Stellwerk Magazin

Mit der Pest gegen Corona

Vorwort

Auf Lockdown folgt Lockerung folgt Lockdown. Als Theaterschaffender möchte man verrückt werden. Regisseur Kieran Joel ist kurz davor. Mit „Das Theater und sein Double. Eine Projektion“ präsentiert er die erste Filmproduktion aus dem Kölner Theater im Bauturm. Und sucht ausgerechnet mit dem Beschwörer des pestinfizierten „Theater der Grausamkeit“, Antonin Artaud, nach ästhetischen Wegen aus der Misere. Er scheitert auf grandiose Weise.

Besetzung:

Es spielen: Bernhard Dechant, Jeremy Mockridge Regie: Kieran Joel Kamera und Schnitt: Nazgol Emami Musik: Koxette Ausstattung: Katharina Wilting Regieassistenz: Ronja Meter

Als der erste Lockdown im letzten Frühling das Theatergeschehen lahmlegte und RegisseurInnen wie SchauspielerInnen ins Home-Office verbannte, war das selbstverständlich ein Schock. Und doch kann man konstatieren: Die Theaterszene erarbeitete tapfer neue Formate, um die Bretter, die doch die Welt bedeuten sollen, zumindest virtuell sichtbar zu machen. Ob in Streams, Instagram Storys oder Podcasts – das Theater ließ sich einiges einfallen. Und doch blieb die widersprüchliche Natur dieser Aufführungspraktiken niemandem verborgen: Wie lässt sich der ästhetische Eigenwert des Theaters noch definieren, wenn nicht durch körperliche Präsenz und durch die spontane Dynamik des individuellen Theaterabends? Wo ist noch der Unterschied zwischen Theater, Film und Youtube-Clip, wenn eine Inszenierung auf vimeo hochgeladen wird? Als sich die Lage im Sommer dann entspannte und ausgetüftelte Hygienekonzepte das Treiben auf der realen Bühne wieder erlaubten, war das kollektive Aufatmen deutlich zu hören. Endlich hatte man wieder echte Bretter unter den Füßen.

Als einer der ersten Regisseure reagierte Kieran Joel auf die Corona-Krise und deren Auswirkungen auf das Theaterleben. Im Juni inszenierte er im Theater im Bauturm „Das Theater und sein Double“. Bernard Dechant, durch eine Plexiglasscheibe von den Zuschauerreihen abgetrennt, suchte dort vor sich hin delierend Rat bei Antonin Artaud. Der Regisseur und Theatertheoretiker Artaud hatte 1938 in seinem Traktat „Das Theater und sein Double“ nämlich ausgerechnet die Pest als zentrale Metapher auserkoren, die sein künftig zu schaffendes „Theater der Grausamkeit“ beschreiben sollte. Wie ein aufplatzender Pestabszess müsse sich der „kollektive Abszess“ der gesellschaftlichen Krankheiten, die unter dem Firniss der Zivilisation vor sich hinschwelen, im Theater entladen. Wie die Pest müsse auch das Theater Körper und Geist seines Publikums infizieren, indem es eine Formensprache entwickelt, die mehr ist als das Aufsagen von Texten toter DichterInnen. Artaud fürchtete die Pest nicht, er feierte sie als Destabilisierungsmoment, der die Ordnung der Dinge auf den Kopf stellt. Einem schamanischen Ritus gleich, soll das Theater die Intensität und den Schmerz des Lebens wieder in den Mythos überführen, sein Publikum in tranceartige Zustände versetzen und den Menschen den Klauen einer entzauberten Welt entreißen. Das Chaos als Chance zur Katharsis. Als Stichwortgeber in Coronazeiten ist Artaud zumindest eine einleuchtende Wahl. Die Inszenierung war als Fortsetzungsarbeit geplant. Man wolle sie in der nächsten Spielzeit weiterentwickeln und die aktuelle Corona-Situation aufgreifen, hieß es. Ein zweiter Lockdown verhindert eine Fortsetzung auf der Bühne nun allerdings. Stattdessen folgt mit „Das Theater und sein Double. Eine Projektion“ das erste Filmprojekt in der Geschichte des Theater im Bauturm. Aber kann das gutgehen?

Ganz schön Meta

Glaubt man Bernhard Dechant, Hauptdarsteller der Sommer-Inszenierung, kann man‘s gleich lassen. Schon zu Beginn des halbstündigen Films ist der Schauspieler mit schwerem österreichischen Dialekt am Telefon zu hören, wie er Regisseur Kieran Joel eine Absage für den Film erteilt: „Jeder, der keine Ahnung hat von dem Virus, soll jetzt mal die Pappen halten“, schimpft er, während Szenen aus Intensivstationen und leergefegten Innenstädten über den Bildschirm flackern. Zwar findet Joel mit Jeremy Mockridge motivierten Ersatz, doch der Regisseur merkt schnell, dass sich sein Meta-Theaterstück aus dem Sommer nicht verlustfrei in einen Film übersetzen lässt. Seine „Projektion“ wird zum Theaterfilm über das Scheitern eines Theaterfilms, das sich mit dem Zustand des Theaters auseinandersetzt. Ganz schön Meta.

