Stellwerk Magazin

Baustellen der Vielfalt

Vorwort

Lange stand das kulturelle Leben in Köln durch die andauernde Corona-Pandemie still. Mittlerweile können wieder erste Veranstaltungen unter besonderen Hygiene-Vorkehrungen stattfinden. Auch „DIE BAUSTELLE“, ein Open-Space-Projekt des Rautenstrauch-Joest-Museums, kann sein Programm wieder aufnehmen. Am 26. November wird dort mit „RESIST! Die Kunst des Widerstands“ eine Sonderausstellung eröffnen, welche koloniale und postkoloniale Widerstandsgeschichten aus Sicht der Betroffenen aufgreift. Unmittelbar vor dem Lockdown sprach unser Autor Christopher Trinks noch mit Aurora Rodonò, Diversity Mangerin am RJM, über das Museum der Zukunft, die Konfrontation mit Darstellungen der Kolonialgeschichte und warum heutzutage jede Kultureinrichtung ein Diversity Management benötigen könnte.

Aurora Rodonò und Carla de Andrade Hurst © Camilla Heldt, RJM Diversity Managerinnen am Rautenstrauch-Joest-Museum: Aurora Rodonò und Carla de Andrade Hurst © Camilla Heldt, RJM

Es ist laut in der Baustelle des Rautenstrauch-Joest-Museums (RJM). Handwerker tragen Balken und Planken herein, es wird gehämmert und gesägt. Nur das Herzstück des neu gestalteten Flügels steht bereits: Ein beeindruckendes hölzernes Rund, das sich aus der Mitte erhebt. Seine dreistufigen Sitzreihen erinnern an einen antiken Plenarsaal. Fast, als würden sich gleich Cicero und sein Gegenspieler Catilina hier in der Kölner Altstadt niederlassen und verbal die Köpfe einschlagen. Auch die anwesenden BesucherInnen, die sich trotz der Lautstärke eingefunden haben, diskutieren angeregt miteinander. Im Gegensatz zu den römischen Rhetorikern sind sie aber keinesfalls auf Konfrontationskurs. Das legt zumindest die Tagesordnung nahe, die auf großen Zetteln an den Wänden hängt. „Wie kann das mein Museum werden? Wie kann ich mich hier wohlfühlen? Welche Geschichten möchtest du hier hören?“, steht dort in dicken Lettern geschrieben.

Kein Ort für Brotzeiten

Das Museum, ein Ort zum Diskutieren, ein Treffpunkt zum Sich-Begegnen, gemeinsam auch mal einen Snack zu essen – passt das zum Image der stillen Gelehrsamkeit, welche die sonst so stummen Exponate der europäischen Kolonialgeschichte im RJM ausstrahlen? Aurora Rodonò jedenfalls ist davon überzeugt. Die studierte Literaturwissenschaftlerin ist nicht nur Diversity Managerin am Museum, sondern zusammen mit ihrer Kollegin Carla de Andrade Hurst zuständig für das Programm von „DIE BAUSTELLE“, einem Open Space, den die neue Museumsdirektorin Nanette Snoep initiiert hat. Entstehen wird hier im Herbst eine Sonderausstellung, die wie ein Prototyp des „Museums der Zukunft“ neue Arten von Lern- und Erfahrungsräumen schaffen soll. Denn bei „RESIST! Die Kunst des Widerstands“ haben sich KünstlerInnen, AktivistInnen und MuseumsgängerInnen aktiv eingebracht, Vorschläge gemacht und vor Ort mitkuratiert. „Wir teilen uns quasi die Autorenschaft des Raumes“, sagt Rodonò. Thematisch wird sich die Sonderausstellung weiterhin in das wissenschaftliche Portfolio des Museums einfügen, indem sie von kolonialen und postkolonialen Widerständen erzählt. Diesmal soll die Kolonialgeschichte jedoch nicht aus eurozentrischer Perspektive erzählt werden – sondern von denen, die darunter gelitten haben.

Völkerkunde gleich kulturelle Vielfalt?

„Man kann die Kolonialgeschichte nicht ohne die Menschen erzählen, die davon betroffen waren“, betont Rodonò. Ganz deutlich werden das beispielsweise die beiden Aktivistinnen Esther Muinjangue und Sima Luipert im Rahmen der Ausstellung sagen, deren Wurzeln in den Kulturen der Herero und Nama liegen. Aber auch postkoloniale Migrationsgeschichten werden erzählt; von den Widerständen, die Kolonial- und Migrationsgeschichte vereinen und die in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik immer noch zum Vorschein kommen. Gerade dieses Thema ist für Rodonò, deren Eltern als GastarbeiterInnen nach Deutschland gekommen sind, eine Herzensangelegenheit. „Wir wollen mit ‚RESIST!‘ die gesellschaftliche Perspektive aus Sicht der MigrantInnen erzählen. Uns damit auch neuen Communities öffnen“, sagt sie. Für Menschen, deren kulturelle Wurzeln bisher nur aus der Perspektive weißer, europäischer VölkerkundlerInnen wie Wilhelm Joest und Adele Rautenstrauch dargestellt werden, könne die Konfrontation mit deren Sichtweisen schmerzhafte Spuren beim Rundgang hinterlassen. Besonders für ein Museum der ethnologischen Vielfalt sei das ein schmaler und schwerer Grat. „Dabei wollen wir zeigen, dass ein Museum auch ein Ort der Heilung werden kann.“

