Stellwerk Magazin

Zwischen No-Go-Area und Kunst Hotspot

Vorwort

Es ist der 27. Februar 2018, ein Mittwochnachmittag in der Kölner Neustadt. Die Sonne strahlt auf die Stadt am Rhein und lockt die Kölner aus ihren Häusern. Trotz klirrender Kälte und eisigem Wind scheint es, als lägen Frühlingsgefühle in der Luft. Die Menschen lächeln, Kinder spielen, ein Geschäftsmann hält trotz seines hektischen Alltags kurz inne, um ein paar dieser kostbaren Sonnenstrahlen einzufangen, nichts an dieser harmonischen Kulisse lässt vermuten, dass genau dieser Ort in den letzten Monaten Mittelpunkt diverser Negativ-Schlagzeilen war: Brennpunkt Ebertplatz. No-Go Area. „Angstraum“ – die Liste an angsteinflößenden Synonymen für diesen Platz ist lang. Zugegeben, einen Schönheitswettbewerb wird der Ebertplatz nicht gewinnen. Grau, kalt, und trist, mit dem Charme der 70er-Jahre-Architektur liegt er da, in der Kölner Nordstadt, am Rande des Agnesviertel. Was sich hier jedoch in den letzten Jahren abgespielt hat, wird wohl noch länger nachwirken.

Portrait Meryem Erkus, © Lena Böhm

Es begann nach der Silvesternacht 2015/16: Die Maßnahme der Stadt, die Drogengeschäfte aus der Innenstadt rund um den Dom zu verbannen, hatte zur Folge, dass der Ebertplatz zum Ausweich- und somit schnell zum Ballungsort für die Kölner Drogenkriminalität wurde. Die Unübersichtlichkeit des Platzes mit seinen ober- und unterirdischen Zugängen, schlecht ausgeleuchteten Gängen und Winkeln trug dazu bei, dass der Ebertplatz zu einem ernstzunehmenden Problem für die Stadt Köln wurde. War dieses Problem hausgemacht? Ja – zumindest ein stückweit. Die Lampen sind seit Jahren kaputt, wie lange die Rolltreppen an den Zugängen schon still stehen, weiß keiner mehr so ganz genau. Der Brunnen, der zentrale Mittelpunkt des Platzes, liegt still, trockengelegt aus Kostengründen. Geplante Umbaumaßnahmen bleiben theoretische Konzepte auf dem Papier, sie werden immer wieder vertagt und verschoben, in die Tat umgesetzt werden sie nicht. Kurzum, der Platz, der nebenbei erwähnt immerhin der größte innerstädtische Platz Kölns ist, wurde schon vor einigen Jahren seinem Schicksal überlassen.

Schluss mit lustig, ihr müsst raus

Als Folge der wachsenden Problematik lassen sich diverse, teils fragwürdige Maßnahmen beobachten: Die Pflanzentröge, die dem doch sehr betonlastigen Platz ein wenig grünen Charme verleihen, müssen weichen, ganz nach dem Motto: Wo keine Beete sind, können auch keine Drogenverstecke sein. Unabhängig davon wird den Kunstgalerien, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, diesen urbanen Ort als Raum für die Ausstellung junger Künstler zu nutzen, eine Art „Gelbe Karte“ erteilt, sie dürfen ihre Veranstaltungen ausschließlich in ihren Räumlichkeiten abhalten und den öffentlichen Raum des Platzes nicht mehr nutzen. Nach dem Prinzip: Maximale Abschottung. Die Idee dahinter? Unklar. Eine Entschärfung der Situation tritt jedenfalls nicht ein. Die gehandelten Drogen werden härter, Gewalt brutaler und Konflikte intensiver. Die tödliche Messerattacke im Oktober 2017 ist dann der Höhepunkt des Desasters, der das Fass zum Überlaufen bringt. Es folgt kurz da-rauf der Schock – die Stadt trifft die folgenschwere Entscheidung, die Passage zwischen Eigelstein und Agnesviertel endgültig dicht zu machen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes – die Unterführung soll zugemauert werden. Für die vier Kunstgalerien, die African Drum Bar, den Bistro Treff und den Copyshop, die ihre Standpunkte in den Passagen haben, bedeutet das: Schluss mit lustig, ihr müsst raus. Die Verantwortlichen der Galerien erhalten eine Kündigung, eine davon schriftlich, die restlichen telefonisch. Jetzt soll wohl alles ganz schnell gehen.

