Stellwerk Magazin

Die Kletterpflanze unter den Literaturfestivals

Vorwort

„Wäre das ELK rein biologischer Natur, […] wäre es eine Kletterpflanze – sie wächst, wohin es ihr gefällt und am liebsten hat sie es, wenn dabei die Sonne scheint.“ Mit diesen Worten eröffnet Philipp-Bo Franke, Herausgeber der Literaturzeitschrift Kliteratur das Europäische Literaturfestival Köln-Kalk, ELK, das vom 4.-6. September bereits zum zweiten Mal stattfand. Acht internationale DichterInnen kamen in Köln-Kalk zusammen, um zu lesen und in einen interkulturellen Austausch zu treten. Mit dabei waren Rasmus Nikolajsen (Dänemark), Margarita Athanasiou (Griechenland), Pablo Jofré (Chile), Zahava Khalfa (Israel), Željana Vukanac (Serbien) und Zoltán Lesi (Ungarn) – Eleonore Schönmaier (Kanada) und Krišjānis Zeļģis (Lettland), konnten leider nicht persönlich anreisen, ihre Texte wurden trotzdem vorgetragen. Organisiert wurde das Literaturfestival von dem Verlag Parasitenpresse, der Literaturzeitschrift Kliteratur, dem Integrationshaus e.V. und dem Kunts e.V.

© Amer Kashama © Amer Kashama

Samstagmittag in Köln-Kalk. Pastellfarbene Papier-Pompons wippen im Wind, die Leute stöbern mit einem Kaffee in der Hand am bunt gemischten Büchertisch unter den Kirschbäumen, aus den Boxen tönt Musik. Auf dem Ottmar-Pohl-Platz ist eine kleine Bühne aufgebaut, rundherum stehen vereinzelt Stühle, Bänke und eine Hängematte. Kinder spielen im Hintergrund auf den Weiten des Platzes, die Sitzplätze füllen sich allmählich mit Studierenden, älteren Frauen und Männern, AnwohnerInnen – Literaturinteressierten.

Entstanden ist das Festival ursprünglich durch eine Reise nach Griechenland, erzählt mir Adrian Kasnitz, der den Verlag Parasitenpresse betreibt. Gemeinsam mit Jonas Linnebank, Herausgeber der Literaturzeitschrift Kliteratur, reiste er 2019 nach Athen, um sich mit kleinen griechischen Verlagen und Literaturzeitschriften auszutauschen. Doch ihm war es wichtig, nicht nur selbst nach Griechenland zu reisen, sondern die dortigen Literaturschaffenden auch nach Köln einzuladen, denn „ein gleichberechtigtes Projekt ist mit Reisen für beide verbunden.“ Mit diesem Gedanken des gegenseitigen interkulturellen Austausches ist dann das ELK entstanden. Ein weiterer Aspekt war, auch mal etwas abseits des deutschen Literaturzentrums Berlin aufzubauen. Von den Rändern aus etwas bewegen – in diesem Fall von Köln-Kalk. Und da das Konzept gut ankam, fand am Wochenende bereits das zweite Europäische Literaturfestival Köln-Kalk statt: Diesmal Open Air auf dem Ottmar-Pohl-Platz und in der Pflanzstelle.

„Ich renne zwischen Sprachen, Orten / Stottere Fremdworte“

Vor der Kulisse ehemaliger Industriehallen lesen Zehava Khalfa aus Israel und Pablo Jofré aus Chile. Die Gedichte werden zweisprachig vorgetragen, zuerst in der Originalsprache, dann die deutsche Übersetzung. Die meisten ZuschauerInnen werden wohl nicht alle Sprachen verstehen, trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – lauschen sie gespannt den fremden Klangwelten und ungewohnten Sprachmelodien. Übersetzungs- und Migrationsprozesse sind auch innerhalb der Gedichte Thema: „Ich renne zwischen Sprachen, Orten / Stottere Fremdworte“, heißt es etwa in Zehava Khalfas Gedicht „EISENBETT“. Und sie schulen die Wahrnehmung, wie Pablo Jofré im anschließenden Gespräch mit Moderator Adrian Kasnitz festhält: „Übersetzung ist eine Form, um genauer zu lesen.“ Zum Teil entstehen für das ELK auch neue Übersetzungen. Die Texte der serbischen Lyrikerin Željana Vukanac etwa sind zuvor noch gar nicht in deutscher Sprache erschienen und eröffnen sich nun einem breiteren Publikum – darunter auch die folgenden Zeilen aus dem Gedicht „Morgen“: „Jeden Morgen / zieht sie sich sich / über den Kopf aus“ [...] „Sie wirft sich selbst daneben / auf den Boden, neben sich / den Kopf von gestern / und fragt sich / ob das nicht schon reicht für heute.“

Zwischen Gemüsebeeten und Bienenstöcken © Amer Kashama Zuhören zwischen Gemüsebeeten und Bienenstöcken © Amer Kashama

„Og hvert blad er en celle i / byens krop“ („und jedes blatt / ist eine zelle des körpers / der stadt“), liest der dänische Lyriker Rasmus Nikolajsen in der Pflanzstelle, dem zweiten Leseort des ELK. Das Urban Gardening Projekt liegt nur ein paar Gehminuten vom Ottmar-Pohl-Platz entfernt und bietet die optimale Atmosphäre für Nikolajsens „Nature Poems“, die sich mit dem Rascheln der Bäume und dem gelegentlichen Summen einer Biene vermischen. Hier klart auch der Himmel ein wenig auf und das Publikum genießt die Sonnenstrahlen im wohl gemütlichsten Leseort Kölns. Nach Rasmus Nikolajsen werden Gedichte der kanadischen Dichterin Eleonore Schönmaier vorgelesen, die selbst leider nicht anreisen konnte. Ihre Zeilen aus dem Gedicht „Migrationen“ greifen ebenfalls das Themenfeld Migration auf und stimmen nachdenklich: „Nur die Vögel / reisen ohne Papiere / Doch oft sind jetzt / ihre winzigen Beine / wenn sie sich niederlassen / auf Leuchtturmgeländern / bunt beringt.“ Als der zweite Tag des Literaturfestivals sich am Samstagabend dem Ende zuneigt, bewahrheitet sich die Metapher des ELK als mathematische Formel (eine hochgestellte Zwei hatte in dieser Ausgabe den Festivaltitel ergänzt) – „Resonanz mal Resonanz ergibt einen quadratischen Klangkörper“: Das beweisen die vielen intensiven Gespräche über das zuvor Gehörte beim Ausklang am Lagerfeuer. Das liebevoll gestaltete Europäische Literaturfestival bereichert die Kölner Literaturlandschaft und fördert den Austausch zwischen AutorInnen, ÜbersetzerInnen und Literaturinteressierten – aus Köln, Europa und darüber hinaus.

Headerfoto © Amer Kashama

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