Stellwerk Magazin

Rezension Draußen vor der Tür

Vorwort

Den großen Publikumserfolg seines Dramas Draußen vor der Tür erlebt Wolfgang Borchert nicht mehr: Am 20. November 1947, einen Tag vor der Theateruraufführung, stirbt er mit nur 26 Jahren. In dem Stück bereitet er seine Erfahrungen als Kriegsheimkehrer auf und wird damit zum Sprachrohr einer ganzen Generation junger Männer im Nachkriegsdeutschland. Posthum wird der bis dahin unbekannte Autor mit seinem Stück über den Unteroffizier Beckmann, der auf der Suche nach dem Sinn im (Weiter-)Leben ist, innerhalb kürzester Zeit berühmt.

Charlotte Sprenger inszeniert das in gerade einmal acht Tagen entstandene Stück Borcherts für die aktuelle Spielzeit am Schauspiel Köln und gewährt dem Zuschauer auf eindrucksvolle Weise einen Blick in die Gefühlswelt der jungen Männer, die im zweiten Weltkrieg als Kanonenfutter verfeuert wurden.

  • Besetzung: Laura Friedmann, Margot Gödrös, Sabine Orléans, Elias Reichert, Ida Fayl, Ruth Grubenbecher

  • Regie: Charlotte Sprenger

  • Licht: Matthias Singer

  • Kostüme: Aleksandra Pavlović

  • Musik: Julian Stetter

  • Dramaturgie: Sarah Lorenz

„Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“, diesen Untertitel gibt Wolfgang Borchert seinem Stück Draußen vor der Tür. Dass es durchaus Theater gibt, die dieses Stück spielen wollen und dass es auch an Publikum nicht mangelt, davon kann man sich aktuell noch im Schauspiel Köln überzeugen. Draußen vor der Tür handelt von der Rückkehr des Unteroffiziers Beckmann aus russischer Kriegsgefangenschaft. Der Krieg, die dreijährige Gefangenschaft und der omnipräsente Tod – Beckmann ist mit seinen Kräften am Ende und nur noch ein Schatten seiner selbst. Er sehnt sich nach seinem Zuhause, doch dort ist kein Platz mehr für ihn: In seinem Bett bei seiner Frau liegt nun ein anderer Mann. Und sein Platz? Ja, der ist draußen vor der Tür. Der einzig mögliche Zufluchtsort scheint da der Grund der Elbe. Aber auch hier findet er keinen Platz, denn auch hier lautet die Antwort: „Ich will dein armseliges bisschen Leben nicht.“ Und so wird er von der Elbe dazu angehalten, es nochmal zu versuchen, noch nicht zu sterben. Schließlich trifft er auf den Anderen, den jeder kennt. Dieser schickt ihn auf die Suche nach einer offenen Tür und will ihn überzeugen, dass es einen Grund gibt weiterzuleben. Traumwandelnd begegnet Beckmann den unterschiedlichsten Personen.

Von der Elbe in Blankenese wieder ausgespuckt, am Strand liegend, trifft er ein Mädchen, das ihn aus Mitleid mit zu sich nach Hause nimmt. Diese Begebenheit lässt Beckmann wieder neuen Lebensmut schöpfen. Doch plötzlich taucht auch der seit drei Jahren in Stalingrad vermisste Mann der jungen Frau wieder auf und verlangt seinen Platz zurück. Da Beckmann während des Kriegs der Unteroffizier des Einbeinigen gewesen ist, fühlt er sich für dessen Verstümmelung sowie für den Tod von elf Soldaten verantwortlich. Die nächste Tür, an die Beckmann also klopft, ist die seines ehemaligen Oberst, dem er nun die Verantwortung zurückgeben will. Dieser sitzt fett und satt in seiner warmen Stube, hat die Vergangenheit völlig hinter sich gelassen und tut die Schilderungen Beckmanns als Kabarettnummer eines Komikers ab. Er gibt dem schäbig gekleideten Beckmann den Rat, erst einmal wieder ein Mensch zu werden.

