Stellwerk Magazin

POETICA 5 Agi Mishol

Vorwort

1972 veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband unter dem Titel „Nanny and both of us“ (Nanny ve-Shneinu). Seitdem ist das Werk der israelischen Schriftstellerin vielfach übersetzt und mit Preisen ausgezeichnet worden. Nun ist Agi Mishol als eine von acht geladenen Autoren zu Gast auf der Poetica 5, die sich in diesem Jahr unter der kuratorischen Leitung von Aris Fioretos ganz dem Thema „Rausch. States of Euphoria“ widmet.

„Ein Tintenfleck, der sich auf einem Gewebe ausbreitet“.1Mishol, Agi: Ein Gedicht schreiben. In: Texte zur Poetica 5, 2019. Was passiert im Kopf einer Autorin, wenn sie schreibt? Laut Agi Mishol eigentlich nicht besonders viel. Schreiben ist für sie nicht Konzentration und Fokus, es ist „faktisch das Gegenteil“.2Ebd. Für die 1946 geborene, israelische Schriftstellerin geht es um den Zustand dazwischen, den „starren Zwischenraum, zwischen [ihr] und dem Gedicht.“3Ebd. Dieses Gefühl zu erreichen, ermöglicht ihren schöpferischen Prozess. Er scheint gut zu funktionieren, denn für ihr literarisches Werk bekam Mishol den Israeli-Prime-Minister-Preis (1995), den Kugel Literary Award (2000), den Yehuda-Amichai-Preis (2002) und den Dolitsky-Preis (2007), sowie drei Ehrendoktorwürden. Die Frau weiß also, wovon sie spricht, wenn sie vom Schreiben redet. Doch wie genau erreicht man diesen „starren Zwischenraum“?

„Entspannt und gespannt zugleich“4Ebd.

Mishol vergleicht diese Anstrengung mit einer, die keine ist. Wach soll man sein, aber nicht überreizt. Anwesend, aber nicht einnehmend. Um in den schöpferischen Raum einzutreten, den Zustand der Kreativität zu erreichen, muss man ungewollt wollen. So wie Atrjéu aus Michael Endes Unendlicher Geschichte, der vor dem letzten Tor steht, „in das er nur eintreten können wird, wenn er auf den Willen einzutreten verzichtet“ .5Ebd. Über sich selbst sagt Agi Mishol: „Nichts liebe ich mehr als Starren und bin ziemlich talentiert im Hindösen.“6Ebd. Starren und Dösen markieren ihr zufolge nämlich die Ausgangslage, in der sich auch Newton und Archimedes bei ihren physikalischen Entdeckungen befanden. Sie sind die Grundvoraussetzung, für das, was der Künstler zu leisten vermag, bevor er loslassen und sich einem gottähnlichen Zustand überantworten muss, an dessen Ende das Werk stehen kann: „Und dann, wie bei den Glücksmaschinen, bleiben drei Hasen in einer Reihe stehen und danach ertönt das jauchzende Gewinnklingeln des Münzenstroms.“7Ebd.

Im Zwischenraum zur Offenbarung

Die Gedichte Mishols fangen genau diesen Moment ein und verschaffen so einen Zugang zum Denken der Autorin. In ihrem Gedicht Offenbarung trifft der Leser auf ein aufnahmebereites lyrisches Ich, das durch seinen entspannt-gespannten Zustand von einer banalen Situation in die Empfängnis einer Idee versetzt wird:

Alles ist erstarrt

Als sich mir der Engel der zwei Augenblicke offenbarte.

Ich stand, dem Fenster zugewandt

Und bereitete Salat vor.

Das Messer war dabei

Die glatte Haut der Tomate zu verletzen

Meine Zellen waren elektrisiert und der Körper

anwesend, anwesend,

das Rückgrat stieg,

aus einem Becken, schwer wie ein Blumentopf. […]8Mishol, Agi: Offenbarung. Gedicht. In: Texte zur Poetica 5, 2019

Man darf gespannt sein, was Agi Mishol im Rahmen der fünften Poetica in Köln zum Thema Rausch zu sagen hat. Zur Einstimmung auf den Zustand „in dem man es nur geschehen lassen [muss], ohne es zu stören“9Mishol, Agi: Ein Gedicht schreiben. In: Texte zur Poetica 5, 2019 tritt Agi Mishol am 21. Januar 2019 gemeinsam mit den anderen Autoren der diesjährigen Poetica in der Aula II der Universität zu Köln auf. Am 22. Januar diskutiert sie dann zusammen mit Christian Kracht und Mircea Cărtărescu in der Zentralbibliothek der Stadtbibliothek Köln über „Angeregte Zustände“. Zum Abschluss, am 26. Januar, wird Agi Mishol noch bei der szenischen Installation „Rausch. States of Euphoria“ im Schauspiel Köln mitwirken, wo sich die zweite Klammer des diesjährigen Zwischenraums der Poetica 5 schließen wird.

Foto: © Rami Naim