#reclaimebertplatz

Doch so einfach, wie die Stadtverwaltung sich diese Eliminierung gedacht hat, wird sie ihnen nicht gemacht. Die Galeriebetreiber machen auf die Situation aufmerksam, sie rebellieren, bestehen auf vertraglich geregelte Kündigungsfristen. Unter dem Hashtag #reclaimebertplatz machen sich Bürger für die Erhaltung der Passagen stark. Im November startet DIE PARTEI eine Protestaktion am Kölner Rathaus, wo in den folgenden Wochen über den Ebertplatz entschieden wird. Das Motto: Wer uns einmauern will, um Probleme zu beseitigen, wird eingemauert, um unsere Probleme zu beseitigen. Es wird klar, so schnell lassen sich die Kölner diesen öffentlichen Raum nicht nehmen. Und siehe da, ihr Aktionismus wird belohnt. Nach zähen Verhandlungen, Gesprächen und Aktionen entscheidet sich der Rat Ende des Jahres 2017 gegen die stumpfe Zumauerung des Platzes und für die Entwicklung neuer Konzepte. So weit so gut, doch wie geht es jetzt weiter? Wir haben Meryem Erkus, eine Mitbetreiberin der Galerie GOLD+BETON, zum Gespräch getroffen und mit ihr über die turbulente Vergangenheit und die unsichere Zukunft des Ebertplatzes gesprochen.

Foto: © Caroline Kox

Meryem, wie kommt man darauf, einen Kunstraum wie GOLD+BETON am Ebertplatz zu gründen?

MERYEM: Ich bin hier seit 2013, da habe ich den Raum eröffnet. Vorher hatte ich bereits in Kalk einen kleinen Raum, die Baustelle Kalk, der war da vielleicht gerade zwei Jahre alt. Da hatte ich schon ein klein bisschen Blut geleckt, was DIY und Self-Empowerment angeht, und was man ja doch alles einfach aus eigenen Kräften heraus umsetzen kann. Als mir dann plötzlich die Information zugetragen wurde, dass die Vormieter da rauswollten, habe ich nachts noch einem Freund von mir geschrieben „Hey, ich will in deinen Raum,“ und morgens hat er dann geantwortet: „Kannste haben!“ – total cool also. Das war die Gelegenheit, der Ebertplatz ist für mich eh immer schon ein ganz spezieller Ort gewesen, wie man hier herumtoben kann, das ist auf jeden Fall eine Besonderheit für Köln. In den Jahren vorher gab es hier echt unglaubliche Aktionen, vom Single-Club, der bis morgens um zehn ging und in eine spontane Pseudo-Studentendemo umgewandelt wurde, damit die Polizei uns in Ruhe lässt, zu gemeinsamen Öffnungsabenden und Konzerten. Hier hat man sich zumindest mal ein bisschen großstädtisch gefühlt. Eine Seite von Köln, die man so eigentlich nicht kennt. Darin lag für mich immer schon eine Art Faszination, niemals hätte ich aber daran gedacht, dass ich hier auch mal was machen könnte. Als sich dann die Gelegenheit bot, habe ich mich sofort dafür eingesetzt.

Der Ebertplatz war also auch schon immer ein Ort mit Geschichte für dich, richtig?

MERYEM: Auf jeden Fall, hier gibt’s ja schon wirklich ’ne längere Geschichte, was Kunst angeht. Wir sind hier unten vier Kunsträume, der erste war das Labor, da standen hier teilweise auch noch die anderen Läden leer. Später kam dann Bruch & Dallas dazu, und so hat sich das dann immer weiterentwickelt.

In den Medien wird der Ebertplatz oft verteufelt und es wird auch von einem „Angstraum“ gesprochen. Hast du dich hier schon einmal unsicher gefühlt oder schätzt du es auch selbst wirklich als gefährlich hier ein?