Doch was heißt es überhaupt, in diesen trostlosen Zeiten, in denen ein Großteil der Menschen einfach weiterzumachen scheint und diejenigen, die die Erinnerungen nicht los lassen können, zugrunde gehen, Mensch zu sein? Beckmann ist einer von denen, die die Vergangenheit und damit einhergehend die Erinnerungen nicht so einfach hinter sich lassen können, und er will der Wahrheit auch kein neues oder heiteres Kostüm überziehen. Der Direktor eines Kabaretts, bei dem Beckmann auf der Suche nach einer Erwerbsmöglichkeit vorspricht, ist jedoch der Meinung, dass von der ungeschönten Wahrheit niemand mehr etwas wissen wolle. Und so wird Beckmann erneut abgewiesen. Schließlich klopft er an die Tür seines Elternhauses. Diese wird von einer fremden Frau geöffnet, die ihm zugleich ohne jegliche Empathie mitteilt, dass seine Eltern sich mithilfe von Gas selbst ‚entnazifiziert‘ hätten. Beckmann ist mit seinen Kräften völlig am Ende. Keine Tür steht für ihn offen und so befindet er sich draußen vor der Tür des Lebens wie auch vor der des Todes – die Schwelle hat er noch nicht überschritten.

Gegen das Vergessen

Die Inszenierung von Charlotte Sprenger hat keine klassische 1:1 Besetzung. Denn die verschiedenen Personen sowie die allegorischen Figuren des Dramas werden abwechselnd von den unterschiedlichen Darstellern gespielt. Beispielsweise wird das Mädchen, das Beckmann retten will, zunächst einmal von der 1939 geborenen Margot Gödrös gespielt, um dann von der jungen Schauspielerin Laura Friedmann verkörpert zu werden. Auf diese Weise wird hervorragend die Austauschbarkeit des Menschen dargestellt. Es sind keine Individuen mit vielschichtigen Charakter, sondern vielmehr schemenhafte Figuren. Beckmann selbst wird fast kontinuierlich von Elias Reichert gespielt, der durch eine hervorragende Spielweise und ein beeindruckendes Gespür für die passenden Töne an den entscheidenden Stellen überzeugt. Dadurch, dass der junge Kriegsheimkehrer den Großteil des Stückes von ein und demselben Schauspieler verkörpert wird, ist er die einzige Figur mit Tiefe und Charakter. Zum Ende des Stückes wird aber auch der Protagonist von den übrigen Schauspielern dargestellt. Beckmann hat keine offene Tür gefunden und er spürt, dass in dieser seelenlosen Gesellschaft kein Platz mehr für ihn ist; er ist eine der zahlreichen verlorenen Seelen, die aus dem Krieg heimgekehrt sind und steht zum Ende hin demnach nicht mehr als das Individuum Beckmann auf der Bühne, sondern als Verkörperung aller Soldaten, die vom System als Kanonenfutter verfeuert wurden. Interessant ist darüber hinaus, dass am Ende der Inszenierung alle Personen Kostüme tragen, die an Narren erinnern. Dies vermag auf den ersten Blick grotesk anmuten, doch letztlich ist der Krieg ja genau das. Wenn Menschen als Kanonenfutter verfeuert und dann völlig ausgebrannt zurückkehren – ja, wenn sie denn überhaupt zurückkehren – und schließlich draußen vor der Tür stehen müssen, dann kommt man um das Wort grotesk wahrlich nicht herum.

