Stellwerk Magazin

Rezension Willkommen im Schlachthaus

Vorwort

Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) hinterließ einen unerschöpflichen Pool provokativen Materials an Theaterstücken und Filmen. Als Schauspieler im Kollektiv des „antitheater“ erlebte Fassbinder das Scheitern der Künstlertruppe und thematisierte in seinen Werken immer wieder Gruppendynamiken und ihr Versagen. Von der Ausgrenzung eines Einzelnen zeugt sein 1968 uraufgeführtes Stück „Katzelmacher“. „Was ist das für eine? - Dat isn Flüchtling“ wird auf der Bühne des Theaters der Keller festgestellt. Der Stoff aus Fassbinders Stück „Katzelmacher“ erlebt eine Adaption, die mit Herkunft und Geschlecht der Schutzbedürftigen Akilah spielt. Die Premiere „Katzelmacher“, unter der Regie von Nils Daniel Finckh, fand am 12.10.2017 im Theater der Keller Köln um 20 Uhr statt.

Besetzung: Katharina Abel, Markus J. Bachmann, Paul Behrens, Davina Donaldson, Thekla Viloo Fliesberg, Tatjana Poloczek, Lina Spieth, Jan-Niklas Stephan und Gareth Charles. Regie und Ausstattung: Nils Daniel Finckh Dramaturgie: Barbara Kastner Regieassistenz: Taja Rüger/Sara Bröskamp Kostümassistenz: Milena Gawlick Bühnenbildassistenz: Greta Thiemann

Man nehme eine Axt und ganz viel Kunstblut, so mögen die Spiele beginnen. Es startet die Premiere des Stückes Katzelmacher im Theater der Keller unter der Regie und in der Bühnenfassung von Nils Daniel Finckh. Schauspielstudierende der Schauspielschule Der Keller Köln bilden das Ensemble. 99 Plätze fasst das Theater und genauso viele Augenpaare starren auf einen blutverschmierten Schlachtblock. Die folgenden 70 Minuten wird gebrüllt, geraucht, geknutscht und der Geflüchteten Akilah (Davina Donaldson) das Leben schwer gemacht. In Fassbinders Katzelmacher eskaliert Fremdenfeindlichkeit zu gewalttätigen Angriffen. Der griechische Gastarbeiter Jorgos ist der Brutalität einer in Langweile verharrenden und von Konkurrenz geprägten Gruppe Jugendlicher ausgesetzt.

„Ich möchte den Frauen eine Stimme geben“

Finckh ersetzt den Fassbinderschen „Griech aus Greichenland“ durch Akilah, die Libyerin aus Afrika. Im Programmheft verspricht Finckh die Unterdrückung der Frau herauszuarbeiten. „Ich möchte den Frauen eine Stimme geben“ heißt es da. Die Protagonistin ist jedoch die meiste Zeit stumm. Was ihr wiederum zu einer Autorität und Klugheit verhilft, da der Haufen gammelnder Kettenraucher sich durch seine inhaltslosen Kommentare bloßstellt. Wie ein Alien wird das Frischfleisch angeglotzt. „Was bist du für eine?“ zischt es aus der Ecke. „Dat isn Flüchtling“ stellt der graue Block fest.

Arbeit im Schlachthaus

Aktuelle Bezüge lassen sich der Inszenierung somit schon mal nicht abstreiten. Mit Ablehnung und den brutalen Folgen der Angst vor dem Fremden müssen sich Geflüchtete täglich auseinandersetzten. Mit Gewalt wird auch auf dem, unter Neonröhren karg dämmernden Bühnenraum (Technische Leitung: Markus Haupt) nicht gespart. Was Akilah sucht ist Arbeit. Arbeit gibt es im Schlachthaus bei Elisabeth (Thekla Viloo Fliesberg ). Diese stellt als um sich brüllende, kuschelbedürftige Schlachterin gleich klar: „Die Arbeit ist leicht zu lernen. Aber schnell muss es gehen“. Da wird auf der Schlachterplatte herumgehackt, dass das Kunstblut nur so in den Zuschauerraum spritzt. In der ersten Reihe kratzt man sich amüsiert getrocknete Bröckchen aus den Augenwinkeln.