MERYEM: Nein. Wir werden hier nie bedroht, wir können uns hier ganz normal bewegen. Ich arbeite hier teilweise bis vier Uhr nachts, das ist kein Problem. Wenn ich meine Ruhe haben will, schließe ich die Türe ab, weil ich dann Musik höre und einfach nicht darauf achten will, ob jemand reinkommt. Wir fühlen uns nicht bedroht, weil wir nichts mit den Konflikten zu tun haben, die hier untereinander herrschen. Wenn hier was passiert, dann hat das in erster Linie nichts mit uns zu tun, sondern das sind dann Stressereien untereinander. An den Ringen fühle ich mich zu einer bestimmten Zeit freitags oder samstags unwohler.

Wenn man die jetzige Diskussion online verfolgt, wird einem bewusst, dass die Situation ein einziges Durcheinander aus verschiedenen Interessensparteien zu sein scheint. Wie konnte es so weit kommen und warum wurde dieses Potential, das du 2013 gesehen hast, nicht weiter ausgenutzt?

MERYEM: Es gibt verschiedene Lobbys, was den Ebertplatz angeht. Es gibt nicht nur verschiedene Verantwortlichkeiten, was bedeutet, dass es bisher auch immer schwierig war, den richtigen Ansprechpartner für konkrete Fragen und Anliegen zu finden. Denn mal ist das Ordnungsamt zuständig, mal die KVB, mal das Kulturamt oder das Straßenamt. Dadurch, dass der Platz so lobbybehaftet ist, gibt es gewisse Lager, von denen wir vielleicht auch gar nichts mitbekommen haben, wir sind ja mehr oder weniger safe mit unserer Arbeit hier unten gewesen. Wir haben die vollste Unterstützung vom Kulturamt, wir haben von vielen Seiten der Politik immer Unterstützung erfahren. Es gibt aber auch andere Stellen, die per se weniger auf das Inhaltliche achten, die also vielleicht gar nicht erst fragen, was es hier gibt. Das ist ein wichtiger Konfliktindikator, dass die eine Stelle nicht unbedingt weiß, was die andere macht.

Dann ist dieser Konflikt natürlich auch ein bisschen willkürlich geworden, also dass sich der neue Stadtdirektor etwa das mit der Mauer in den Kopf gesetzt hat und auf Teufel komm raus umsetzen wollte. Nach der Entscheidung im Stadtrat, den Platz nicht zuzumauern, hat er keine offizielle Reaktion gezeigt. Der letzte Stand ist, dass er noch immer für das Zumauern plädiert, auch wenn sich die Politik einstimmig dagegen entschieden hat. Das sind also ganz viele verschiedene Momente, die sich in einer Art Spirale zusammengefügt haben und dann am Ende in einen Kündigungseklat ausgeartet sind. Was aber im Nachhinein vielleicht irgendwie doch das Beste ist, was uns hätte passieren können. Jetzt erst wird nach Verantwortlichkeiten und zentralen Ansprechpartnern gesucht und Förderungsprogramme werden für den Platz initiiert. Das alles passiert im Schulterschluss mit der Stadt, das gab es vorher nicht.

Ihr erarbeitet also zusammen mit der Stadt neue Konzepte für den Ebertplatz?

MERYEM: Es gibt intensive Arbeitsgruppen, in denen u.a. Ansprechpartner vom Ordnungsamt, vom Stadtraummanagement und vom Kulturamt sitzen. Hier erarbeiten wir alle zusammen ganz neue Konzepte, das ist ein sehr demokratisierender Prozess. Wir sind nicht die einzige Institution hier unten, die in Zukunft am Platz agieren wird, da sind verschiedene Instanzen dabei. Das ist eine richtig großformatige Situation. Das Inhaltliche, also die Ideen umzusetzen, ist quasi das Ziel. Dadurch, dass wir so eng mit der Stadt zusammenarbeiten und alles jetzt auch ein ein städtisches Projekt ist, müssen vorher natürlich ganz andere Mechanismen und Strukturen formuliert werden. Das ist eine zähe Angelegenheit, aber wir sind jetzt schon daran beteiligt. Wir planen, dass man sich in Zukunft auch mehrmals im Monat im African Drum über neue Ideen für den Platz austauschen kann. Momentan erarbeiten wir ein Zwischennutzungskonzept. Dass der Gesamtumbau des Ebertplatzes irgendwann bevorsteht, das ist völlig selbstverständlich. Im Idealfall arbeiten wir jetzt auch schon auf ein größeres Umbaukonzept hin, das beispielsweise prozessual funktioniert, so dass nicht einfach der gesamte Platz für mehrere Jahre dicht gemacht wird.

