Stellwerk Magazin

100% Enjoyment

Vorwort

Nach „Leuchtspielhaus“ (2009), „Schimmernder Dunst über CobyCounty“ (2011) und „Planet Magnon“ (2015) legte Leif Randt Anfang März seinen vierten Roman vor. „Allegro Pastell“ handelt von der modernen, unabhängigen Liebe zweier kreativer Menschen, die – wie Randt selbst – in den 1980er Jahren geboren sind. Der 288 Seiten umfassende und im KiWi-Verlag erschienene Roman erhielt viel Aufmerksamkeit in den deutschen Feuilletons und war dieses Jahr für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

Leif Randt: Allegro Pastell. Kiepenheuer & Witsch: Köln 2020. 22 Euro Leif Randt: Allegro Pastell. Kiepenheuer & Witsch: Köln 2020. 22 Euro.

Die Handlung von Randts neuem Roman ist in unmittelbarer Nähe zur Gegenwart angesiedelt und spielt in einer Zeit, die im Vergleich zur jetzigen Realität akut sorglos erscheint. „Allegro Pastell“ erzählt wehmütig vom Rekordfrühling 2018 über den Jahrhundertsommer bis zum darauffolgenden Sommer 2019. In drei Phasen schildert Randt die angenehm achtsame Liebesgeschichte zwischen Tanja Arnheim und Jerome Daimler. Sie ist 29, erfolgreiche Schriftstellerin, lebt in Neukölln und wartet mit Blick auf die Berliner Hasenheide auf Inspiration für ihren neuen Roman. Er ist Mitte 30, arbeitet als selbständiger Webdesigner, bezeichnet sich selbst als „urban“ und bewohnt mit ironischer Geste den Bungalow seiner Eltern im südhessischen Maintal bei Frankfurt. Tanja und Jerome sind gut ausgebildet, über alle Maßen reflektiert, sehr wahrscheinlich gutaussehend und führen seit einem halben Jahr eine scheinbar wunderbar funktionierende Fernbeziehung. Um die Distanz zwischen den beiden Städten zu überwinden, bleiben sie in Phasen des Getrenntseins über Messengerdienste verbunden, halten sich mit Textnachrichten und E-Mails auf dem Laufenden. Dazwischen besuchen sie sich gegenseitig in ihren jeweiligen Realitäten, gehen ins Kino, auf Partys oder veranstalten Teezeremonien auf dem Balkon. In diesen Momenten kultivieren sie das, was Tanja „vorauseilende Wehmut“ nennt. Ihre größte Herausforderung stellt dabei die Konservierung ihrer Beziehung dar, ohne dass diese spießig oder existenziell wird. Das wohlüberlegte Maß von Nähe und Distanz balancieren sie zyklisch in drei Phasen: „Erstens im Ausleben physischer Nähe während der gegenseitigen Besuche. Zweitens im intensiven Dialog aus der Ferne. Und drittens in der gespannten Erwartung der neuerlich anberaumten Nähe.“1Randt, Leif: Allegro Pastell. Kiepenheuer & Witsch: Köln 2020. S. 71.

Existenzielle Probleme und ernsthafte materielle Sorgen haben die Figuren in Randts Roman nicht. Tanja und Jerome sind durch gutsituierte Eltern und ein beträchtliches Einkommen aus selbstbestimmten Tätigkeiten ökonomisch abgesichert. Ihr unbesorgtes Leben ist jedoch von einer permanenten Selbst- und Fremdbeobachtung geprägt. Handlungen, Gedanken und Gefühle werden mit emotionaler Distanz beobachtet und auf die gewünschte Außenwirkung hin bewertet. Nichts wird dem Zufall überlassen, jede Entscheidung bewusst getroffen. Jerome bringt es auf den Punkt, wenn er zu Beginn des Romans, als Tanja ihn in Frankfurt besucht, zunächst überlegen muss, „ob er ihr entgegenlaufen sollte, aber dann fand er es charmanter, einfach stehen zu bleiben.“2Ebd. S. 9.

