunker des Propagandaministeriums. Nach dem Mord der sechs Kinder von Magda und Joseph Goebbels und dem anschließenden Suizid des Ehepaars wurde Pomsel von sowjetischen Truppen gefangen genommen. Nach fünfjähriger Gefangenschaft in Russland kehrte sie zurück und bekam eine Stelle als Chefsekretärin bei der ARD. Der Ärger darüber, dass viele vorbelastete Personen nach dem Krieg seelenruhig ihre Karriere fortsetzen konnten, zum Teil auch in recht verantwortungsvollen Positionen, ist mehr als verständlich. Das reduzierte, enorm minimalistisch gehaltene Setting, die extremen Close-Ups des Gesichts der alten Frau und die kontrastreichen Interviewpassagen in schwarz-weiß machen nicht nur die unverwechselbare Ästhetik des Films aus, sondern zwingen den Zuschauer vor allem zur absoluten Aufmerksamkeit; sie lassen keine Ablenkung vom Erzählten zu. Man stellt sich als Zuschauer unweigerlich selbst die Frage der Fragen: Wie hätte ich in einer vergleichbaren Situation gehandelt? Aber können wir diese und ähnliche Fragen tatsächlich aufrichtig beantworten? Wie wäre die Frage nach der Schuld heute objektiv zu klären? Ist Objektivität in diesem Kontext überhaupt möglich?

„Heute versuchen die Menschen es so darzustellen, dass die damals mehr für die armen Juden getan hätten. Ich glaube ihnen ihre ehrliche Absicht, aber in Wahrheit hätten sie auch nichts machen können. Das ganze Land war wie unter einer Glocke. Wir waren selber alle in einem riesigen Konzentrationslager“, erklärt Pomsel die Tatenlosigkeit der Deutschen. Man möchte es ihr wirklich gerne glauben. Brunhilde Pomsel verstarb im Januar diesen Jahres im Alter von 106 Jahren. „Ein deutsches Leben“ feierte 2016 auf dem internationalen Filmfestival für Dokumentarfilme Visions du Réel in Nyon Weltpremiere und kommt am 6. April in die Kinos.

Foto: © Salzgeber & Co. Medien GmbH