Stellwerk Magazin

Rezension Madness in Auerhaus

Vorwort

Die Abschlussklasse der Schauspielschule „Der Keller” inszeniert den erfolgreichen Coming-of-Age-Roman „Auerhaus” (2015) von Bov Bjerg am Theater der Keller in Köln.

Mit: Davina Donaldson, Laura-Anthea Heyner, Elena Hollender, Tobias Krebs, Liliom Lewald, Falk Pognan, Egor Reider

Regie: Volker Schmalöer

Regieassistenz: Miriam Meißner

Bühne/Kostüme: Milena Gawlick

„Ich find' Makel geil“, sagt Frieder (Tobias Krebs) inmitten der etwas außergewöhnlichen Konstellation seiner Mitbewohnerinnen und Mitbewohner. Da ist Höppner (Liliom Lewald, Gewinner des Kölner Nachwuchspreises „Puck“) sein bester Freund, der sich nach Frieders Suizidversuch um ihn kümmern möchte, mit seiner Freundin Vera (Elena Hollender), die das mit der Beziehung aber nicht so ernst meint. Harry (Falk Philippe Pognan), der Elektriker-Lehrling, ist ein schwuler Stricher und Dealer. Die Zündlerin Pauline (Laura-Anthea Heyner) hat Frieder in der Psychiatrie kennengelernt. Cäcilia (Darina Donaldson) kommt aus einem behüteten Elternhaus und Axel (Egor Reider) ist ständiger Besucher der Jugend-WG Auerhaus.

Pippi Langstrumpf statt „Birth – School – Work – Death“

Wenngleich das Stück in Zeiten von Wehrpflicht und RAF spielt und eine Zentralverriegelung noch Begeisterungsstürme auslöst, so ist die Thematik in der heutigen schnelllebigen und von Leistungsdruck geprägten Zeit aktueller denn je: Die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten, die an der Grenze zum Erwachsenwerden stehen, wagen es noch, zu träumen, und versuchen, Pfade abseits von „Birth – School – Work – Death“ zu finden. Sie revoltieren gegen die Erwartungen der Gesellschaft, um den letzten Hauch jugendlicher Freiheit zu bewahren. Dass einmal ganz kurz, fast unbemerkt, die ersten Akkorde des Pippi Langstrumpf-Lieds angespielt werden, ist pointiert arrangiert und akzentuiert das Aufbegehren gegen die Welt der Erwachsenen. Was sich die Jugendlichen vom Leben wünschen, das ist ihnen noch nicht klar. Sie leben in einer temporären Blase und probieren in ihrer jugendlichen Spontaneität alles aus. Sie klauen Lebensmittel, feiern exzessive Partys, nehmen Drogen, haben Sex, kochen aber auch gemeinsam und singen immer wieder den Refrain von Madness’ Hit „Our house, in the middle of our street | Our house, in the middle of our..." – in der Auerhaus-Blase. Doch dass auf der Bühne immer wieder Luftballons platzen, beschwört das unangenehme Gefühl herauf, dass auch diese Blase einmal zerplatzen wird. Frieders Standpunkt „Ich bleib für immer hier wohnen, im Auerhaus“ wird sich als eine böse Prophezeiung herausstellen, denn an seinem Grab trifft sich die junge Gemeinschaft zuletzt wieder.

„Menschen bringen sich um. Blöde Sache, klar!“

Ein ausgeprägtes Handlungselement des Stücks sind die Unterhaltungen der jungen WG. Hier wird eine Geschichte über Freundschaft, Liebe und Zusammenhalt erzählt. Die Figuren reden über alles und nichts und genau dann dringt die Stimme Bjergs hervor, der seine Figuren auf so rotzige und zugleich feinsinnige Weise über die Dinge der Welt sprechen lässt. Die Sprache funktioniert ohne jegliche Schnörkelei und berührt dennoch, indem sie die schwierigen Dinge, wie Depression und Tod mit einer einzigartigen Klarheit auf den Punkt bringt. Die Jugendlichen sprechen ihre einfühlsamen Beobachtungen von der Welt, vor der sie flüchten wollen, so aus, als hätte es einem selbst in genau diesem Wortlaut bereits auf der Zunge gelegen.

