Stellwerk Magazin

Männlichkeit(en)

Vorwort

Am 1. Dezember stand Deutschland für einen Moment still. Im Herzen von Trier, an der Porta Nigra, kreisen Hubschrauber in der Luft und Passanten schauen fassungslos ins Leere. Gegen 13:47 Uhr fuhr hier ein 51-jähriger mit einem Geländewagen in der Fußgängerzone Amok und tötete dabei fünf Menschen. Schon wieder ein Gewaltexzess, schon wieder ein Mann als Täter. Im Rahmen der öffentlichen Motivsuche, die sich an einen solchen Vorfall anschließt, begegnet einem in den letzten Jahren immer häufiger der Begriff der „toxic masculinity“, also toxische Männlichkeit. Was damit genau gemeint ist und inwiefern auch ein gesellschaftlich akzeptiertes Bild von Männlichkeit für heranwachsende Männer ein Problem darstellt, ergründet der britische Autor und Aktivist JJ Bola in seinem Buch „Sei kein Mann. Warum Männlichkeit ein Albtraum für Jungs ist“ (im Original: „Mask Off“), das diesen Sommer in der deutschen Übersetzung des Kulturjournalisten Malcolm Ohanwe bei hanserblau erschienen ist.

Buchcover JJ Bola „Sei kein Mann“ JJ Bola: Sei kein Mann. Warum Männlichkeit ein Albtraum für Jungs ist. Berlin: hanserblau 2020. 16 Euro.

In insgesamt acht Kapiteln, plus Einleitung und Fazit, beleuchtet Bola in „Sei kein Mann“ verschiedene Aspekte toxischer Männlichkeit und stellt Bezüge zu Themen wie Rassismus und Sexismus her. Er erklärt u.a. die Funktion zugewiesener „gender-roles“ im Kindesalter, verweist auf den Zustand der psychischen Gesundheit in der männlichen Bevölkerung, auf die Verbindung von Macht und Männlichkeit in der Politik und argumentiert, warum auch Männer den feministischen Kampf um Gleichberechtigung wertschätzen sollten. Anschaulich und verständlich macht Bola sichtbar, dass toxische Männlichkeit ein Teil des gesellschaftlichen Alltags ist, mit dem wir permanent konfrontiert sind. Das Buch wurde als „Einsteigerbuch für Heteromänner“1https://www.deutschlandfunkkultur.de/sei-kein-mann-von-jj-bola-einsteigerbuch-fuer-heteromaenner.1270.de.html?dram:article_id=482628 bezeichnet und tatsächlich kann man im Verlauf der Lektüre eine Menge lernen – auch als Frau.

Besonders eingängig gibt beispielsweise das zweite Kapitel, das mit „Gang Signs and Prayer: Männliche Gewalt, Aggressivität und psychische Gesundheit“ übertitelt ist, Aufschluss über den Zusammenhang von toxischer Männlichkeit und emotionaler Verletzlichkeit. Doch was genau versteht man eigentlich unter dem Begriff „toxic masculinitiy“? Dieser beschreibt eine Vorstellung von Männlichkeit, die in unserer Gesellschaft sehr verbreitet ist. Männer sollen jederzeit stark und dominant auftreten. Entsprechend wird von ihnen eher erwartet aggressives Verhalten an den Tag zu legen, als sich sensibel oder liebevoll zu zeigen – schon gar nicht untereinander. Dies sind weiblich konnotierte Verhaltensweisen, von denen man sich scharf abgrenzen muss; dazu gehört auch die Kommunikation und das Zeigen von Gefühlen. Wichtig ist jedoch festzuhalten, dass toxische Männlichkeit erlernt ist und damit keine genuinen Eigenschaften von Männern gemeint sind.

Über den Autor: JJ Bola wurde 1986 in Kinshasa, Kongo geboren und floh im Alter von sechs Jahren mit seiner Familie nach Großbritannien. In London wuchs er in einem sogenannten sozialen Brennpunkt auf. Als Jugendlicher war er Basketballspieler und spielte zwischenzeitlich auch auf nationaler Ebene. Im Anschluss an sein Studium in Kreativem Schreiben an der Birkbeck University war er einige Jahre als Sozialarbeiter in der Jugendarbeit tätig. Bola engagiert sich weltweit zu Themen wie Rassismus, Migrationserfahrungen und Männlichkeit. Er veröffentlichte bislang drei Gedichtbände und einen Roman. „Sei kein Mann“ ist sein erstes Sachbuch.

