Stellwerk Magazin

Krieg im Kopf

Vorwort

In seinem aktuellen Kriegsdrama „Da 5 Bloods“, das Mitte Juni auf Netflix erschien, nimmt Regisseur Spike Lee sein Publikum mit auf eine Reise in den vietnamesischen Dschungel. Der Film über eine Gruppe afroamerikanischer Vietnam-Veteranen fördert nicht nur deren individuelle Traumata zutage. Er funktioniert zugleich als Parabel auf die Lebensrealität Schwarzer US-AmerikanerInnen, die sich bis heute in einem brutalen Kampf um Gleichberechtigung befinden.

Regisseur Spike Lee zusammen mit Clarke Peters, Delroy Lindo, Jonathan Majors und Norm Lewis © Netflix Regisseur Spike Lee zusammen mit Clarke Peters, Delroy Lindo, Jonathan Majors und Norm Lewis am Set von „Da 5 Bloods“ © Netflix

Paul (Delroy Lindo) wiederholt es immer wieder: „No, not today. No, I don’t want it.“ Doch der vietnamesische Verkäufer lässt nicht locker und wedelt unaufhörlich mit einem Huhn vor Pauls Gesicht. Letzterer winkt ab, rutscht ein wenig zur Seite und betont nun sogar auf Vietnamesisch, dass er nicht interessiert sei. Der Ton wird rauer, die Anspannung wächst. Lange macht Paul dieses Spiel auf dem schwimmenden Markt nicht mehr mit. Einen Ausweg findet er auf dem Schiff allerdings auch nicht und schon droht die Situation zu eskalieren. Spike Lee schafft es in „Da 5 Bloods“ immer wieder, diese kaum auszuhaltende Anspannung hervorzurufen. Er erzählt darin nicht nur die Geschichte einer kleinen Gruppe afroamerikanischer Vietnam-Veteranen, sondern spielt auch mit dokumentarischem Material und verschiedenen Erzählebenen, um vor allem die Perspektive Schwarzer1Wir orientieren uns im STELLWERK an den Formulierungshilfen der Neuen deutschen MedienmacherInnen für eine differenzierte und vielfältige Berichterstattung. „Schwarz“ und „weiß“ sind politische Begriffe und beziehen sich nicht auf die Hautfarbe. Die Initiative „der braune mob e.V.“ schreibt: „Es geht nicht um ‚biologische‘ Eigenschaften, sondern gesellschaftspolitische Zugehörigkeiten.“ Um das deutlich zu machen, plädieren sie und andere dafür „Schwarz“ groß zu schreiben. US-BürgerInnen am kollektiven Trauma des Vietnamkriegs herauszuarbeiten.

Die vier „Bloods“ (frei übersetzt: Blutsbrüder) kehren nach mehr als 40 Jahren in das Land ihres Einsatzes zurück, um die sterblichen Überreste ihres ehemaligen Kameraden und Anführers Norman zu bergen. Die Spuren zu seinem provisorischen Grab sind nach einer Schlammlawine wieder auf Satellitenfotos zu sehen. An dieser Stelle hatten sie außerdem eine Kiste voller Goldbarren versteckt, die es nun ebenfalls zu finden gilt. Das fröhliche Wiedersehen im Hotel zu Beginn des Films wird jedoch schon bald von zurückliegenden Ereignissen überschattet, die nun wieder an Aktualität gewinnen. Spätestens als die Veteranen die Reise in den Dschungel antreten, geraten ihre Pläne aus dem Ruder: Jeder einzelne von ihnen verbirgt ein Geheimnis, das im Verlauf des Films enthüllt wird und zu Problemen führt. So ist beispielsweise Paul stark posttraumatisch belastet, leidet an Panikattacken und wird im Dschungel selbst für seine Freunde unberechenbar. Insbesondere in den letzten 40 Minuten des Kriegsdramas, während Paul sich allein durch den Dschungel schlägt und immer intensivere Wahnvorstellungen entwickelt, liefert Delroy Lindo eine unglaubliche schauspielerische Leistung, für die er schon jetzt als Oscar-Kandidat gehandelt wird. Auch die übrigen Protagonisten hat Lee mit einem starken Ensemble besetzt: Seien es die anderen drei Veteranen der Gruppe – Clarke Peters als Otis, Isiah Whitlock Jr. als Melvin und Norm Lewis als Eddie – oder auch Jean Reno als kalter Geschäftsmann Desroche – die Schauspieler agieren mit einer solchen Energie, dass der Film an Intensität und Spannung kaum zu überbieten ist.

