Stellwerk Magazin

Impulse Theater Festival Eingewebte Denkmuster

Vorwort

Vom 4.-14. Juni findet in diesem Jahr zum 30. Mal das Impulse Theater Festival statt. Doch anstatt dass auch während dieser Jubiläums-Ausgabe wieder ein Querschnitt der freien deutschsprachigen Theaterszene auf Bühnen in Köln, Düsseldorf und Mülheim an der Ruhr präsentiert wird, mussten der künstlerische Leiter Haiko Pfost und sein Team Corona-bedingt umdisponieren. Vom ursprünglich geplanten Festivalprogramm konnten immerhin einige Projekte in den digitalen Raum überführt werden. Darunter: Magda Korsinskys Video-Arbeit STRICKEN, die vor dem Hintergrund einer neu entbrannten Rassismus-Debatte besondere Relevanz erhält.

Still aus der Video-Installation STRICKEN © Stefan Korsinsky Filmstill aus der Video-Installation STRICKEN © Stefan Korsinsky

Die Interview-Aufnahmen zeichnen sich blass auf den Projektionsflächen ab, die aus zusammengenähten, verzierten Stoffbahnen bestehen. Teils rahmen die Stickereien und Drucke auf den Textilien die Gesichter der sechs Frauen, lassen sie wie Gemälde einer Familiengalerie erscheinen. Und tatsächlich sprechen sie auch von ihren Familien, allen voran von ihren Großmüttern; und der Beziehung zur weißen Großmutter als Schwarze1Wir orientieren uns im STELLWERK an den Formulierungshilfen der Neuen deutschen MedienmacherInnen für eine differenzierte und vielfältige Berichterstattung. „Schwarz“ und „weiß“ sind politische Begriffe und beziehen sich nicht auf die Hautfarbe. Die Initiative „der braune mob e.V.“ schreibt: „Es geht nicht um ‚biologische‘ Eigenschaften, sondern gesellschaftspolitische Zugehörigkeiten.“ Um das deutlich zu machen, plädieren sie und andere dafür „Schwarz“ groß zu schreiben. Enkelin.

Zu Beginn des Videos, das über den gesamten Festivalzeitraum auf der Impulse-Website abrufbar ist, teilen die sechs afrodeutschen Frauen, die Magda Korsinsky für ihre Video-Arbeit in Einzelgesprächen interviewte, Kindheitserinnerungen: Sie erzählen vom gemeinsamen Kochen, dem Frisieren der Großmutter und davon, wie sie bei dieser Zuflucht suchten, wenn es Streit mit der Mutter gab. Bei allen Frauen scheint die Großmutter eine prägende Instanz gewesen zu sein, die der Nachfahrin mit liebevoller Hingabe begegnet. Doch immer wieder klingt an, dass der Umgang mit der afrodeutschen Enkelin auch von rassistischen Gegebenheiten gekennzeichnet war. Die meisten berichten davon, dass die Schwangerschaft der eigenen Mutter massive Konflikte mit deren Eltern auslöste; die Perspektive eines Schwarzen Schwiegersohns und eines Schwarzen Enkelkinds für viele der Großmütter und -Väter ein Problem war. Teilweise kam mit der Geburt der Enkelin schließlich die Überwindung der rassistischen Vorbehalte. Aber auch hier räumen einige der Frauen wieder ein: Oft wurden sie von ihren Großmüttern als Ausnahmen betrachtet, die nicht so seien wie „die anderen Schwarzen“. In der Folge berichten viele davon, dass sie selbst oft lange mit ihrer Schwarzen Identität haderten und sich sogar manchmal bei rassistischen Gedanken gegenüber anderen Schwarzen ertappen mussten.

Dann dringen die Gespräche zum Thema der NS-Vergangenheit vor. Deutlich wird dabei, dass innerhalb der Familien viel tabuisiert und unaufgearbeitet blieb. Zwar diagnostizieren die Frauen an ihren Großmüttern Nachwirkungen nationalsozialistischer Ideologie, beispielsweise in einem physisch distanzierten Erziehungsstil oder dem Festhalten an einem Ideal von Sittlichkeit, aber offene Gespräche erschienen meist unmöglich. Die deutsche Vergangenheit prägte auch für die Frauen ihre ersten Vorstellungen von Rassismus – dieser war, so berichtet eine von ihnen, für ihre Großeltern unabdingbar mit dem Nationalsozialismus verknüpft und wurde deshalb als etwas Vergangenes abgetan.

STRICKEN kehrt am Schluss wieder in die Gegenwart zurück. Eine der Interviewten betont, dass sie an der Zeit des nationalsozialistischen Deutschlands vor allem interessiert, wie die Überlebenden diese Schrecken überdauerten. Denn die Angst vor radikalen politischen Kräften, die sich gegen Minderheiten wenden, ist für sie immer präsent: „Ich lebe in Europa. Ich sollte besser darauf vorbereitet sein, dass ich hier vielleicht auch mal wegmuss. […] Das klingt jetzt so extrem dramatisch. [Pause.] Und so ist es eigentlich auch.“

Anhand der spezifischen Familienkonstellationen zeigt Magda Korsinsky, selbst tschechisch-eritreischer Herkunft, wie in uns allen die rassistischen Denkmuster unserer Vorfahren eingewebt sind. Ihre Arbeit weist damit auf etwas Zentrales hin, das auch in den deutschen Protesten in Reaktion auf den Mord an George Floyd reflektiert werden sollte: Der Kampf gegen Rassismus in Deutschland muss sich mit einer anderen Vergangenheit auseinandersetzen als in den USA, nämlich mit einer faschistischen Diktatur, die nun nicht einmal 80 Jahre zurückliegt und immer noch Einfluss auf unser kollektives Denken hat. Korsinskys Werk kann dabei helfen. Es gibt afrodeutschen Stimmen eine Plattform und präsentiert dokumentarisch verschiedene Perspektiven und Erfahrungen. Korsinsky gelingt es, einen vieldimensionalen und selten gesehenen Eindruck von afrodeutscher Realität zu vermitteln.

Headerfoto: © Caroline Seeliger

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Hier geht es zur Website des Impulse Theater Festivals, auf der noch bis zum 13. Juni 2020 die Arbeit von Magda Korsinsky abrufbar ist.