Stellwerk Magazin

Als das Theater zu mir nach Hause kam und die Stille blieb

Vorwort

Nachdem es sich zu Beginn der Pandemie noch nach großem Abenteuer anfühlte, Kulturveranstaltungen im Netz zu erleben, wird inzwischen die Stille danach immer lauter. Ende Oktober 2020 feierte „Network“ in der Inszenierung von Jan Bosse am Thalia Theater in Hamburg Premiere – in Präsenz. Mittlerweile wird es als Live-Version im Netz aufgeführt und überrascht durch eine gelungene Übersetzung in einen Online-Theaterabend: Kameras werden Teil des Bühnenkonzepts und filmische Mittel lassen die ZuschauerInnen vor den Bildschirmen intensiv am Geschehen teilhaben. Umso seltsamer, wenn am Ende der Applaus ausbleibt. Ein Erlebnisbericht aus dem heimeligen Wohnzimmer, verfasst in Jogginghose.

Besetzung:

Es spielen: Wolfram Koch (Howard Beale), Christiane von Poelnitz (Diana Christensen), Felix Knopp (Max Schumacher), Jirka Zett (Frank Hackett), Julian Greis (Aufnahmeleiter Harry Hunter), Björn Meyer (Assistentin / Schlesinger / Anheizer), Oliver Mallison (Ed Ruddy / Jack Snowden) Bühnenbearbeitung: Lee Hall nach dem Film von Paddy Chayefsky Übersetzung: Michael Raab Regie: Jan Bosse Bühne: Stéphane Laimé Kostüme: Kathrin Plath Dramaturgie: Christina Bellingen

Es ist Samstagabend an einem verschneiten Januarwochenende. Der Lockdown 2.0 ist überall zu spüren – auch im Online-Netzwerk der Kultur. Als im März 2020 landesweit Veranstaltungsverbote ausgerufen wurden, drängten KünstlerInnen und VeranstalterInnen auf die digitalen Plattformen. Die Kultur wurde über den Laptop in die eigenen vier Wände geholt. Dann kam der Sommer und mit ihm kurzfristige Lockerungen. Doch auf einen „Lockdown-Light“ im November folgte erneut ein „harter Lockdown“ und als ich an diesem Samstag in den Tiefen der Livestreaming-Plattformen nach einer Abendbeschäftigung stöberte, überkam mich kurzzeitig ein Gefühl der Ratlosigkeit. Wo waren all die Lesungen? Wo die Konzerte, die Filmtalks und Poetry Slams, die zu Anfang der Pandemie noch so zahlreich zu finden waren?

Als ich schon fast aufgeben wollte, begegnete mir auf der Veranstaltungsplattform dringeblieben.de ein Zitat: „I’m mad as hell and I can’t take it anymore“. Es stammt aus dem 70er Jahre Film „Network“, der aktuell als Bühnenadaption am Hamburger Thalia Theater zu sehen ist. Ich glaube, in diesem Moment überkam mich so etwas wie Sympathie. Also kaufte ich ein Ticket, ließ das Popcorn in der Mikrowelle ploppen, goss mir ein Glas Wein ein und machte es mir in Jogginghose auf der Couch bequem.

Es war die Überraschung eines tristen Samstagabends

„Network“ erzählt die Geschichte von Howard Beale, Moderator bei einem großen amerikanischen Nachrichtendienst in den 70er Jahren. Als der Sender Beale feuert, weil die Quoten nicht stimmen, kündigt dieser vor laufender Kamera an, sich in der nächsten Sendung das „Hirn wegzublasen“. Kurz darauf schnellen die Quoten in die Höhe und aus dem eigentlich unzurechnungsfähigen Howard Beale wird ein „zorniger Prophet, der gegen die Zornigkeit der Welt wettert.“ In seiner von nun an populistischen Sendung sagt er das, „was jeder Amerikaner fühlt: nämlich, dass er genug von all der Scheiße hat“ (Zitate aus „Network“).

Zunehmend jedoch übermannt Beale – verkörpert von einem großartigen Wolfram Koch – der Wahnsinn. Die KollegInnen haben keinerlei Einfluss mehr auf ihn oder seine fragwürdigen Aussagen. Beale animiert letztlich das Publikum zu einem Aufstand: „Ihr müsst jetzt wütend werden!“, brüllt er frontal in die Kamera und langsam schleicht sich das seltsame Gefühl ein, dass wir diese dystopische Medienlandschaft von irgendwoher kennen. ZEIT-Rezensent Peter Kümmel spricht von Beale als „TV-Truppenführer“1https://www.zeit.de/2020/45/wolfram-koch-network-thalia-theater-hamburg/komplettansicht und sieht eine Parallele zu keinem Geringeren als, natürlich, Donald Trump.