Findest du, dass Köln sich als Kulturmetropole sehen lassen kann?

MERYEM: Was man auf jeden Fall sieht ist, dass die Identität der Stadt ein großes Defizit an Kulturselbstverständnis hat. Wir haben 2018! Aber einem Großteil der Stadtverantwortlichen ist es immer noch nicht bewusst, dass Freiräume zu einer Großstadt dazugehören. Was Köln gerade an manchen Stel-len macht, das kenne ich aus Städten, in denen man über die Köpfe der Bürgerinnen und Bürger hinweg entscheidet. Dass hier seit 2002 keine Kunsthalle existiert, ist einfach eine Peinlichkeit. Man fährt 40 Minuten raus nach Düsseldorf, Bonn oder Aachen und erfährt überall mehr Hochschätzung für Kultur im Bereich gegenwärtiger und aktueller Kunst als hier. Wir haben zwar das Museum Ludwig, da kann man sich aber nicht die ganze Zeit drauf ausruhen. Wenn dann auch noch im Kern die Kultur blockiert wird, die sich selber quasi aus einer Not heraus entwickelt, dann ist das wirklich eine Schweinerei, die dazu führt, dass man Köln nicht als Kulturstadt ansehen kann. Da mangelt es auf jeden Fall an progressivem Selbstverständnis.

Das Photo/Konzept des Kölner Architekten und Künstlers Jonathan Haehn für die Kunsthalle Ebertplatz | © Jonathan Haehn

Was wünschst du dir für die nahe Zukunft? Was soll und muss am Ebertplatz passieren?

MERYEM: Wir persönlich finden es ja gut hier. Ich habe mir diesen Status Quo hier unten selber ausgesucht. Dass der Ebertplatz generell wieder ein Versammlungsort wird und zwar nicht nur von unserer Kunstszene, sondern von allen wieder angenommen wird. Dass Werbung für den Platz und nicht für den „Angstraum“ gemacht wird, daran arbeiten wir. Der Platz soll einfach wieder als freier Platz gesehen werden. Alle anderen Plätze sind verbaut, der Ebertplatz ist noch immer der größte innerstädtische Platz. Wir sind zuversichtlich, dass wir im Sommer schon ganz viele Programme haben werden, die nicht nur alle auf uns haften.

Danke für das Gespräch, Meryem!

Bunt, politisch, aktivistisch – das ist nicht nur Meryem, sondern das sind alle Akteure, die sich in diesem zähen Kampf gegen den bürokratischen Drachen, der die Stadt Köln an manchen Stellen zu sein scheint, eingesetzt haben. Es gibt viele Ideen, wie der Ebertplatz in Zukunft gestaltet werden könnte: Festivals, Kunstausstellungen, Konzerte und Performances, die dazu beitragen könnten, diesen öffentlichen Raum wieder zu einer kulturellen Begegnungsstätte für Jedermann zu machen. Welche Konzepte, wie und vor allem wann umgesetzt werden können, wird die Zukunft zeigen. Es bleibt also spannend! Wir freuen uns, dass es am Ebertplatz wieder bergauf geht und sind optimistisch, dass Köln diesen öffentlichen Raum für urbane Kunst und Kultur nicht verlieren wird.

TERMINE 2018

17.3. Tinder Tendencies (Lesung im Rahmen der aktuellen Ausstellung) 23.3. GOLD+BETON at NEUER AACHENER KUNSTVEREIN 29.3. Marie Claire Delarber (Konzert im Rahmen der aktuellen Ausstellung) 31.3. Köln ist Kaput mit Sonae und Gora Sou 1.4. Hallo Studio Folge III (Livestream der neuen Episode von hallostudio.de) 6.4. Akademie x Ebertplatz 13.4. Eröffnung: Finn Wagner 18.4. Art Cologne Late Night View + Opening FAR OFF 19.-22.4. FAR OFF am Ebertplatz 20.5. Eröffnung: LECKHAUS 19.6. Maitres Fous (Konzert)

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