Ein Museum für alle Teile der Gesellschaft

Marginalisierte Gruppen stärken, ein transkulturelles Forum bieten, die Stadtgesellschaft aktiv einbeziehen – es sind noch viel mehr Aufgaben, die den Bereich von Rodonò und ihrer Kollegin Carla de Andrade Hurst umfassen. Im August des vergangenen Jahres wurde das Diversity Management am RJM geschaffen. Eine auf vier Jahre ausgelegte Förderung der Kulturstiftung des Bundes macht es möglich, dass das einzige ethnologische Museum Nordrhein-Westfalens eine solche Stelle einrichten konnte. Ihr Alltag wird bestimmt von Anglizismen wie „Audience Development“ oder Fachbegriffen wie „Diversifizierungsstrategie“. „Im Wesentlichen ist es unsere Aufgabe, das Haus diversitätssensibel zu öffnen“, erklärt Rodonò. „Die Gesellschaft der Vielen, die Migrationsgesellschaft, ist in Deutschland Realität. Nur leider bildet sich das in den meisten Kultureinrichtungen noch nicht ab.“

© Rautenstrauch-Joest-Museum, Foto: Vera Marušic © Rautenstrauch-Joest-Museum, Foto: Vera Marušic

Programm, Personal, Publikum

Ihr Hauptaugenmerk liegt aber im Wesentlichen auf drei sogenannte „P's”. Damit ist zum einen die Ebene des Personals gemeint. „Wir schauen uns die Strukturen an. Also wer hier arbeitet, welche Gruppen vertreten sind. Wir versuchen das Team für Themen wie Rassismus und Diskriminierung zu sensibilisieren. Aber auch bei der Neubesetzung von Stellen zu beraten, etwa um WissenschaftlerInnen mit situiertem Wissen ins Haus zu holen“, sagt Rodonò. Daran schließt sich das zweite „P“ an, das Programm. Und damit ist nicht nur gemeint, neue Ausstellungen diversitätssensibel zu gestalten, sondern auch das bestehende Programm und seine Beschreibungstexte zu hinterfragen. Jüngst hat Rodonòs Kollegin Carla de Andrade Hurst beispielsweise den „Vorurteils-Container“ durch den Schwarzen1Wir orientieren uns im STELLWERK an den Formulierungshilfen der Neuen deutschen MedienmacherInnen für eine differenzierte und vielfältige Berichterstattung. „Schwarz“ und „weiß“ sind politische Begriffe und beziehen sich nicht auf die Hautfarbe. Die Initiative „der braune mob e.V.“ schreibt: „Es geht nicht um ‚biologische‘ Eigenschaften, sondern gesellschaftspolitische Zugehörigkeiten.“ Um das deutlich zu machen, plädieren sie und andere dafür „Schwarz“ groß zu schreiben. deutschen Künstler Nando Nkrumah umgestalten lassen. Ein Container, der bisher aus weißer Perspektive klischeehafte Ressentiments gegenüber Schwarzen Menschen in Deutschland zusammenfasste. Damit wollte man eigentlich BesucherInnen für bewussten und unbewussten Alltagsrassismus sensibilisieren, bei Schwarzen Menschen lösten die Darstellungen aber eher Verletzungen und Retraumatisierungen aus, wie Aurora Rodonò die Überlegung und eigene Erfahrung ihrer Kollegin wiedergibt. Stattdessen zeigt der Container jetzt Gesichter und konkrete Beispiele für „black empowerment“. Die beiden ersten „P's“ sind im Grunde darauf ausgerichtet, die Arbeit am dritten und vielleicht wichtigsten „P“ zu stärken – dem Publikum. Noch immer sei das Museum ein Ort, an dem sich nicht jeder willkommen fühle. „Man braucht keinen Uni-Abschluss, um ein Museum zu besuchen. Viele Menschen fühlen sich von dieser institutionellen Aura jedoch abgeschreckt. Wir befassen uns damit, warum das so ist. Um möglichst viele AdressatInnen zu erreichen und ins Haus zu holen“, sagt sie.

Diversität zur Stärkung der Demokratie

Es sind Maßnahmen, die vielleicht die gesellschaftlichen Mauern zwischen MuseumsgängerInnen und NeubesucherInnen im Allgemeinen, und im Speziellen zwischen den KulturforscherInnen und NachfahrInnen jener ausgestellten Kulturen im RJM, abbauen können. Wo Rassismus und Diskriminierung in Deutschland wieder Zulauf erhalten, sind auch die kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen gefragt. Als Repräsentationsflächen der Forschung stellen sie den Blickwinkel ein, mit dem unsere Gesellschaft sich selbst wahrnimmt – ein Museum der ethnologischen Vielfalt steht dabei besonders in der Pflicht. Sie können als Basis lehrend und belehrend wirken, den Fokus auf vielleicht noch unerkannte Missstände rücken. Dass so etwas auch über die Einbeziehung des Publikums geschieht, ist ein zukunftsweisendes Modell für Museen wie das RJM. Aurora Rodonò und Carla de Andrade Hurst können somit kleine Triebfedern im Demokratisierungsprozess unserer Zeit werden. Denn der Kern des demokratischen Zusammenseins wird bestimmt von der gesamtgesellschaftlichen Teilhabe und dem Einbezug vielfältiger Meinungen – eben der Wahrung der Diversität.

Headerfoto: © Rautenstrauch-Joest-Museum, Foto: Vera Marušic

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