Stellwerk Magazin

POETICA 6 Helen Mort & Erik Lindner

Vorwort

Helen Mort und Erik Lindner gehören in ihren Heimatländern – Großbritannien und den Niederlanden – zu den bedeutendsten DichterInnen ihrer Generation. Bei der diesjährigen Poetica stellen sie sich gemeinsam mit sieben weiteren AutorInnen und Kurator Jan Wagner der Frage: Muss Poesie widerständig sein und wenn ja, wie können diese Widerstände aussehen?

Helen Mort © Jan Bella

Erik Lindner © gezett.de

Kann man an der Lyrik den Zustand unserer Welt erkennen, oder zumindest den Zustand Europas? Dieser Frage gehen Jan Wagner, Kurator der diesjährigen Poetica, und Federico Italiano in ihrem Band „Grand Tour – Reisen durch die junge Lyrik Europas“ nach. Auf der Suche nach einer Antwort machten die beiden Literaten im Rahmen ihres Projektes auch in den Niederlanden und Großbritannien Halt; bei den beiden AutorInnen, die Jan Wagner nun zu seiner Poetica unter dem Thema „Widerstand. The Art of Resistance“ nach Köln geladen hat: Erik Lindner und Helen Mort. Zumindest das lyrische Europa scheint – wenn man sich das Werk dieser SprachkünstlerInnen so anschaut – in bester Verfassung.

Erik Lindner (*1968 in Den Haag) zählt zu den bedeutendsten Dichtern der Niederlande. Seit seinem Debüt 1996 veröffentlichte er bereits fünf Gedichtbände. Mit dem 2013 bei Matthes und Seitz erschienenen Band „Nach Acedia“ wurde er auch einem deutschsprachigen Publikum bekannt. Lindner beweist in seinen Gedichten, dass die Trägheit (in der christlichen Spiritualität „Acedia“ genannt) in den Wirrungen unserer Zeiten vom Laster zur neuen Tugend werden kann.

„Der Meeresspiegel brach und deine Hände konnten nicht anders / als mechanisch wie Baggerschaufeln Mulden formen“ 1Lindner, Erik: „Ich weiß es noch“ („Ik weet het nog“). Aus dem Niederländischen von Rosemarie Still.

Gemeinsam mit seinem niederländischen Kollegen Henk van der Waal gab Lindner 2009 den Essay- und Gesprächsband „De Kunst van het Dichten“ (zu Deutsch: „Die Kunst der Dichtung“) heraus. Darin beschreibt van der Waal das Dichten als passiven Akt, der darin bestehe loszulassen und dabei „etwas zu befreien, das noch nicht existiert“2Lindner, Erik / van der Waal, Henk: De Kunst van het Dichten. Amsterdam 2009.. Die Stärke von Lindners Gedichten besteht genau darin, uns scheinbar belanglose Beobachtungen zu präsentieren, und daraus einen „Sprachweltstoff“3https://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/das-traegheitsgesetz-der-poesie-1.18331913 zu kreieren, wie es Andreas Langenbacher in seiner Rezension in der NZZ formuliert. Lindners Poesie beweist wirkungsvoll, wie auch das Innehalten und Warten zu einer Art Widerstand werden kann.

Helen Mort wird 1985 in Sheffield geboren. Die mehrfach preisgekrönte Dichterin und Romanautorin zählt zu den „Next Generation Poets“ Großbritanniens. In ihrem neuesten Gedichtband „No Map Could Show Them“ (2016) befasst sie sich mit mutigen Frauen, die es gewagt haben, neue Wege zu beschreiten – von Jemima Morrell, die Mitte des 19. Jahrhunderts im Petticoat die Schweizer Alpen erwanderte, bis zur britischen Extrembergsteigerin Alison Hargreaves, die 1995 beim Abstieg vom Gipfel des K2 tödlich verunglückte.

„Die Leben, die du in den Träumen anderer Leute führst, sind dennoch Leben.“4Mort, Helen: „Anderer Leute Träume“ („Other People’s Dreams“). Aus dem Englischen übersetzt von Jan Wagner.

Es ist Morts unverstellter Blick auf die Welt mitsamt ihren Banalitäten, Ungerechtigkeiten und Alltäglichkeiten, der uns dazu einlädt, einen Moment in diesen zu verweilen und ihrem Blick zu folgen. Morts Widerstand zeigt sich darin, die kleinen Sensationen des Lebens nicht vorüberziehen zu lassen, ohne ihnen sprachlich zu begegnen. Sie macht es sich zur Aufgabe, diesen eine Gestalt zu geben – sei es der Angst vor dem Verlust der eigenen Identität in „The Girl Next Door“ oder der Kritik am Alltagssexismus in „Difficult“.

Lindner und Mort zeigen uns auf, dass Widerstände nicht immer mit großer Geste auftreten müssen, sondern auch ganz leise daherkommen können; sei es in Form einer Fliege, die vom Tisch fliegt und uns aufzeigt, was wir nicht wissen, oder in Gestalt eines „Mädchens von nebenan“, das langsam die Kontrolle übernimmt.

Neben den Veranstaltungen mit allen AutorInnen der Poetica 6 am 20., 21., 23. und 25. Januar, sind Helen Mort und Erik Lindner während der Festivalwoche bei „Europa im Gedicht – Grand Tour“ im Alten Pfandhaus in Köln zu erleben (Eintritt 8/10 EUR). Karten an der Abendkasse.

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