Stellwerk Magazin

Rosarote Selbstthematisierung

Vorwort

Noch bis zum 28.02.2019 kann Köln mit einer besonderen Attraktion aufwarten: dem Supercandymuseum in Ehrenfeld. Was erst einmal an ein Pop-Art-Museum erinnert, ist in Wirklichkeit eine Ausstellung, die völlig dem Selfie, oder der „netztgängigen Selbstthematisierung“ wie man es im Fachjargon so mancher psychologischer Studien nennt, geweiht ist. Es erscheint dem einen oder anderen vermutlich etwas bizarr, dass Menschen bereit sind, für das perfekte Foto rund 30 Euro pro Kopf auszugeben und sich für diesen doch happigen Preis auch noch einen Timeslot von maximal zwei Stunden zuweisen zu lassen. Selfieproduktion im Akkord?

Die GeisteswissenschaftlerInnen mögen an Verstellung, Simulation und Dissimulation, Schillers Anmuttraktat oder Kleists Marionettentheater denken und sich dem ganzen eitlen Treiben leicht überlegen fühlen. Nichtsdestotrotz üben die durchaus anziehend gestaltete Website mit ihrem rosa Optimismus und die abgebildeten Bällebäder, aufblasbaren Flamingos, zuckrigen Wände und appetitlich aussehenden Süßigkeiten doch eine eigenartige Anziehungskraft aus, sodass ich mich aufmache, um die „Made-For-Instagram Ausstellung mit 20 begehbaren Objekten zum Anschauen, Anfassen, Draufsitzen, Hineinklettern und zum Fotografieren“, wie die Supercandy-Homepage verkündet, selbst zu erleben. „Das Sugar-High für Deinen Social Media Feed – Instagram ready!“ – auf Deutsch gab’s den Spruch wohl nicht.

Das zuckerwatterosa gestrichene Gebäude ist schon von der Bahnstation aus sichtbar. An diesem trüben, regnerischen Tag leuchtet die Fassade des ehemaligen Druckereigebäudes zwischen den eher tristen Mauern der Nachbarhäuser wie ein Fremdkörper. Eine Besucherin trägt eine moderne, durchsichtige Umhängetasche. Darauf steht in weiß geschwungener Schrift: „Un voyage au pays des merveilles“. Wie passend. Einmal durch die schwere Stahltür, deutet nichts mehr darauf hin, dass man sich in einem dem baldigen Abriss geweihten Druckereigebäude befindet. Die Wände sind allesamt in Pastellfarben gestrichen, links befindet sich ein Schminktisch mit rosa Plastikhockern, die an überdimensionierte Bonbons erinnern, sowie kleine Kosmetikspiegel und sogar Abschminktücher. Man ist auf alles vorbereitet, den Besuchern soll es erlaubt sein, in eine völlig andere Rolle zu schlüpfen. Die freundliche junge Frau hinter dem Empfangstresen erklärt, dass sogar Umkleidekabinen zur Verfügung stehen, sodass Kostümierungen und Outfitwechsel möglich sind. Man wird mit Handyselfielights und kleinen Pappbechern mit Süßigkeiten ausgerüstet, bevor es durch den mit rosa-roten Ballons gespickten Eingang zu den eigentlichen Fotokulissen geht.

Direkt zu Beginn erreicht man das erste Bällebad, das tatsächlich und wider Erwarten kindliche Begeisterung weckt. Die skeptische Zurückhaltung weicht schnell, denn nun liege auch ich auf aufblasbaren goldenen Gummiflügeln in einem Bad aus rund 100000 Bällen und lasse mich ablichten. Auch das rosa Bällebecken mit den Flamingos und Donutringen wird nicht ausgelassen. Ich hatte eigentlich erwartet, mich durch eine Flut hipper Blogger kämpfen zu müssen, doch es ist eher ruhig, lediglich ein paar Mädchen scheinen ein professionelleres Fotoshooting mit Spiegelreflexkamera durchzuführen. Eines der Mädchen trägt ein Mangakostüm: Minirock, pastellrosa Oberteil, weiße Strapse und cremefarbene Schühchen mit Schleifchen, dazu eine lila Perrücke. Männer sind hier stark in der Unterzahl, was allerdings auch in Anbetracht der überwiegend auf junge Mädchen ausgelegten Installationen nicht weiter verwundert. Ganz gezielt werden in dieser Traumwelt die Regenbogen-Einhorn-Phantasien junger Frauen angesprochen. Passenderweise findet man hier zwei pinke Flamingostatuen – die neuen Einhörner –, an der Wand dahinter der Spruch: „Pink is always an option“.

