Stellwerk Magazin

Reportage Kaffe mit Vision: „Egal ob schwarz, weiß oder blau“

Vorwort

Am 21. Januar 2019 öffnete das Freiwilligencafé Kaffe Güzel in der Arturo Schauspielschule in Köln zum ersten Mal seine Türen. Zwei Besuche.

Kaffe Güzel

Bischofsweg 48-50, 50969 Köln

Öffnungszeiten: Mo-Sa, 10-22 Uhr

Interesse an freiwilliger Mitarbeit? guezel@posteo.de

Sie sind geheimnisvoll, Sinnbilder einer Ästhetik des Heruntergekommenen, unerwartete Räume in der Enge der Großstadt: Hinterhöfe. Sie riechen nach Revolution. Wo die belebten Straßen des Kölner Südens plötzlich zum Industriegebiet werden, die kleinen Boutiquen zu Supermärkten, die verzierten Fassaden der Altbauten zu quadratischen Blöcken – dort, hinter einer Betonmauer, suche ich in der Dämmerung den Eingang zu Kölns potenziellem neuen Kulturraum: zum Kaffe Güzel. Es ist kein romantischer Hinterhof. Hier klettert kein Efeu die Wände hinauf und keine Lampions baumeln zwischen den Gebäuden. Von einem Café hat der Lieferant, der Kisten in die Medienwerkstatt nebenan trägt, noch nichts gehört.

Renovieren für die Utopie

Eine Gruppe junger Leute in Schwarz taucht im Lieferanteneingang für LKWs auf. Viele Hände ziehen mich die Mauer hinauf, als ich nach dem Güzel frage. Sie führen mich durch einen Flur, zwischen dessen Wänden Techno dröhnt. Überall wird renoviert, Menschen laufen kreuz und quer, tragen Holzlatten und Farbeimer, nicken mir kurz zu. Im Zimmer am Ende des Flurs leuchten Bauscheinwerfer an die Decke, an der in Strängen unzählige Kabel entlanglaufen. Vor einer großen Fensterfront warten Pflanzen neben Lampenschirmen auf einer Bierbank. Sofas und Ohrensessel mit altmodisch gemusterten Polstern bilden eine Sitzgruppe in der Ecke des Raums, den Boden bedeckt ein Orientteppich – etwas verlorene, erste Andeutungen auf Kaffee und Kuchen. Eine Frau hantiert mit einer Zange an einem Gitter, eine andere streicht den Türrahmen, klettert die Leiter hinab und hinauf, verschiebt sie, um mit dem Pinsel in die letzten Ecken zu gelangen. Thermoskannen, Teebeutel, Salzbrezeln und Lebkuchen, Nägel, Farbtöpfe, Kabelbinder und Werkzeug verteilen sich auf Beistelltischen, einem Klavier, einer Massageliege. Barista barista antifascista ist auf ein Schild gepinselt.

Juli und Juliane stellen sich vor, fragen, ob ich zum Helfen gekommen sei und erinnern sich dann doch lachend an meine Anfrage. Sie tragen Fleecejacken und Schals, denn es ist kalt zwischen den nackten Betonwänden. Die Farbspritzer auf ihren Hosen zeugen von vielen Stunden, Tagen, Wochen auf der Baustelle. Bezahlt werden sie dafür nicht. Für ihr Engagement treten ihre Leben außerhalb des Cafés gerade in den Hintergrund. Irgendwann werden sie wohl wieder studieren, aber gerade „ist alles so am Rumwabern“, sagt Juli, die eigentlich Modedesignerin ist. So verkörpern sie das Gefühl einer Generation, die zwischen Aussteigen und Karriere, zwischen lethargischer Gesellschaftskritik und Aktivismus, zwischen Individualismus und Gemeinschaftssinn ihren Platz sucht. Doch die ErfinderInnen des Güzel scheinen den Spagat zu schaffen, scheinen genau diesen Schwebezustand zu nutzen; sie wollen ihren Visionen einen Raum geben.