Das Bühnenbild besteht aus schillernden Campingzelten, einer übergroßen Folie, die sich über der Bühne wölbt und einer Art Granulat, das grünblau den Boden bedeckt. Dies alles unterstreicht das traumwandlerische Geschehen und Beckmanns Suche nach einem Platz in der Gesellschaft. Durch die Zeltlandschaft wird weiterhin der provisorische Zustand eines Deutschlands in Trümmern unterstrichen. Viele Menschen haben gar kein Zuhause und selbst wer hinter einer der Türen ein Heim hat, lebt oft eher in einem Notbehelf. Darüber hinaus symbolisieren die Zelte die verschiedenen Türen; durch die Beckmann immer nur kurzeitig eingelassen wird. In jedem Moment, in dem Beckmann von der Folie verdeckt und nur noch schemenhaft zu erkennen ist, wird seine Isolation von der Gesellschaft einmal mehr deutlich. Niemand nimmt ihn richtig wahr: Er ist Teil einer Vergangenheit, die in der Erinnerung immer blasser wird, denn die Gesellschaft will nicht mehr an die Kriegsjahre zurückdenken. Bei jedem Eintritt durch eine Tür, fungiert er als Mahnmal, um das Vergessen aufzuhalten.

Weitere Vorstellungen: ////////// 26.12., 28.12. 2018 um 20 Uhr ///// 05.01., 09.01. & 10.01.2019 um 20 Uhr

Die Szene, in der Beckmann unter der riesigen Folie vergraben ist, wodurch seine Isolation von der Gesellschaft umso deutlicher wird, findet eine musikalische Untermalung durch eine etwas abgewandelte Version des Lieds "Survivor" von Destiny's Child. Auch wenn die Auswahl des Titels etwas plakativ scheinen mag, so findet die Stimmung durch dieses Lied eine passende Untermalung. Trotz dessen, dass er genau genommen ein ‚Survivor‘ des Kriegs ist, so ist sein Innerstes an der Zurückweisung durch die Gesellschaft zerbrochen – und auch wenn er also physisch noch am Leben ist, so ist seine Seele letztlich schon gestorben. Wenn Beckmann sich zum Abschluss unter die Zuschauer begibt und die Frage stellt, ob er weitermachen und weiterleben solle, wird das Publikum noch einmal explizit zum Nachdenken aufgefordert. Auf diese Weise legt er die Schablone einer anonymen und gleichgültigen Gesellschaft der späten 1940er Jahre auf das Publikum der Gegenwart. Charlotte Sprenger gelingt es in ihrer Inszenierung auf beeindruckende Weise, das Gefühl einer ganzen Generation von Kriegsheimkehrern aus dem zweiten Weltkrieg auf die Theaterbühne zu bringen. Auf schonungslose Weise wird mit der Gesellschaft der Nachkriegszeit bis heute abgerechnet. Angesichts einer Gesellschaft, die vollkommen abgestumpft ist, weil sie schon zu viel gesehen und zu viele Tote zu beklagen hat, die man ja nicht mehr alle beweinen kann, verlässt man als Zuschauer mit einem beklemmenden Gefühl den Bühnenraum.

Alles in allem handelt es sich um eine wirklich großartige Inszenierung einer jungen Regisseurin, die deutlich macht, dass das Stück Draußen vor der Tür von Wolfgang Borchert auch heute – mehr als 70 Jahre nach der Uraufführung – nichts von seiner Aktualität verloren hat. Der bildungsbürgerliche Theaterbesucher wird dazu eingeladen, sich eingehend mit sich auseinanderzusetzen. Denn wie Borchert schreibt: „... in den weichen Sessel gesetzt und Dostojewski gelesen. Oder Gorki. Das ist herrlich, wenn man satt und warm ist, vom Leben anderer Leute zu lesen und so recht mitleidig zu seufzen.“1Borchert, Wolfgang: Draußen vor der Tür, Köln 2018, S. 68. Denn wie oft empfinden auch wir zwar theoretisch Empathie und Mitleid, verschließen aber in der alltäglichen Praxis die Augen vor dem Schicksal derjenigen, die als Opfer der Willkür von Machthabern ihre Heimat verloren haben und nun draußen vor der Tür stehen...

Foto: Ana Lukenda