„Ein Gehirn mit Depressionen, das ist wie ein Fahrrad mit einem kaputten Tretlager. Man kann strampeln, wie man will, aber man kommt nicht vom Fleck.“

Besonders Lewalds und Krebs’ Darstellung überzeugen durchweg mit ihrer Performance, die Zartheit und starke Authentizität ausstrahlt. Doch nicht nur die Worte sind pointiert, sondern auch die Musikauswahl unterstreicht das Geschehen und Gesagte oft auf atmosphärische Weise, sofern man die Lyrics der teilweise nur instrumental angespielten Lieder kennt. Etwa wenn Axel am Ende, während Höppner über seine Erinnerungen an Frieder spricht, Johnny Cashs Hurt auf der Gitarre zupft, dann huschen einem die Zeilen I hurt myself today / To see if I still feel / What have I become / My sweetest friend / Everyone I know goes away / In the end unwillkürlich durch den Kopf und hinterlassen ein Gefühl von Traurigkeit und Schwere.

©MEYER ORIGINALS

Das Theater der Keller wird zum Auerhaus

Die Darstellerinnen und Darsteller, allesamt in Weiß, der Farbe der Unschuld, gekleidet, setzen die Darstellung dieser dynamischen Gemeinschaft mit viel Action und Körperenergie um. Das Stück kennzeichnet sich durch viele Erzählanteile, was der Tatsache geschuldet ist, dass hier ein Romantext als Drama aufgearbeitet wird. Umso intensiver setzen die Darstellerinnen und Darsteller ihre Körper ein. Mal in ekstatischen Tanzbewegungen, mal kopfüber auf zwei Händen, mal eine körperclowneske Situationskomik hervorrufend. In diesen von Energie strotzenden Szenen wird der Lebenswille der Jugendlichen zum Ausdruck gebracht – selbst den tieftraurigen Frieder sieht man zuweilen tanzen. Stellenweise entsteht der Eindruck, die kleine Bühne könne die sprühende Energie und emphatische Körperlichkeit der Jungschauspielerinnen und -schauspieler nicht aushalten – doch dann springen diese einfach von der Bühne und durchbrechen hier und da auch einmal die vierte Wand - „So. Pause jetzt!“. Doch damit nicht genug. Das wilde Treiben geht auch in der kurzen Unterbrechung weiter. Inmitten des Publikums, das sich außerhalb des Saals angeregt über das bisher Gesehene austauscht, erscheint das Ensemble plötzlich auf der Treppe und spielt einfach weiter. Abgesehen von ein paar Rauchern und Toilettengängern, verfolgen die Zuschauerinnen und Zuschauer gemischten Alters gespannt das Geschehen. Anschließend gehen sie mit den Darstellerinnen und Darstellern wieder in den ausverkauften Saal, wo dann bis zum begeisterten Beifall am Ende offiziell weitergespielt wird.

Wer sich selbst einmal in den Sog dieser kurzweiligen und doch tiefgründigen Inszenierung hineinziehen lassen möchte, dem sei Eile geboten. Denn nicht nur das Auerhaus, sondern auch das Theater der Keller währt nicht mehr ewig. Im Sommer muss die Spielstätte, die zu einer der ältesten Privattheater Kölns zählt, im Zuge der Gentrifizierung Luxuswohnungen weichen. Ein Abend im Theater der Keller verspricht eine charmante Atmosphäre, fröhlichen Trubel sowie anregende Gespräche über eine durchaus gelungene Inszenierung, denn die Zeit im Auerhaus, „war die schönste Zeit“.

Termine: Mittwoch 13.02.2019 um 20:00 Uhr | Freitag, 15.03.2019 um 20:00 Uhr | Mittwoch, 20.03.2019 um 20:00 Uhr | Dienstag, 26.03.2019 um 20:00 Uhr | Dienstag, 09.04.2019 um 20:00 Uhr | Donnerstag, 18.04.2019 um 20:00 Uhr

Fotos: ©MEYER ORIGINALS