Im türkischen Adjektiv güzel, das zugleich schön, gut, lecker, günstig und nett bedeutet, haben sie sich wiedergefunden. Sie wollen versuchen, „eine kleine utopische Enklave in unserer kapitalistischen Leistungsgesellschaft zu sein.“ So zeichnet schon ihr Name ein offenes, multikulturelles Bild. Kaffe statt Café macht deutlich, dass man sich hier selbst nicht so ernst nimmt. Und vor allem: dass sie sich nicht der klassischen Institution Café zugehörig fühlen, sondern anders sind, neu, und vielleicht bald Pioniere einer nicht-kommerziellen Stadtkultur.

Raum und Rahmen für Ideen bieten

Juli und ihr Freund brachten die Idee aus Dänemark mit, wo sie in einem Freiwilligencafé arbeiteten. Ihr Freundeskreis, der teilweise schon zuvor im Kollektiv Walgesang Kulturveranstaltungen auf die Beine stellte, war sofort begeistert. Im Herbst 2017 beginnt die Idee Form anzunehmen: Mit geliehenem Geld investieren die Freunde in Becher und Kaffeemaschine, designen ihr Logo mit dem blauen Wal, sammeln Möbel und Materialien, bauen und basteln. Einige Monate später touren sie mit einem mobilen Kaffe über zahlreiche Veranstaltungen durch ganz Deutschland – etwa 200 fleißige Hände machen die sommerlange Reise möglich.

Und dann geht doch alles viel schneller als gedacht: Schon auf einer der ersten Veranstaltungen wird die Arturo Schauspielschule auf das Kaffe aufmerksam. So finden sie in den neuen Räumen der Schauspielschule, die von Kalk in die Südstadt gezogen ist, ein dauerhaftes Zuhause direkt neben dem Bühnenraum. Aufgrund der Größe des Gebäudes hat das Kaffe Güzel hier außerdem die Möglichkeit, weitere Räume an andere Gruppen für wenig Geld zu vermieten. Der Hausmeister freut sich, dass die jungen Leute die leerstehenden Zimmer beleben. Und die GründerInnen des Güzel hoffen, Kulturinitiativen und soziale Projekte ins Haus zu locken – ob politische Vorträge, Kunstausstellungen, Näh- oder Yogakurse; hier sollen sie alle zusammenfinden. Welche Projekte sich daraus und darin ergeben, lassen sie noch offen: „Es ist nicht so, dass wir darauf warten, endlich eine Ausstellung zu machen. Wenn es jemanden gibt, der eine Idee hat, dann wollen wir diesem Menschen den Raum und den Rahmen bieten.“

Freiwillig und inklusiv

Die beiden Frauen sind Teil des Kernteams, das etwa aus zehn Leuten besteht. Im Zentrum des Projekts steht ein Café, dessen Betrieb von HelferInnen gestemmt werden soll, die unentgeltlich arbeiten. Die Gewinne fließen zu gleichen Teilen in drei Töpfe: Ein Drittel wird an soziale Projekte in Köln gespendet, ein weiteres Drittel geht an Kooperativen in Lateinamerika, die Heimat ihres Kaffees. Im dritten Topf soll Geld gespart werden, das dann die Gründung neuer Cafés dieser Art fördert und so einen positiven Schneeballeffekt erzeugt.

Bei den Renovierungsarbeiten hat sich das Konzept der Freiwilligkeit bislang als erfolgreich erwiesen: „Jeder kann irgendwas,“ sagt Juliane. Es tauchten zwar immer wieder Probleme auf, auf die sie nicht vorbereitet seien – aber genauso erschienen auch immer wieder unerwartete HelferInnen. Das Projekt hat sich mittlerweile herumgesprochen. „Die Leute haben Lust, uns mit ihren Fähigkeiten zu unterstützen,“ sagt Juliane, vielleicht selbst noch ein wenig überrascht. Nur ihren Kaffe wollen sie nicht dem Zufall überlassen: Vom befreundeten Café Roller aus Bonn beziehen sie die direkt gehandelten Bohnen und lernen, wie man sie richtig verarbeitet.

