Stellwerk Magazin

Kioskbier statt Clubkultur

Vorwort

Seit einem halben Jahr haben die Kölner Clubs coronabedingt geschlossen. Einige werden die Krise wohl nicht überstehen – trotz finanzieller Hilfe vom Staat. Ein Feature zur Lage der Kölner Clubs während der Pandemie.

Dicht an dicht mit anderen Partywütigen warten Lena und Ava im fahlen Neonlicht einer Leuchtreklame bis sie endlich reinkommen. Die Stimmung ist ausgelassen, mit der Truppe hinter sich sind die beiden jungen Frauen bereits ins Gespräch gekommen, es wird gelacht, es wird gedrängelt – für einen Samstagabend in Köln eigentlich gar nicht so ungewöhnlich. Wüsste man es nicht besser, könnte man denken, Lena und Ava warten bis sie endlich beim Türsteher angekommen sind, um in einem der vielen beliebten Kölner Clubs zu tanzen. Doch in ganz Deutschland sind Großveranstaltungen seit März verboten und die Musikclubs geschlossen und so stehen die jungen Frauen nicht für einen Club an, sondern für ein Kioskbier auf einer belebten Kölner Barmeile. „Normalerweise gehen wir jedes Wochenende mindestens an einem der beiden Tage im Club feiern“, erklärt Ava. „Aber seit das nicht mehr möglich ist, muss man eben schauen, was man aus seinem Wochenende macht. Hier fühlt es sich wenigstens ein bisschen nach Party an.“

Ava und Lena sind Studentinnen in Köln und leben seit zwei Jahren gemeinsam in einer WG. Sie sind jung, wollen mit ihren Freunden zusammenkommen und das Beste aus ihrer Studienzeit machen. „Mir fehlt das schon extrem, einfach mit den anderen loszuziehen und tanzen zu gehen. Wäre die Lage anders, dann wäre ich die erste in der Schlange für das Artheater“, sagt Lena. „Nee, für das Odonien“, unterbricht Ava sie. „Dann einigen wir uns doch aufs Gewölbe, das ist auch näher für uns“, fährt Lena fort. „Aber wir verstehen auch, dass das momentan halt nicht drin ist. Ich hoffe einfach die guten Clubs überleben die Krise und machen nächstes Jahr ganz normal wieder auf.“

Eine Hoffnung, die wohl viele Menschen teilen, denn neben der Tourismusbranche trifft die aktuelle Gesundheits- und Wirtschaftskrise vor allem die Veranstaltungsbranche besonders hart. Rund 1,6 Millionen BesucherInnen tanzen laut einer Studie zur Kölner Club- und VeranstalterInnen-Szene aus dem Jahr 2016 unter normalen Bedingungen jährlich in den etwa 62 befragten Kölner Spielstätten. In diesem Jahr wird diese Bilanz wohl deutlich geringer ausfallen, denn Partys sind in der aktuellen Situation im Grunde gar nicht möglich. Zunächst sollte das erstmals im März verhängte Verbot von Groß- und Tanzveranstaltungen bis zum 31. August 2020 gelten, im Juni wurde es um zwei weitere Monate bis Ende Oktober verlängert, inzwischen gilt es noch bis mindestens Ende dieses Jahres. Für die ClubbetreiberInnen bedeutet das fehlende Einnahmen bei weiterhin laufenden Fixkosten. Die Frage, ob der Lieblingsclub die Pandemie wohl überstehen wird, ist also durchaus berechtigt. Doch wie sieht die aktuelle Lage der Kölner Clubs überhaupt aus?

„Die allgemeine Stimmung ist natürlich nicht wirklich von Optimismus geprägt“, sagt Heiko Rühl, Geschäftsführer des Gewölbes und Vorstandsmitglied des Verbandes Klubkomm. „Wir sind seit ungefähr sechs Monaten geschlossen und erwarten eigentlich, dass diese Schließung mindestens nochmal genauso lang geht.“ Als Interessenverband der Kölner Veranstaltungsszene vereint die Klubkomm rund 100 Mitglieder, darunter unter anderem BetreiberInnen von Bars und Clubs sowie VeranstalterInnen aus der ganzen Stadt. „Wir als Clubbetreiber stehen aktuell alle vor dem Problem: Wie kriegen wir unsere Läden mit den dahinterliegenden Strukturen und den logischerweise dazugehörigen Kostenpunkten durch eine so dermaßen lange Zeit der Schließung?“, erklärt Rühl, den wir Ende August zum Gespräch treffen. Clubgeschäft sei generell davon geprägt, keine besonders hohen Gewinne zu erzielen, dementsprechend gering seien die Rücklagen der meisten Clubs. Nach einem halben Jahr dürfte von diesen Rücklagen also nicht mehr viel übrig sein. Gerade zu Beginn der Krise gab es zwar viele Spenden, einige Clubs verkauften ihre Getränkelager, andere nutzten ihren Außenbereich, um einen kleinen Biergarten zu eröffnen. Um die Krise zu überstehen reicht das allein laut Rühl aber nicht aus. „Das war wirklich alles sehr aufmunternd und die Leute unterstützen ihren Lieblingsclub auch wo sie können“, sagt er. „Um Wirtschaftsstrukturen von Kulturbetrieben aber zu erhalten, ist eine größere Instanz nötig.“