Der Autor schildert in seinem Buch, dass er selbst aufgrund dieser Sozialisation „höllische seelische Schmerzen“2Bola, JJ: Sei kein Mann. Warum Männlichkeit ein Albtraum für Jungs ist. Berlin: hanserblau 2020. S. 43. erleiden musste und in seiner Jugend oftmals das Gefühl von Leere in sich trug. Als Kleinkind, berichtet Bola, wird man auch als Junge noch oft in den Arm genommen. Doch mit dem Erwachsenwerden ändert sich das und es wird einem die körperliche Nähe verwehrt. Stattdessen heißt es: „Männer weinen nicht“3Ebd. S. 27. und „reiß dich zusammen, Junge“.4Ebd. S 26. Bola macht anschaulich, dass die gesellschaftlich verordnete Stärke des Mannes schon fast wie ein Gift auf die innere Gefühlswelt von kleinen Jungs wirkt. Das Zusammenspiel von sozialen Institutionen und medialer Öffentlichkeit fördert diese Stereotypen zudem und verstärkt, dass heranwachsende Jungs dieses Bild von Männlichkeit als normal ansehen. Diese Sozialisation führt also einerseits dazu, dass Männer häufiger Probleme damit haben ihre emotionalen Konflikte zu artikulieren und in der Folge ihre seelische Gesundheit darunter leidet – ein Indiz dafür ist, dass ein Großteil der Suizide von Männern durchgeführt wird – beispielsweise in Deutschland lag der Anteil im Jahr 2019 laut statistischem Bundesamt bei 76%.
Die andere Seite ist, dass aggressives Verhalten als „zweite Natur des Mannes“5Ebd. S 36. gilt. Männliche Wutausbrüche werden schneller abgetan und nicht weiter in den Mittelpunkt eines Gespräches gesetzt – sie sind normalisiert. Denken wir an den Amokläufer von Trier zurück und unzählige vergleichbare Gewalttaten, die hauptsächlich von Männern begangen werden, so ist eigentlich erstaunlich, dass erst in den letzten Jahren der Faktor „Männlichkeit“ in Bezug auf Täterschaft in den Fokus des öffentlichen Gesprächs gerückt ist.

Doch wie können vor allem heranwachsende oder erwachsene Männer lernen diese Stereotypen abzulegen, wenn ihnen diese oftmals von klein auf beigebracht wurden? Im Rahmen eines Instagram-Talks zum Buch erklärt Bola seinem Übersetzer Malcolm Ohanwe, dass auch er einen langen Prozess durchgemacht hat, um seiner Umwelt auf andere Weise begegnen zu können. Er erzählt, wie er sich als heranwachsender Mann in dieser patriarchalen Welt gefühlt hat; wie er sich unangenehmen Fragen stellen musste, um sich aus diesen Mustern zu lösen: „Wieso fühlst du dich angegriffen, wenn zwei Männer sich auf der Straße küssen? Wieso findest du es normal, dass sich zwei Jungs schlagen, aber verurteilst, wenn sie sich in den Arm nehmen?“ Bolas Buch ist letztlich das Ergebnis einer jahrelangen Auseinandersetzung mit sich selbst und seinen eigenen Empfindungen als heranwachsender Mann. In seinem Fazit „Man in the mirror“ schreibt er, dass er als Teenager, der mit „toxic masculinity“ zu kämpfen hatte, gerne ein Buch wie seins gelesen hätte. Zudem formuliert er zehn Handlungsanweisungen, die dabei helfen sollen, eine radikal neue Version von Männlichkeit zu schaffen, frei von patriarchalen Klischees und Stereotypen. Indem er persönliche Erfahrungen, Lebensereignisse und sein Wissen aufgrund seiner Arbeit mit Jugendlichen teilt, leistet Bola mit „Sei kein Mann“ ein Stück Aufklärungsarbeit um ein neues, vielfältigeres Bild von Männlichkeit(en) zu entwerfen.

Headerfoto: JJ Bola © Tunde Somoye

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Hier findet ihr weitere Informationen zum Buch auf der Website der Hanser Literaturverlage