In einer Großstadt wie Köln, die kulturell gesättigt scheint, findet das Projekt seine Nische in der Inklusion auf verschiedenen Ebenen. Zum einen versucht es, vielfältiges kulturelles Angebot an einem Ort zusammenzubringen, zum anderen lädt es ausdrücklich alle Menschen zum Mitmachen ein, die Lust auf ein respektvolles Miteinander haben. In ihrem Selbstverständnis beschreiben sie ihr Kaffe als Ort, an dem sich Menschen verschiedenster Lebensweisen wohl und sicher fühlen sollen –„egal ob du schwarz, weiß oder blau bist, ob über deinem Bett ein Bildnis vom Propheten Mohammed hängt oder du auf deinem Passbild eine Kipa trägst. Egal ob 18 oder 81. Alle Cis-Menschen, Mitglieder der FLTI* Community und solche, die sich jeder Kategorien verweigern – lasst uns miteinander bunt und güzel sein!“.

„Funktionierenmüssen“ in Wohnzimmerathmosphäre

Elf Tage später muss ich den Eingang nicht mehr suchen: An der Straße weht eine große Flagge mit dem blau-bunten Wal. In der Januarkälte rauchen junge Frauen mit Topfschnitt, Nasenpiercings und Vintage-Jacken. Die Hinterhofzeiten sind vorbei – das Kaffe Güzel ist eröffnet. Der Raum ist nicht wiederzuerkennen. Die Luft surrt vor Hitze und angeregten Gesprächen, Menschen sitzen gedrängt auf Teppichen und Kissen am Boden, rücken auf den Sofas zusammen, setzen sich auf die Lehnen der Sessel, um Neuankömmlingen Platz zu machen oder stehen vor der Kaffeebar Schlange. Stoffgirlanden, Tücher, Lampenschirme und Pflanzen hängen von der Decke, an der noch immer die Kabel zu sehen sind – Wohnzimmeratmosphäre mit Industriecharme. Es gibt Kartoffelsuppe und Fladenbrot gegen eine Spende. Das Klavier ist zum DJ-Pult umfunktioniert, an dem ein junger Mann im Wollpulli Platten auflegt. Die Stimmung ist gut, man kennt und umarmt sich und zieht die Schuhe aus. Ein kleines Mädchen klettert über die Sitzenden und lässt sich von Arm zu Arm reichen.

Die Vertrautheit zeigt deutlich: Zur Eröffnung ist vorwiegend der junge Freundeskreis der Vereinsmitglieder gekommen. Aber wie all die anderen ansprechen? Wie aus der hippen Blase ausbrechen? Juli strebt die Utopie der vollkommenen Integration zwar an, aber bleibt realistisch: „Die, die einfach keinen Bock haben, werden wir nicht erreichen.“ Ziel soll deswegen vielmehr sein, Menschen anzulocken, die Lust haben, dabei zu sein. Und um in die verschiedensten Ecken der Stadt zu dringen, braucht es dreierlei: Zeit, facebook und viele Flyer an vielen Orten.

Um die Hälse der Freiwilligen baumeln Ketten mit einem kleinen Wal aus Holz. Ansonsten sind sie kaum von den Gästen zu unterscheiden. Manchmal stehen sie von ihren Gesprächen auf, räumen leere Flaschen oder Teller in Körbe und setzen sich wieder hin. Die Trennung von Arbeit und Vergnügen ist kaum wahrnehmbar. Juli ist ein bisschen wehmütig, dass die Renovierung vorbei ist, jetzt der Alltagsbetrieb und das „Funktionierenmüssen“ beginnen. Manch einer äußert Bedenken, dass es an Unterstützung mangeln könnte. „Andererseits,“ sagt ein großer Mann mit Zopf und Walhalskette, „wenn nur einer von hundert Menschen, die heute hier waren, zwei Schichten im Monat macht, ist alles gut.“

Mittlerweile haben sich drei Musiker in die Mitte des Raumes gesetzt. Der Gitarrist sitzt zurückgelehnt, die Beine überschlagen und spielt versunken, sein Gesicht verzieht sich hin und wieder wie im Traum, die Brille ist ihm auf die Nasenspitze gerutscht. Eine Frau schaut über meine Schulter in mein Notizbuch, schüttelt den Kopf und sagt: „Schreib doch einfach: Schön hier.“

Fotos: © Nora Schramm