In der aktuellen Krise ist das vor allem der Staat. Mehrere Milliarden Euro wurden in den letzten Monaten von der Bundesregierung als Corona-Hilfen für Betriebe und Wirtschaftsunternehmen zur Verfügung gestellt. Auch die Kölner Clubs sind von diesen Hilfen abhängig. Erst kürzlich verlängerte der Bund die Überbrückungshilfen bis Ende des Jahres. Seit dem 1. September 2020 steht auch das Programm „Neustart Kultur“ zur Förderung von Kulturveranstaltungen unter Pandemie-Auflagen zur Verfügung, das Land Nordrhein-Westfalen schließt allerdings Musikclubs explizit aus seiner Corona-Kulturförderung aus. „Ich kann jetzt zwar Gelder für ein neues Konzept bekommen – was gerade in kleinen Clubs nur schwer möglich ist, da sich Abstandsregelungen kaum einhalten lassen. Aber was vergessen wurde: Ich kann nach wie vor die Leasing-Rate meiner Fahrzeuge nicht bezahlen, das Büro in dem ich sitze, die Miete, die Strom- und Wasserkosten – all das lässt sich darüber nicht abdecken. Hier entsteht momentan eine Lücke, die nur in Teilen über die Überbrückungshilfe aufgefangen wird“, erklärt Heiko Rühl. „Da versuchen wir als Verband gerade auf Landesebene in NRW eine Lösung zu finden. Denn dieses Problem haben wir nicht nur in Köln, das gibt es in Aachen, Bielefeld oder Dortmund genauso. Es wäre also schön, wenn es vernünftige Programme gäbe. Das ist beispielsweise in Berlin oder Hamburg so. Auch Bayern hat ein umfangreiches Spielstättenprogramm aufgesetzt, in NRW fehlt das aber bisher und bei einigen Clubs wird’s inzwischen schon wirklich eng“, erklärt der Geschäftsführer des Gewölbes.

Die Lage der Kölner Clubs ist also insgesamt nach wie vor angespannt. „Wir fordern natürlich gar nicht, dass die Clubs wieder aufmachen. Mein Wunsch wäre aber, dass man im zweiten Quartal des nächsten Jahres wieder etwas mit einer reduzierten Kapazität machen kann“, sagt Rühl. „Und ein kleiner Wunsch von uns Betreibern, sobald wir wieder öffnen: Vielleicht das nächste Wegbier lieber direkt an der Theke bestellen, das würde schon sehr helfen.“ Inzwischen haben auch Ava und Lena es mit einem Bier aus dem Kiosk geschafft. „Hätte ich gewusst, dass es so lange dauert bis wir da reinkommen, hätte ich mich gar nicht angestellt“, sagt Ava. „Für einen Club hätte sich das Warten garantiert mehr gelohnt“, ergänzt Lena. Ein Club wäre wohl auch ähnlich überfüllt gewesen, wie die Schlange vor dem Kiosk. Doch bis diese wieder normal öffnen können, werden die Menschen sich weiterhin andere Orte suchen, an denen sie feiern: Seien es öffentliche Plätze, Parks oder eben auf der Straße vor einem Kölner Kiosk – ungeachtet dessen, ob die dortigen Strukturen darauf ausgelegt sind oder nicht. Wie sich das Nachtleben während Corona in der nahenden kalten Jahreszeit gestalten wird, lässt sich bisher noch nicht wirklich abschätzen. Fakt ist aber: Die Menschen vermissen ihre Lieblingsclubs und die Flucht vor dem Alltag, die sie meist nur dort erleben können.

Headerfoto: Benjamin Davies auf Pixabay