Stellwerk Magazin

Buddy-Podcast in Reinform

Vorwort

Vor fast drei Jahren haben Rapper Casper und Indie-Sänger Drangsal ihren gemeinsamen Podcast „Mit Verachtung“ gestartet. Heute sind die beiden Freunde etabliert in der Laber-Landschaft und regelmäßig in den deutschen Podcast-Charts vertreten. Trotzdem umschiffen sie dabei erfolgreich das Klischee zweier labernder Männer. Aber wie eigentlich?

Wenn man heute seine Kopfhörer in die Ohren steckt und einen Podcast einschaltet, liegt die Wahrscheinlichkeit bei gefühlten 99,8%, dass zwei Männer anfangen miteinander zu reden – egal ob „Fest & Flauschig“, „Gemischtes Hack“, „Baywatch Berlin“ (hier gibt’s sogar einen dritten dazu) oder neuerdings auch „Lanz & Precht“. Letzterer wurde gerade erst vom Onlinemagazin Übermedien unter die Lupe genommen und für seine schlichte Reproduktion jeglicher Podcast-Klischees der letzten Jahre kritisiert: zwei Männer treffen sich und quatschen über ihre Woche und was ihnen sonst noch so in den Sinn kommt. Tatsächlich sind es aber wohl „nur“ um die 75% der Podcasts, in denen ausschließlich Männer zu Wort kommen – so heißt es zumindest im Deutschlandfunk Kultur Magazin „Über Podcast“. Trotzdem soll es auch hier um einen dieser Buddy-Podcasts gehen. Und das nicht, weil sich keiner finden ließe, in dem nicht mindestens auch eine Frau das Sagen hat, sondern einfach, weil Casper und Drangsal in ihrem Format zeigen, was einen kurzweiligen Buddy-Podcast ausmacht. Und weil sie einen das Klischee zweier labernder Männer durch ihre irgendwie andere, unbekümmerte Art vergessen lassen.

Ohne Plan und Konzept zum Erfolg

Der vom digitalen Musik-Magazin DIFFUS produzierte Podcast „Mit Verachtung“ lässt bereits im Namen eine gewisse Anti-Haltung durchblicken. Eine Einstellung, die auch die beiden befreundeten Musiker miteinander verbindet, die in ihrem jeweiligen Feld bekannte Normen hinterfragen und Genregrenzen verwischen. In ihrem Podcast unterhalten sich der Bielefelder Rapper Casper (Benjamin Griffey) und der Pfälzer Sänger Drangsal (Max Gruber) über alles, was den beiden so wichtig und erzählenswert erscheint. Von Kartoffelsalat (Stichwort Majo vs. Essig) über spannende Talks mit den unterschiedlichsten Gäst:innen (Alli Neumann, Bela B., Kraftklub, der gemeinsame Zahnarzt, eine Geisterjägerin) bis hin zu den besten Tretboot-Erlebnissen und generell einer Vielzahl unterhaltsamer Anekdoten aus dem Leben der beiden Musiker – thematisch kann man kaum einen klaren Fokus erkennen. Wenn überhaupt, dann vielleicht die Musik. Alles in allem erstmal ein Podcast-Konzept, das eigentlich keines ist, und dennoch DAS Erfolgsrezept zu sein scheint.

„Wir sind in dieses Podcast-Ding rein als absolute Idioten, ohne Redaktion, setzen uns einfach hin, erzählen eine Stunde was und es läuft so gut, Woche für Woche, Folge für Folge sind wir bei den Top 5 der Charts, die Leute lieben das, die wollen mehr – da haben wir uns gedacht: Ne! Hören wir erstmal auf.“ (Casper, S2F1)

Also mit Verachtung gegenüber der etablierten Podcast-Welt und den darin geltenden Marktlogiken? Ohne Zweifel ist die scheinbar konzeptlose, verweigernde Haltung bemerkenswert. Anstatt auf bekannte Muster zu setzen, geht es den beiden in ihrem Podcast vielmehr um einen entspannten und guten Flow, der gerade erst durch eine gewisse Lockerheit und Gleichgültigkeit entstehen kann. Damit grenzen sich Casper und Drangsal von weiten Teilen der Podcast-Welt ab, in der sorgfältig ausgearbeitete Konzepte und ein hohes Bewusstsein für das eigene Markenprofil das Bild bestimmen. Anstatt klaren redaktionellen Vorgaben zu folgen und jedes Wort mit Bedacht zu wählen, stehen bei ihnen vielmehr Leichtigkeit und Spontaneität im Mittelpunkt. Was das Ganze dabei zusammenhält und erst so locker erscheinen lässt, ist eben die Freundschaft der beiden – das Buddyhafte ist das Konzept ihres Erfolgs.