Jeremy Mockridge © Nazgol Emami / Theater im Bauturm Jeremy Mockridge © Nazgol Emami / Theater im Bauturm

Das Publikum guckt dabei zu, wie Mockridge sich als isoliertes Irrlicht am Artaud-Text abmüht. Mal sitzt er Kekse essend und Milch trinkend auf seinem Bett auf der Bühne des Theaters im Bauturm, mal beschwört er als blutverschmierter Psychopath im Strobo-Licht und von Synthiegewittern untermalt (Musik: Koxette) den Untergang der Welt. Artaud hätten diese Überwältigungstechniken wohl gefallen. Immer aber ist schon Regisseur Kieran Joel zur Stelle und tadelt den verzweifelten Mockridge für seine schauspielerischen Versuche. Sein Husten sei zu lasch, sein Vortrag zu zahm. Man ahnt schnell: Das Unbehagen des Regisseurs hat weniger mit den Fähigkeiten seines Schauspielers zu tun als mehr mit dem grundsätzlichen ästhetischen Unterfangen des Filmprojekts.

Denn wie soll das auch funktionieren? Feiert Artaud die Pandemie nicht gerade als Befreiung von allen zivilisatorischen Fesseln, während wir unsere Pandemie mit Impfstoffentwicklung und AHA-Regeln, also gerade mit den zivilisatorischen Errungenschaften der Wissenschaft einzuhegen versuchen? Und sehen die ästhetischen Entwürfe des Lockdown-Theaters nicht doch etwas kümmerlich aus, im Vergleich zu den kultisch-körperlichen Theaterorgien, die Artaud vorschwebten, und die virologisch gerade wohl die schlechtesten aller Ideen wären? Immer weiter verstricken sich Joel und sein Schauspieler Mockridge in die Widersprüche Artauds und der eigenen Arbeit am Film, streiten sich auf der Theaterbühne, diskutieren beim Telefonieren und schicken sich neue Ideen per Video zu. Das wirkt mal spielerisch und witzig, etwa wenn Joel seinem Schauspieler das richtige Husten beizubringen versucht, mal verzweifelt und klug. In einer Szene soll Mockridge im Artaud-Rausch die mit Plexiglas abgesperrte Bühne bespucken. Immer wieder aber schaltet sich Joel ein, der auf der anderen Seite der Plexiglasscheibe steht: „Das Spucken muss dreckiger sein, es muss bis zu mir durchdringen!“ motzt er Mockridge an. Man hätte das vergebliche Abstrampeln des Theaters um ästhetische und gesellschaftliche Relevanz in Zeiten von Maskenpflicht und Mindestabstand nicht besser einfangen können. Wohin soll man schon durchdringen, wenn das Publikum nicht vor der Bühne, sondern zu Hause am Bildschirm hockt?

Auf einer Stufe mit Minigolfplätzen und Bordellen

Immer mehr wird der Regisseur selbst zum Hauptdarsteller seines Films. Irgendwann entschließt er sich, die ganze Sache abzublasen. In einem Zwiegespräch mit sich selbst entlädt sich die Verzweiflung Joels. Artaud lasse sich einfach nicht in einen Film zwängen. Und überhaupt habe das Theater im Angesicht der Krise keine Impulse, keine Ideen, außer ängstliches Schnorren um Staatsknete, die das Theater „auf eine Stufe mit Minigolfplätzen und Bordellen“ stellen würde. Joel bettelt sich selbst an: Stell den Film nicht online! Nicht auch noch das eigene Scheitern klickbar und verwertbar machen! Nur das Schweigen könne im ewigen Selbstbehauptungsgeplapper der Theatergockel noch irgendwie subversiv sein. Kieran Joel hat – was ein Glück! – nicht auf sich gehört. In „Das Theater und sein Double“ stellt er nicht nur sein eigenes Hadern mit den Möglichkeiten des Theaters im Lockdown aus. Er konfrontiert seine ganze Zunft in aller Konsequenz mit den ästhetischen und inhaltlichen Widersprüchen des Theaters, die auch schon vor Corona existierten und nun nur umso offensichtlicher zutage treten. Denn auch ohne Lockdown bleibt die Frage nach der Zukunft des Theaters, seinen ästhetischen und medialen Eigenheiten und Möglichkeiten zu beantworten. Zumindest für LiebhaberInnen des Theaters ein zuweilen witziger, vor allem aber schmerzhafter Reflexionsversuch, dem man gerne länger als eine halbe Stunde zugeschaut hätte. Antonin Artaud jedenfalls würde mit Sicherheit vor dem Laptop sitzen.

Headerfoto: Jeremy Mockridge © Nazgol Emami / Theater im Bauturm

Die Redaktion empfiehlt passend zu diesem Artikel:

Auf der Website des Theater im Bauturm ist „Das Theater und sein Double. Eine Projektion“ noch bis zum 30. April abrufbar