Stellwerk Magazin

Miniaturen des Alltags

Vorwort

„Miniaturen des Alltags” ist der Titel einer STELLWERK-Serie, die eine Reihe von Texten zu alltäglichen Beobachtungen vereint, die im Rahmen eines schreibpraktischen Seminars am Institut für deutsche Sprache und Literatur I an der Universität zu Köln entstanden sind.

DIE KNEIPE GEGENÜBER

Langsam nähert sich ein alter, gebrechlicher Mann vornüber gebeugt auf seinem klapprigen und quietschenden Rollator der Kneipe. Seine Baskenmütze, unter der weiße Haare hervorkräuseln, rutscht ihm tief ins faltige Gesicht. Trotz kaltem Novemberregen und Sturm setzt er sich auf einen der rostigen Stühle vor der Kneipe. Regungslos sitzt er dort, dick eingepackt in seinem beigen Mantel und schaut ins Leere. Die Menschen, die an ihm vorbeihasten und sich an ihren Regenschirmen festklammern, beachten ihn gar nicht. Erst nach einer knappen halben Stunde bemerkt die Kneipenwirtin, die fröstelnd auf die Straße tritt und eine Tüte Müll in die Tonne wirft, ihren Gast. Ohne eine Bestellung aufzunehmen, verschwindet sie wieder ins Dunkle der Kneipe. Kurze Zeit später erscheint sie mit einem Glas Kölsch und stellt es dem Herrn auf den wackligen Tisch. Mit hochgezogenen Schultern setzt sich die Frau neben ihn, zündet sich eine Zigarette an, schlägt ihre Beine übereinander, umfasst mit ihrem linken Arm bibbernd ihren Bauch und beginnt eine Unterhaltung mit ihm. Für die Länge einer Zigarette sprechen die beiden freundlich vertraut miteinander, dann drückt die Wirtin ihre Zigarette aus, steht auf, legt für einen kurzen Moment ihre Hand auf die Schulter des Mannes und geht wieder hinein ins Warme. Er lächelt.

SCHROTT-TRISTESSE

Seit einem Monat liegt ein nicht abgeholter Sperrmüllhaufen am Straßenrand. Immer wieder kommen Menschen an ihm vorbei, bleiben zögerlich stehen, blicken sich verstohlen um, kramen flüchtig in den achtlos dahingeschmissenen Dingen herum und nehmen sich Brauchbares mit. Oben auf dem Sperrmüll thront ein durchgesessener, ausgebleichter grüner Ohrensessel aus Samt. Die drei Matratzen sind vom Regen durchweicht und hier und da lugt eine Sprungfeder hervor. Neben vergilbten Holzbrettern mit rostigen Nägeln liegt ein Röhrenfernseher mit eingetretenem Bildschirm. Das schrille Orange einer Plastikkommode sticht aus dem tristen Sperrmüllhaufen hervor. Auf der oberen der drei geöffneten Schubladen klebt ein Atomkraft? Nein Danke-Aufkleber. In der Schublade wächst eine Blume.

EINE STRAßE AM FREITAG UM 9

Es ist laut neben der dicht befahrenen Straße, Baustellen erschweren den Verkehrsfluss. Autos hupen, Reifen quietschen und Menschen beschimpfen sich wüst von Fahrzeug zu Fahrzeug. Auf dem Fußgängerweg eilen Menschen und auf dem mit Schlaglöchern übersäten Radweg schlängeln sich die Fahrradfahrer. Entgegen der Fahrbahn fährt ein Postbote auf seinem mit Brieftaschen behängten Fahrrad. Gelassen und gemächlich tritt er in die Pedale und raucht eine Zigarette. Sein Gesicht ist entspannt und leicht gen Himmel gerichtet. Eigentlich scheint heute die Sonne.