Mittlerweile gibt es bereits 28 Folgen; nach der ersten Staffel mussten sich die Fans (liebevoll Mit-Verachtis genannt) aber erst einmal gedulden – und das nicht zu kurz. Zweieinhalb Jahre hat es gedauert, bis „der Vadder, der nur mal kurz Zigaretten holen geht, der Podcast-Welt“ (Drangsal in S2F1) wieder da war. Aus einigen Wochen Pause wurden so ein paar Jahre, frei nach dem Motto: wenn die Leute elf wollen, gib ihnen zehn. Auch generell scheint sich diese Herangehensweise durch den Podcast zu ziehen. Vieles wird geplant und angekündigt, am Ende aber nie gemacht. Doch die Hörer:innen verzeihen es den beiden, nein, sie lieben genau das: die Ungeplantheit und Verpeiltheit.

Es scheint, als würde der Podcast auch das eigene Publikum in das Freundschafts-Paradigma miteinschließen: Pläne schmieden und verwerfen; sich lange nicht sehen und beim nächsten Zusammentreffen dann bestens verstehen, als wäre nichts gewesen; eine gemeinsame Sprache etablieren – wer kennt das nicht als Modus unter Freund:innen? Die Authentizität, die dadurch erzeugt wird, lässt einen als Hörer:in glaubhaft empfinden, man sei bei einem privaten Kneipengespräch unter Freunden und das Ganze gar kein Podcast, bei dem etwas aufgezeichnet wird. Die Sprache von Casper und Drangsal wirkt überhaupt nicht kontrolliert und der Aufnahmesituation bewusst, sondern vielmehr spontan und locker, wie eben unter Freunden. „Wir reden wie zwei absolute Volltrottel“, und genau das ist es, was die beiden so sympathisch, so zugänglich und unterhaltsam macht. So entsteht ein fast schon intimes Gemeinschaftsgefühl, eine Verbindung zwischen Hörer:innen und Podcastern, die durch zahlreiche Insider und den eigenen Slang nur noch verstärkt wird. Diese Dynamik und das Zusammenspiel zwischen Casper und Drangsal sind es, die den Podcast Woche für Woche (bzw. Monat für Monat, man weiß es nie so genau) zu einem echten Hörerlebnis machen, bei dem nicht mehrfach auf die verbleibende Zeit gelugt oder sogar zum Äußersten gegriffen und die Abspielgeschwindigkeit erhöht werden muss.

Es wird musikalisch angegrillt

Wie es gute Freundschaften so an sich haben, leben sie stark von gemeinsamen Interessen. Bei Casper und Drangsal ist das in diesem Fall insbesondere die Musik, weshalb regelmäßig die jeweiligen Heavy-Rotation-Listen, Lieblingsbands und brandheiße Neuentdeckungen ausgetauscht werden. Dafür gibt es im Podcast den Grill: eine gemeinsame Playlist, die Folge für Folge mit zahlreichen Songs befüllt wird. Wer hier eine reine Hip-Hop- und Indie-Sammlung erwartet, der liegt allerdings falsch. Denn genretechnisch ist auf dem Grill wirklich alles zu finden, von französischem Chanson über Dark Heavy Metal bis zu rockigen Oldies und trappigem Underground-Rap. Die Playlist profitiert davon, dass die beiden in der Musikwelt zu Hause sind, sich nerdig gut auskennen (jemand war mal der Bassist der Deutschpunk-Band XY und Booker von Dings und macht jetzt gitarrige Singer-Songwriter Musik mit Bon Iver Anleihen? Die beiden wissen es.) und sich ihre Offenheit auch in ihren musikalischen Vorlieben widerspiegelt. Das Ganze, eingebunden und untermalt durch lustige Anekdoten und Backstage-Storys aus der Pop-Welt, macht den Grill musikalisch besonders spannend. „Mit Verachtung“ ist nicht nur das „Gemischte Hack“ für Musikinteressierte oder das „Fest & Flauschig“ für alternative Studierende. Es ist vielmehr ein Podcast, der jenseits der herrschenden Bandbreite von Laber-Klischees und überproduzierten Formaten das Buddy-Prinzip zum Konzept erhebt. Redaktionelle Planung und inhaltliche Tiefe werden hier durch erfrischende Planlosigkeit und Lockerheit ersetzt, sodass sich „Mit Verachtung“-Hören in etwa so anfühlt, als würde man gute alte Freunde treffen.

Vorschau- und Headerfoto: © Chris Schwarz

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Hier findet ihr weitere Informationen und alle Folgen von „Mit Verachtung“ auf der Website von DIFFUS