Stellwerk Magazin

Literaturhaus Köln: Pandemie-Edition

Vorwort

Die Kultur gehört zu den großen Verlierern der Corona-Krise: Seit Mitte März sind in Deutschland sämtliche kulturelle Veranstaltungen mit Publikumsverkehr flachgefallen. Dass dieser Einschnitt noch lange massive Auswirkungen auf die gesamte Branche haben wird, ist absehbar. Doch wie geht ein kleiner, leidenschaftlich geführter Kulturbetrieb mit der Ausnahmesituation um? Seit 2012 leitet Bettina Fischer das Literaturhaus Köln, das mit über 700 Vereinsmitgliedern zu den mitgliederstärksten Literaturhäusern in Deutschland zählt. Wir haben mit ihr über Chancen und Probleme der Krise gesprochen – und die erste Veranstaltung im Literaturhaus seit Beginn des Corona-Lockdowns besucht.

Bettina Fischer Literaturhaus Bettina Fischer © Literaturhaus Köln

Als ich durch die Tür trete, ist das erste, was ich sehe, ein Spender mit Desinfektionsmittel. Er steht frei im Raum, begrüßt mich auf einem halbhohen Ständer im Eingangsbereich. Ich halte meine Hand unter die Tube, drücke kräftig drauf, verreibe das kalte Nass auf meinen Händen. Mit neonfarbenem Klebeband sind bunte Pfeile auf dem Boden markiert, die mir den Weg zur Kasse weisen. Ich folge dem Pfad. Hinter einer dicken, milchigen Scheibe sitzt die Kassiererin, doch ich sehe nur mein eigenes Spiegelbild im Glas. Sie reicht mir meine Eintrittskarte und einen Zettel, auf dem ich meinen Namen, meine Adresse und meine Telefonnummer angeben soll. Während ich das Formular ausfülle, spüre ich meinen warmen Atem unter dem Mundschutz im Gesicht. Ein neongrüner Pfeil auf dem Boden führt mich zu meinem Platz. Die Stühle stehen weit auseinander, rechts und links neben mir bleiben jeweils zwei Plätze unbesetzt. Das wird heute Abend auch so bleiben: 20 ZuschauerInnen dürfen an der heutigen Lesung teilnehmen, 20 anstelle von 80 oder hin und wieder sogar 100. Der große Raum mit den hohen Decken und den hölzernen Fenstern wirkt eigentümlich leer; es ist still, hier und da ist leises Getuschel zu hören. So sieht sie also aus, denke ich, die Kulturveranstaltung zu Corona-Zeiten.

Nach drei Monaten Schließung hat das Literaturhaus Köln seine Pforten wieder geöffnet. Am 8. März fand hier die letzte Veranstaltung statt. Dann nahm die Corona-Pandemie ihren Lauf. Eine Veranstaltung nach der anderen musste abgesagt werden. „Wenn ich daran zurückdenke, habe ich das Gefühl, dass die Zeit unglaublich schnell und unglaublich langsam vergangen ist“, erzählt Bettina Fischer. „Wir haben die Veranstaltungen nur sukzessive abgesagt und immer zunächst gewartet, bis die neuen Verordnungen gekommen sind“. Der Beginn der Corona-Zeit war nicht leicht. Doch das Team des Literaturhauses wollte nicht einfach stillsitzen und warten, bis die Kontaktbeschränkungen wieder aufgehoben werden. „Wir verstehen uns als Vermittler, darum haben wir die ganze Zeit überlegt, wie wir etwas machen können“, so Fischer. „Und wir haben an die Autorinnen und Autoren gedacht. Die Honorare für Lesungen sind ja ein ganz wesentlicher Teil ihres Einkommens“. So kam es, dass das Literaturhaus-Team zwei Initiativen ins Leben rief. Schon Mitte März ging es los: Unter dem Hashtag #zusammenlesen veröffentlichten sie in den sozialen Netzwerken täglich Buchtipps von Persönlichkeiten aus der Kölner Literaturszene.