Da 5 Bloods © Netflix 2020 Jonathan Majors als David, Isiah Whitlock Jr. als Melvin, Norm Lewis als Eddie, Clarke Peters als Otis und Delroy Lindo als Paul © Netflix

Die verschiedenen zeitlichen Ebenen im Film stellt Lee auch visuell unterschiedlich dar: Die Rückblenden zu den Kriegserlebnissen der „Bloods“ erscheinen im 4:3-Format. In den Zeitsprüngen verzichtet Lee jedoch trotz digitaler Möglichkeiten darauf, seine Protagonisten zu verjüngen. Obwohl er in der Öffentlichkeit hierfür finanzielle Gründe anführt, stellt sich gerade der Verzicht auf die Verjüngung als spannender Effekt heraus. Die Flashback-Szenen suggerieren auf diese Weise, dass die ehemaligen Soldaten in ihren Köpfen noch immer auf den Schlachtfeldern kämpfen, dass der Krieg die Veteranen noch immer verfolgt. So wie sich bei ihnen die individuellen Kriegserfahrungen verfangen haben, so haben sich im kollektiven Gedächtnis der USA die Bilder von Vietnam-Kriegsfilmen wie „Apocalypse Now“ eingeprägt, auf den Lee mehrfach Bezug nimmt: In der Bar, in der die „Bloods“ zu Beginn einen gemeinsamen Abend verbringen, prangt an einer großen Wand der Titel des Kult-Films. Und auch Richard Wagners opulenter „Walkürenritt“ ertönt bei Lee 2020 ebenso wie bei Francis Ford Coppola 1979. Statt seine Handlung jedoch in die Zeit des Vietnamkriegs zu verlegen, beleuchtet Lee in „Da 5 Bloods“ vielmehr dessen gesellschaftliche Folgen. Dabei setzt er den Krieg zudem in einen Zusammenhang mit dem andauernden Kampf um Gleichberechtigung, den Schwarze in den USA bis heute führen. Indem er seine filmische Erzählung mit Originalbildern aus dem Vietnamkrieg und Reden von Martin Luther King sowie anderen SprecherInnen des Civil Rights Movement verschneidet, erzählt Lee den Konflikt vor allem als ein weiteres Trauma afroamerikanischer BürgerInnen.

So erwähnt beispielsweise eine Radiosprecherin im Film, dass Schwarze lediglich elf Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung ausmachen, aber über 30 Prozent der in Vietnam an der Front Kämpfenden. Ohne belehrend zu wirken, werden immer wieder derlei Fakten eingeflochten, die ein langwieriges und grundlegendes Problem struktureller Benachteiligung und Stigmatisierung von Schwarzen in den USA aufzeigen. „It’s strange how a war never ends for those involved.“ Diesen Satz sagt Hedy (Mélanie Thierry), die im Film eine Organisation zur Entfernung von Landminen leitet. Und sie trifft damit den Kern von „Da 5 Bloods“: Ob ein vietnamesisches Kind mit verstümmelten Beinen, das die Veteranen um Geld bittet, oder die seelischen Deformationen von Paul – der Krieg prägt das Land und die Beteiligten bis heute. Und nicht nur das: Er scheint sich im Heimatland der „Bloods“ fortzusetzen.

Headerfoto: Isiah Whitlock Jr. als Melvin, Norm Lewis als Eddie, Clarke Peters als Otis, Delroy Lindo als Paul und Jonathan Majors als David in „Da 5 Bloods“ © Netflix