Stellwerk Magazin

Poetica 5 Jo Shapcott

Vorwort

Jo Shapcott wurde 1953 in London geboren und studierte am Trinity College in Dublin und in Harvard. Für ihre Lyrikbände erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, wie etwa die „Queen’s Gold Medal for Poetry“, einen britischen Literaturpreis, der zum ersten Mal 1933 von King George V für exzellente Lyrik verliehen wurde. Als Professorin am Royal Holloway College in London, unterrichtet sie „Creative Writing“ und war mehrfach als Jurorin in Nachwuchswettbewerben tätig. Viele Jahre lang übersetzte und adaptierte sie Gedichte von Rainer Maria Rilke und kollaborierte mit Musikern und Komponisten, um Lyrik und Musik zu vereinen.

Die Lyrik ist für Jo Shapcott die Sprache, die Menschen in Momenten der „high emotion“1Jo Shapcott in einem Interview mit „The Poetry Archive”. https://www.poetryarchive.org/interview/jo-shapcott-interview sprechen, immer dann, wenn etwas Wichtiges oder Tragisches passiert. Ihre Gedichte bedienen sich meist bizarrer Perspektiven und nicht selten surrealem Witz, der durch eine leichte, oftmals auch umgangssprachliche Wortwahl getragen wird. Außergewöhnliche Ideen, beeinflusst von Popkultur und der Sprache der Wissenschaften, beispielsweise der Biologie oder Medizin, liefern interessante Blickwinkel. Ein Beispiel hierfür ist das Comicmädchen in „A Bubble Stem of Grace“, das über sein Denken und Fühlen im begrenzten Raum des Comics, dem „Schluckauf weißen Raumes“2Jo Shapcott: A Bubble Stem of Grace. In: Dies: Of Mutability. Faber & Faber 2011., spricht. Eine ihrer berühmtesten Gedichtreihen ist „Mad Cow“. Shapcott schreibt darin über eine vom Rinderwahn befallene Kuh und greift dabei verschiedene Perspektiven auf. In „The Mad Cow Talks Back“ schildert Shapcott die Erlebnisse und Eigenwahrnehmung der Kuh aus deren Perspektive.

Shapcotts Gedichte befassen sich häufiger mit Tieren. In ihren Bienen-Gedichten „Six Bee Poems“ lotet sie das Verhältnis von Mensch und Tier aus. Fortlaufend gelesen formen die sechs Gedichte eine kohärente Geschichte, die von einer vergangenen Liebe und deren Vermächtnis erzählt.

„Er verschwand für immer am frühen Morgen mit nichts / als einem Buch, das er fest in der linken Hand hielt“3Jo Shapcott: „I Tell the Bees” (2011) | https://poetrysociety.org.uk/poems/six-bee-poems/

So lauten die ersten beiden Zeilen des ersten Gedichts „I Tell the Bees“. Der Titel, zusammen mit den ersten Zeilen, erzählt bereits eine Menge über die Verortung des Gedichts. Shapcott erzählt von der Tradition der Bienenzüchter, nach der die Bienen über den Tod eines Bienenzüchters informiert werden müssen, da sie andernfalls davonfliegen. Sind die Bienen als handelnde Figuren zu Beginn noch Beiwerk, verschmilzt Shapcott diese mit jedem neuen Gedicht mehr und mehr mit dem Menschen, bis dieser sich selbst in „The Hive“, dem dritten Gedicht, zum Bienenstock verwandelt.

„Der Staat wuchs den Sommer über in meinem Leib / Die Lücken zwischen meinen Knochen füllten sich / mit Honigwaben und mein Brustkorb / vibrierte und summte.“4Jo Shapcott: „I Tell the Bees” (2011) | https://poetrysociety.org.uk/poems/six-bee-poems/

Ebenso verschmilzt der Leser immer mehr mit dem Text, dessen ausdrucksstarke Bilder und leichte Lesart nicht nur das lyrische Ich berauschen. Nach der letzten Zeile verbleiben beide außer Atmen und sehnen sich zurück zum Höhepunkt. Nach dem tragischen Auftakt, ein tragischer Abschluss, der schöner kaum sein könnte.

Jo Shapcott wird im Rahmen der Poetica 5 am Donnerstag, den 24. Januar 2019 um 19.30 Uhr, im Alten Pfandhaus in Köln lesen. Die Veranstaltung findet in deutscher und englischer Sprache statt, die gelesenen Texte werden simultan übersetzt. Karten gibt es für 8€/ 6€ an der Abendkasse.

Foto: © Rachel Shapcott