Stellwerk Magazin

Selbsthass als Entschuldigung

Vorwort

Wir Millenials haben es nicht leicht: Die jüngere Generation Z macht sich jetzt schon über unsere Röhrenjeans und Seitenscheitel lustig, die Uniform der Neunziger-Jahrgänge. Für ältere Generationen sind wir noch zu jung, um wirklich ernst genommen zu werden, wir selbst fühlen uns zu alt, um bei Fridays for Future mitzulaufen, während unser Alter es dann auch noch nicht hergibt, dass wir im Schrebergarten sitzend von der eigenen politischen Jugend erzählen. Und jetzt?

Sophie Passmann © Patrick Viebranz Wettert gegen die gutbürgerliche Altbauwohnung und die moralische Zwickmühle der Mittzwanziger: Sophie Passmann © Patrick Viebranz

In ihrem Anfang März bei Kiepenheuer & Witsch erschienenen Buch „Komplett Gänsehaut“ berichtet Sophie Passmann von den Problemen genau dieser Generation. Man könnte auch sagen: sie spottet – über all die String-Regal-Besitzer, Sauerteigaufzieher und Minimalismus-Beschwörer. Sie spottet in atemlos langen Sätzen über sich selbst, ihre Wohnung, ihr Viertel. Sie räumt auf: „Man betreibt einmal Inventur im ganzen Leben, man fängt bei sich zu Hause an, auf dem beschissenen Parkett in der ekelhaft hellen Altbauwohnung, geht weiter in die beschämend schöne Straße, und zuletzt guckt man auf die Stadt, in der man natürlich aus Absicht wohnt, das guckt man sich alles an, entscheidet, was davon dableiben darf, man zählt alles einmal durch und sucht Begründungen für die Anwesenheit von Designerstühlen und Erbschuld, nach dem Grund für das Ende von Mietverträgen und Lieben, das kann man also dann alles erklären und rechtfertigen, zumindest kann man so tun, zumindest kann man endlich wieder über sich selbst nachdenken, und dann steht die scheiß Welt nicht mehr offen, und dann ist endlich Ruhe.“1Passmann, Sophie: Komplett Gänsehaut. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2021. S. 12. Aber sieht es nach dem Buch in unserer Psyche so aufgeräumt aus wie bei Marie Kondo daheim? Definitiv Nein.

Sophie Passmann hält nicht nur sich selbst den Spiegel vor, sie bohrt in unsere tiefsten Wunden. Stellvertretend für alle Millenials führt sie die Arroganz und die doppelt gebrochene Ironie vor, hinter der wir uns verschanzen, um ja nicht mit der eigenen Meinung oder womöglich sogar Identität (oho!) in Kontakt zu kommen. Die Biografie eines Millenial-Prototyps à la Passmann darf man sich in etwa folgendermaßen vorstellen: Aufgewachsen als Lehrerkind, bedingungslos geliebt, in Watte gepackt und ins Leben geschickt mit in Stifte geschnittenen Möhrchen und Gurken in einer Tupperdose. Nach dem Studium eines nutzlosen geisteswissenschaftlichen Fachs von einem Praktikum zum nächsten tingelnd, um schließlich bei einem Start-Up eine Stelle zu ergattern, die sich irgendwie innovativ und nachhaltig anfühlt. Das Ankommen im Erwachsenenleben fällt schließlich zusammen mit der Quarter-Life-Crisis über das Erkennen der eigenen Nutzlosigkeit. Da hilft es auch nur bedingt in einer karg ausgestatteten, nein, wohl kuratierten Altbauwohnung gelandet zu sein und sich mit Freunden bei Weinverkostungen unter dem Deckmantel des kulinarischen Niveaus die eigene Bedeutungslosigkeit wegzutrinken. Doch diese Ausstellung der eigenen Bürgerlichkeit geht eben auch nicht ohne schlechtes Gewissen, schließlich ist uns allen bewusst, dass man sich Verzicht und Bio-Fleisch leisten können muss, um als moralisch einwandfreier Mensch auf einer personalisierten Matratze ruhig schlafen zu können. Also folgt Versuch Nummer zwei, angesichts all dieser Widersprüche doch noch eine Haltung zu finden: „In meiner Straße gibt es auch einen frechen Weinladen, es gibt einen ganzen Marketingzweig, der sich nur dem Versuch widmet, Wein alles Elitäre zu nehmen, als wäre das eine schlimme Entwicklung, dass nur Yuppies sich für Riesling interessieren, als müsse man das den jungen Leuten dringend näherbringen.“2Ebd. S. 106. Die vermeintliche Niedrigschwelligkeit nach außen zu tragen hilft aber leider auch nicht, dem eigenen versnobten Lebensentwurf etwas entgegenzusetzen.

Sophie Passmann schreibt gewohnt gekonnt über dieses Milieu, das sich Pizzen mit roter Beete und Fior di Latte belegen lässt und seinen Flat White aus Einmachgläsern trinkt. Dieses Milieu, das sich in moralischen Fragen wie Gender-Care-Gap und gesellschaftlicher Diversität einig ist und doch vor lauter Ironie keine aufrichtige Meinung vertreten kann. Dabei weiß Passmann auch, dass diese Klientel auf wenige Naturreservate aka. Stadtviertel in Großstädten beschränkt ist und keinen Querschnitt aller Millenials repräsentiert. Das Buch selbst bleibt eine Zustandsbeschreibung, die über die Katalogisierung leider nicht hinausgeht.

„Komplett Gänsehaut“ ist kein plötzlicher Offenbarungseid. Das Buch funktioniert eher wie ein Taschenspielertrick, mit dem Sophie Passmann ihren Kopf aus der Schlinge zieht und sich gleichzeitig der Gegenargumente ihrer Feinde entledigt. Auch wenn der Verlag mit „literarischem Selbsthass“ wirbt, bleibt dieser Selbsthass doch immer in der Ironieschleife, in der Uneigentlichkeit des Sprechens und Schreibens hängen. Das allgemeine „man“ muss als Platzhalter für die vermeintliche Selbstkritik nur allzu häufig herhalten. In ihrem Debüt „Alte weiße Männer“ konnte man ihr wenigstens noch Männerhass und ein vereinfachtes Feindbild vorwerfen. Indem sich Passmann nun ihr eigenes Milieu vornimmt, entledigt sie sich augenscheinlich dem Vorwurf der moralischen Unnahbarkeit. Der „literarische Selbsthass“ ist nicht nur eine ironische Brechung der eigenen Haltungslosigkeit, sondern weitet sich in doppelter Umkehr auf uns LeserInnen aus. Sophie Passmann ist nicht umsonst eine der wichtigsten Stimmen dieser Generation, die zwischen den Holzdielen ihrer Altbauwohnung und der eigenen politischen Uneindeutigkeit gefangen ist. Während die Eltern zumindest behaupten können in ihrer Jugend Steine auf Polizisten geschmissen oder wenigstens ordentlich gekifft zu haben, ist die Generation Z schon in ihrer Grundschulzeit auf Klima-Demos gegangen und versucht die Welt ein bisschen besser zu machen. Und wir hängen haltungslos dazwischen. Sophie Passmann ist unsere personifizierte Entschuldigung für das fehlende politische Engagement, die fehlende Aufrichtigkeit unserer selbst. „Komplett Gänsehaut“ ist keine Beichte, kein Manifest für Aufrichtigkeit. Aber das will es auch nicht sein. Es ist eben ein Buch eines Millenials.

Headerfoto: © Jakob Stärker

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Hier findet ihr weitere Informationen zum Buch auf der Website von Kiepenheuer & Witsch