Fast so wie eine echte Nachrichtensendung

„Network“ schafft es, dass ich mich auf dem Sofa meines warmen Zuhauses plötzlich ganz unwohl und nah dran fühle. Das gelingt Regisseur Jan Bosse vor allem, indem er sich filmischer Mittel bedient. Denn das Theaterstück wird nicht einfach frontal aus Zuschauerperspektive abgefilmt. Gleich mehrere Kameraleute huschen während der Vorstellung über die Bühne und fangen das ein, was uns als Publikum einer Präsenzveranstaltung oftmals verborgen bleibt: Wir erhalten die Chance, auch die dem Publikum abgewandten Seiten der Drehbühne zu überblicken; erhaschen einen Blick in die quietschorangene 70er Jahre Büroeinrichtung des Senders, oder beobachten die Jazzband im Zentrum der Drehbühne dabei, wie sie das Geschehen live musikalisch begleitet. Zu Beginn ist es noch etwas befremdlich, dass in der Totalen plötzlich der Kameramann zu sehen ist, der gerade noch eine Nahaufnahme geliefert hatte. Doch letztlich wird dieser scheinbare Illusionsbruch inhaltlich aufgefangen: die Anwesenheit der Kameras fügt sich problemlos in das Bühnensetting des Nachrichtensenders ein.

Niemals hätte ich in der letzten Reihe des Thalia Theaters die Möglichkeit gehabt, das vor Wut verzerrte Gesicht eines Wolfram Koch so detailliert zu erhaschen. Vor allem wäre ich sicherlich nicht für einen Tag von Köln nach Hamburg gefahren, um mir dort ein Theaterstück anzuschauen. Neben der dynamischen Kameraarbeit bedient sich die Inszenierung auch visueller Zitate aus der Fernsehgeschichte: plötzlich erscheint am unteren Bildschirmrand meines Laptops die Namenseinblendung „Howard Beale“, Musik setzt ein, die Kamera zoomt an den Nachrichtensprecher heran und das Bild wölbt sich wie bei einem Röhrengerät der 70er Jahre.

Über die Verpixelung und die Stille danach

Ab und an passiert es jedoch, dass die Live-Übertragung hängt oder die Qualität schwindet. Dann bin ich kurzzeitig raus und ärgere mich ein bisschen, wobei ich lediglich meinem Laptop einen bösen Blick zuwerfen kann. Kurz darauf wird aus dem orangenen Allerlei wieder eine scharfe Theaterbühne in Echtzeit, die mir ein kurzes „ah“ entlockt.

„Network“ thematisiert vor allem die Macht der Medien und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft: hochgradig satirisch und komisch, doch durch den aktuellen Bezug beängstigend zugleich. Dabei kommt es dem Theaterabend beinahe zugute, dass er sich derzeit technischer Mittel bedienen muss. Denn die medialen Bedingungen des Live-Streams lassen genau das sichtbar werden, was „Network“ thematisiert: Fernsehen als „Propagandamaschinerie“, bei der in erster Linie die Einschaltquoten und die erfolgreiche Inszenierung einer „allgemeinen Heiterkeit“ zählen. Das Ensemble spielt sowohl für die Bühne als auch die Kamera hervorragend und so kriegen wir – anders als beim Film – tatsächlich das Gefühl: Das hier ist einzigartig und nicht on demand.

Doch als am Ende der Vorhang hinuntergleitet, fühle ich mich seltsam dabei, nicht zu klatschen. Auch die SchauspielerInnen treten nicht noch einmal auf die Bühne und verbeugen sich, obwohl alle Mitwirkenden einen rauschenden Applaus verdient hätten. Stattdessen läuft der Abspann wie bei einem Film und dann wird der Bildschirm schwarz. Was bleibt, ist die Stille danach. Kein Applaus, kein Räuspern oder angeregtes Tuscheln. Ich befinde mich immer noch allein in meinem Wohnzimmer mit einem leeren Glas Wein und habe viele Fragen im Kopf, über die ich mit niemandem sprechen kann.

Header- & Vorschaufoto: Wolfram Koch als Howard Beale © Armin Smailovic

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Hier findet ihr weitere Informationen zur Inszenierung auf der Website des Thalia Theaters