ZEIT-Literaturkritiker Ijoma Mangold sieht „Allegro Pastell“ in der Nachfolge von Christian Krachts „Faserland“. Er bezeichnete den Roman als eines der wichtigsten Bücher der deutschen Gegenwartsliteratur, von dem womöglich eine neue literarische Jugendbewegung ausgehen könne. Dabei zielt der Autor selbst gar nicht darauf, das Bewusstsein einer ganzen Generation einzufangen, sondern vielmehr ein kleines, ganz spezifisches Milieu, wie der 37-Jährige im Rahmen einer Lesung im Literaturforum im Brecht-Haus erzählt: „Ich habe die Gegenwart beschrieben von wohlsituierten, freiberuflich tätigen Kreativen aus der Altersspanne zwischen 30 und 35“. Tanja und Jerome sind dessen idealtypische Vertreter, die viel Zeit, die Kompetenz und vor allem das Privileg haben, sich im Grunde ständig mit sich selbst auseinanderzusetzen. Als Repräsentant dieses Milieus hat Randt ein starkes Gespür für die Sprache und das Lebensgefühl seiner Figuren. Getreu dem Titel schildert er auf leichte, nahezu beiläufige Weise ihre fortlaufenden Alltagsreflexionen und liefert weichgezeichnete Gegenwartsbeobachtungen. Es gibt keinen Bruch, keine wirklichen Ambivalenzen oder Abgründe, stattdessen ist alles relativ okay. Doch in dieser sanften Gedämpftheit liegt gerade die Stärke des Romans. Seine subtil ironische Sprache erzeugt eine gewisse Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, sodass die Lektüre trotz aller Kontrolliertheit nicht langweilig wird. Aus jeweils abwechselnder Perspektive beschreibt Randt mit fast emotionslosem Erzählton, wie sich die ProtagonistInnen in Schleifen immer wieder voneinander entfernen, sich im Austausch von Ideen und Sichtweisen gegenseitig anziehen und abstoßen. Sie artikulieren ihre Gedanken, Gefühle und ästhetischen Werturteile mit Anglizismen wie „cute“ oder „nice“ und akkurat ausgewählten Emojis. Mit Begriffen wie „Enjoyment“, „Achtsamkeit“ oder „Psychohygiene“ und gezielt eingesetzten Markennamen zeichnet Randt das Milieu, in dem sein Roman spielt, konsequent und detailliert nach. Form, Sprache und Inhalt ergeben miteinander ein sinnfälliges Ganzes, sodass es dem in Frankfurt geborenen Autor gelingt, einen stimmigen Ausschnitt der deutschen Gegenwart vor der Krise wiederzugeben.

„Germany's next Lovestory“, wie es in der Verlagsankündigung heißt, wurde von den deutschen Feuilletons viel besprochen und häufig hochgelobt. Was „Allegro Pastell“ so lesenswert macht, ist vor allem Randts originärer Schreibstil. Mit hippen Dialogen und präzisen Beobachtungen entwickelt er einen erstaunlichen Sog, der den kontrollierten und ästhetischen Blick auf den Alltag von jungen Leuten abbildet, die weitgehend gut zurechtkommen. Angesichts der momentanen Weltlage wundert man sich allerdings über die apolitische Haltung und relative Sorglosigkeit der ProtagonistInnen. Doch vielleicht liegt gerade hierin die Anziehungskraft des Romans. Im Interview erklärt Randt: „Mein Wunsch war, ein eher gut gelauntes Buch zu schreiben, das die relative Langeweile des deutschen Lebens auch umarmt“3https://kulturnews.de/leif-randt-allegro-pastell/. Die krisenhaften Monate seit Erscheinen des Buches haben wohl in einigen von uns den Wunsch geweckt, die Langeweile möge uns doch bitte zurück umarmen.

Headerfoto: Leif Randt © Zuzanna Kaluzna

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Hier findet ihr weitere Informationen zum Buch sowie aktuelle Veranstaltungstermine mit Leif Randt auf der Seite des KiWi-Verlags