Ein meltin pot der Dialekte führt durch den Abend. Die kulturellen Unterschiede scheinen schon innerhalb eines Landes unüberwindbar. Als ne echte Kölsche Jung brabbelt Franz (Gareth Charles) seinen miesgelaunten Kollegen unverständlich nach. Meistens wird geschrien. Stimmsitz ist bei den Protagonisten jedenfalls vorhanden. Eine Kompensation der ungefüllten Textpassagen schafft das aber nicht.

„Gefühle sind da auch nicht. Da wird gevögelt und gut.“

Fassbinders Katzelmacher glänzt durch gestochen scharfe Sprach- und Wortwahl. Die Bühnenfassung von Finckh mit den sich ständig wiederholenden Textphrasen zeugt von der immer gleichen erträglichen Bedeutungslosigkeit des Seins. Verschenkt aber die Stärke die durch Knappheit und Schweigen entstehen könnte. Die Figuren erlebt man hauptsächlich als nebligen Pulk. Finckh und Kostümassistenz Milena Gawlick setzen auf einen Graue -Maus -Look. Einzig Rock oder Hoodie unterscheiden die aggressiv kuschelnde Peergroup. Kleine Details wie ein süßes Hündchen (oder ist es gar ein Teddy?) an Pauls (Markus J. Bachmann) Rollkragen zeugen von der infantilen Geistesgegenwart der Wannabes. Unter Zwang kann Bruno (Paul Behrens) die Nähe Akilahs gewinnen. Um die Langeweile zu vertreiben, preist Gunda (Lina Spieth), ihr Akkordeon missbrauchend, das neue Pay-TV (in Fassbinders Original eine Musikbox) im Wirtshaus an, sodass sie die Aufmerksamkeit der gaffenden Meute und des schlaksigen Erich (Jan-Niklas Stephan) von der schönen Fremden auf sich lenken kann.

Die nächsten Termine: ///// 21.10.2017 – 20:00 Uhr, 01.11.2017 – 20:00 Uhr, 03.11.2017 – 20:00 Uhr, 15.11.2017 – 20:00 Uhr, 28.11.2017 – 20:00 Uhr, 03.12.2017 – 18:00 Uhr, 12.12.2017 – 20:00 Uhr, 23.12.2017 – 20:00 Uhr

Schief kanonisierte Choraleinlagen verraten die heuchelnden, frommen Lämmchen, die nicht davor scheuen, der Fremden unter den Rock zu langen. Ingrid (Tatjana Poloczek), im Köln Porz-Chic, trällert im engelsgleichen Sopran und träumt von einer Helene Fischer Gesangskarriere. „Gefühle sind da auch nicht. Da wird gevögelt und gut.“ Vom Vögeln wird Helga (Katharina Abel) schwanger und Freund Paul will sie ertränken. Das ändert nichts am immer gleichen Gefühlszustand der nervenden Clique. Die bockigen Zombies rauchen, knutschen und spielen mit einer Literflasche Kunstblut. Die Eleven und Elevinnen sind alle „Geile Fressen“, wie es lobend im Schauspielfachjargon heißt. Nur zündet der Abend nicht recht. Es plätschert und wabert, wie die rote Flüssigkeit, mit der sich ständig begossen und eingeschmiert wird. Als Szenenstudium im Rahmen der Ausbildung eine absolut gelungene Arbeit, als abendfüllendes Kulturprogramm empfiehlt sich jedoch Schlachtplatte mit Sauerkraut im Wirtshaus um die Ecke. Standing Ovation und Bravorufe beim Schlussapplaus zeugen von einer großen Fangemeinde.

Foto: © MEYER ORIGINALS (v.l.n.r.): Gareth Charles, Lina Spieth, Markus J. Bachmann, Katharina Abel, Tatjana Poloczek, Jan-Niklas Stephan, Paul Behrens