Der Hashtag sei zwar kein Ersatz für die Veranstaltungen „im realen Raum“ gewesen, aber habe doch geholfen, das Gefühl des Stillstands loszuwerden. Das allein reichte ihnen aber noch nicht, denn man wollte weiterhin Kölner Autorinnen und Autoren eine Plattform bieten. Also initiierte das Team des Literaturhauses gemeinsam mit „Land in Sicht“, einem Kölner Verein für Literatur- und Kulturveranstaltungen, Anfang April die sogenannten Kölner Literaturclips. „Wir haben Leute angefragt und den Rahmen geschaffen. Die Umsetzung war jedem selbst überlassen“. Entstanden sind inzwischen 25 Videoclips, in denen Kölner AutorInnen eigene Texte vorlesen, nicht länger als ein paar Minuten.

Literaturhaus Köln © Ulrike Schulte Richtering © Ulrike Schulte-Richtering

Ein Buchtipp-Hashtag, eine Reihe von Literaturclips – das Team des Literaturhauses hat einiges angestoßen. Doch auch mit den regulär geplanten Veranstaltungen ging es schon im April weiter – nur eben online, in Form von Zoom-Konferenzen. Technisch habe es zunächst noch ein paar Probleme gegeben, aber das sei schon okay gewesen, „man hat am Anfang eine Art Schonfrist“. Es seien auch Missgeschicke passiert – „mal ist jemand aus dem Bild rausgegangen, mal funktionierte der Ton nicht richtig. Das Wassereinschenken hörte sich an wie ein Mordswasserfall. Das mussten wir erst mal kapieren“. Nach und nach, mithilfe vieler Tipps und Feedback von FreundInnen und ZuschauerInnen, hat sich das Team immer weiter professionalisiert. Geld habe man damit trotzdem nicht verdient – „wir haben keinen Eintritt genommen“, so Fischer. Und das, obwohl die Autorinnen und Autoren ihr übliches Honorar erhielten. Die Gründe dafür sind vielfältig. Um Eintritt zu verlangen habe man sich noch nicht professionell genug gefühlt. „Zum anderen hat man nirgendwo vergleichbare Angebote gegen Geld gesehen“. Die Problematik sei ähnlich wie bei Zeitungen: Niemand wolle bezahlen, obwohl viel Aufwand in den Inhalten steckt. Auch mögliche technische Probleme auf Seiten der ZuschauerInnen kann man nicht abfangen, da sei es schwierig, Geld zu verlangen. Auf lange Sicht wird das wohl ein Problem sein, aber für den ersten Moment konnte der Wegfall der Eintrittsgelder durch städtische Unterstützung und durch die des Landes teilweise aufgefangen werden.

Trotzdem sei das Team positiv überrascht gewesen von den virtuellen Veranstaltungen: „Es entsteht wirklich ein Raum und es entsteht wirklich eine Begegnung“, so Fischer. „Ich möchte diese digitale Form auch gern beibehalten“. Ab jetzt wird man im Literaturhaus grundsätzlich zweigleisig fahren und sowohl Veranstaltungen im realen, als auch solche im virtuellen Raum durchführen. Ansonsten heißt es weiter: Ausprobieren. „Bei uns gibt’s jetzt Lesungen mit Abstand. Sehr viel weniger Publikum, sehr viel größerer Aufwand“. Finanziell sei das natürlich ein Desaster – und „wie haltbar das ist, werden wir dann sehen“, so Fischer.

Und der Weg zur Normalität, wie wird der aussehen? So richtig „echte Normalität“ sieht Fischer erst, wenn ein Impfstoff gefunden ist. Dieser Zeit schaut sie hoffnungsvoll entgegen: „Ich freue mich, dann wieder ganz unbefangen Menschen zu begegnen und mich darauf konzentrieren zu können, was uns eigentlich begeistert: Dass es tolle Inhalte sind, dass es tolle Leute sind, denen man hier begegnet – ob auf der Bühne oder im Publikum. Ich bin auch gespannt, wie wir die Erkenntnisse aus der jetzigen Situation in Zukunft weiterverwenden können. Denn wir haben nicht nur schlechte Erfahrungen gemacht, sondern auch unglaublich viel Zuspruch bekommen“. Gerade die Erschließung des digitalen Raums sei ein großer Gewinn, den man aus den durchaus zermürbenden vergangenen Monaten mitnehmen kann. Und bis dahin gibt’s eben Veranstaltungen auf Abstand. Die sind immerhin besser als gar keine.

Headerfoto: © Literaturhaus Köln

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