Das Eis ist gebrochen, die heile rosa Welt lullt einen ein, was wohl nicht zuletzt der guten Organisation geschuldet ist: Jederzeit ist eine unaufdringliche, junge und attraktive Mitarbeiterin zur Stelle, wenn man sie braucht. An den verschiedenen Stationen gibt es immer wieder Zuckernachschub, sogar kostenloses Eis wird geboten, natürlich kalorienarm. Es gibt sogar einen Raum mit einer Konfettikanone, die von einem geduldigen Mitarbeiter immer wieder neu beladen wird, bis der perfekte Schnappschuss im Kasten ist. Im Untergeschoss erwarten uns eine Schaukel, eine Nanareplik und sogar ein Gymnastikraum. Wenn man sich erst auf dieses bunte Sammelsorium einlässt, macht der Aufenthalt sogar richtig Spaß. Die Anordnung der Kulissen ist wohl durchdacht, auch die Timeslots machen Sinn, es gibt keine Warteschlangen und man hat genügend Zeit und Privatsphäre, Fotos zu schießen. Als wir das Museum schließlich nach zwei Stunden wieder verlassen, haben wir nicht nur stark überhöhte Blutzuckerwerte, sondern auch eine kostenlose „Goodiebag“, zahlreiche mehr oder weniger gelungene Fotos und die Erkenntnis, dass wohl auch auf unseren Accounts heute Abend das Sugarhigh einbricht.

© Sarah de Bruijn

Wer gerne außergewöhnliche Fotos oder gar ein professionelles Fotoshooting vor einer außergewöhnlichen Kulisse möchte, für den ist das Supercandymuseum das Richtige. Die Stationen sind vielfältig, das Licht tatsächlich perfekt, sodass auch Hobbyfotografen mit ihrem Smartphone qualitativ ansprechende Fotos schießen können. Allerdings geben die meist recht jungen Mädchen, die hoffen, vor einer zuckersüßen Kulisse ihre eventuell nicht ganz so rosige Karriere als Model oder Instagram-Influencerin zu lancieren, auch Anlass zum Nachdenken. Man ist geneigt, sich zu fragen, wie sich zwischen virtueller Traumwelt, Follower-Zahlen und Likes eine Selbstfindung vollziehen soll, wieviel virtuelle Bestätigung tatsächlich zum Selbstbild dieser jungen Menschen beiträgt, die offenbar sehr viel Zeit in ihre facettenreichen Internetpersönlichkeiten investieren. Doch vielleicht ist das auch eine zu skeptische Perspektive auf eine völlig neue Art der Selbstverwirklichung. Denn es gibt auch die Gegenbewegung, das „perfectly imperfect“. Dennoch erfordert jede Internetpräsenz, auch mit teilweise harscher und durchaus beleidigender Kritik ebenso umgehen zu müssen, wie mit der erhofften Bestätigung. Das kann sehr schnell sehr persönlich werden. Sich effektiv zu wehren, wird dann leider oft zum Fass ohne Boden. Die Tatsache, dass jeder Internetauftritt Reaktionen hervorruft, die durchaus auch polemisch ausfallen können, sollte also über die ganzen Flamingos und Ballons nicht völlig in Vergessenheit geraten. Dann steht einem gelungenen Abstecher in die rosarote Welt nichts mehr im Wege.

Fotos: © Sarah de Bruijn