Stellwerk Magazin

POETICA 5 Oswald Egger und Marion Poschmann

Vorwort

Ebenso wie der Begriff Ort in Wort vorkommt, beherbergt auch die Literatur die Erfahrung des Raums als eine sprachliche Gratwanderung. Wie es auf solch literarischen Grenzlinien und bildmächtigen Sprachexpeditionen zugeht und worauf man dabei stoßen kann, haben Marion Poschmann und Oswald Egger am vergangenen Mittwoch im Literaturhaus in Köln gezeigt. Im Zuge der fünften Poetica und gemeinsam mit der Literaturwissenschaftlerin Barbara Naumann sowie dem Kurator des Literaturfestivals Aris Fioretos begaben sich Poschmann und Egger auf die Suche nach den Orten, die uns mal offenkundig, mal subtil sehnsüchtig werden lassen.

© Silviu Guiman

Morbides Vergnügen auf Coney Island

Den Auftakt machte die 1969 geborene Schriftstellerin und Lyrikerin Marion Poschmann mit ihrem Gedichtzyklus Coney Island Lunapark aus dem Jahr 2016. Dabei nahm sie die zahlreichen Besucher in den Reihen des Literaturhauses mit auf die Reise zu einer vergnüglich-amerikanischen Kanincheninsel. Blinkende Riesenräder, leuchtende Achterbahnen, tummelnde Massen – das sei eigentlich kein Ort, den Poschmann für sich selbst als sehnsuchtsvoll beschreiben würde, aber nachdem im Jahr 2012 die Auswirkungen des Hurrikan Sandy nicht nur einige Häuser in Brooklyn, sondern auch den Vergnügungspark selbst überschwemmt hatten, erschien der sonst so glitzernde Park in einem anderen Licht. „Zertretene Muscheln und Teeschalenscherben“ ebenso wie „zu Saurierknochen verrostete Gerüste“ waren das Erbe einer Naturkatastrophe und gleichzeitig der Auftakt für Poschmanns Gedichtzyklus. „Das ist ein Ort, wo Menschen hingehen, um bewusst körperliche Extremerfahrungen zu machen, also um sich beispielsweise mit der Schiffschaukel wie auf hoher See zu fühlen. Und plötzlich wird das alles von einem realen Sturm, von realen Überschwemmungen zerstört.“ Zurückgeblieben sei ein interessanter und zeitgleich merkwürdiger Ort, an dem mittlerweile wieder neu aufgebaute Achterbahnen und Karussells stehen, so die gebürtige Essenerin im Gespräch mit Barbara Naumann.

Mit der Literatur auf zu japanischen Ufern

Nicht weniger morbide aber doch entschieden romantisierter erscheinen die Orte in Poschmanns aktuellem Buch Die Kieferninseln (2017), aus dem sie abschließend noch einen Auszug vorlas. Wieder eine Reise: Zwei Männer auf den Spuren traditionell-japanischer Dichtkunst – der eine auf der Suche nach einem Ort für den perfekten Selbstmord, der andere mit dem Wunsch einen „Fluchtort“ zu finden, wo es ihm vielleicht gelingt, sich selbst ein wenig näher zukommen. Mit großer Intensität und Rhythmusgefühl brachte die Wahlberlinerin ihre Sätze und Verse zum klingen, die noch lange und wirkungsvoll nachhallten.

Schnalzen, Zischen, Krachen

Mit Rhythmusgefühl und sprachlicher Klangkunst ging es dann gleich weiter, als der Lyriker Oswald Egger die Bühne betrat und die Besucher unmittelbar in einen lautmalerisch-bizarren Sprech- und Sprachkunststrudel eingesogen wurden. Der 1963 in Südtirol geborene Wortakrobat präsentierte auch im Literaturhaus wie unerschöpflich das Feld der Sprache sein kann und trug einen Auszug aus seinem 2017 erschienenen Buch Val di Non vor. „Die Erörterung einer Ortschaft, die in der Vorvergangenheit liegt“, erzählt Egger, dessen Vater aus Val di Non, oder dem sogenannten Nonstal stammte. Wie auch Poschmann, scheint der in Wien und Neuss lebende Schriftsteller großes Interesse an augenscheinlich faden Orten zu haben. Im Nonstal werde nicht viel geredet und passieren tue eigentlich auch nichts, stellt Egger mit einem Schmunzeln fest und doch gibt es, wenn man seiner explosionsartigen Naturschilderung folgt, Einiges zu hören und zu entdecken – von klapperndem Gesteinsgeröll bis zu prall gefüllten Kuheutern. Nahezu unendlich muten seine sprachgewaltigen Wortneuschöpfungen an; wie ein Netz, das sich immer weiterspinnen lässt. Auf die Fragen Fioretos hat Egger meist keine eindeutige Antwort – „einerseits, andererseits“ – oder er verliert sich in ausufernden Gedankenketten, um zum Schluss nicht mehr zu wissen, was eigentlich gefragt wurde. Getreu dem Ende seines Buches „Triumph der Farben“: „Und auf die Frage, wann das alles ein Ende hat antwortet mir niemand. Es hat keinen Anfang“, zeigt sich Oswald Egger meisterhaft darin, gängige Mechanismen der literarischen Rezeption und Ausdeutung humorvoll zu unterlaufen, ohne dabei auf eine sprachgestiftete Verwirrung zu verzichten. Gedankt wurde es ihm mit einem amüsierten Publikum und großem Beifall.

Orte unserer Vorstellungskraft

Nach gut zwei Stunden ging ein anrührender wie launiger Abend zu Ende, wobei abschließend nicht geklärt werden konnte, wo denn nun ein Sehnsuchtsort eigentlich zu finden sei – auf einer einsamen Insel? In den Bergen? Oder vielmehr in der Sprache selbst? Fest steht, dass es ein Ort ist, der sich nur aus der Ferne konstruieren lässt oder um es mit Poschmanns Worten zu sagen: „Ein Sehnsuchtsort ist doch eigentlich ein Ort, den es nicht wirklich gibt, sondern der nur in unserer Imagination existiert.“

Fotos: © Silviu Guiman