Stellwerk Magazin

Bist du ein Mensch oder bist du ein Tier?

Vorwort

Denis Villeneuves „Dune“-Verfilmung von 2021 ist wohl an den wenigsten vorbeigegangen. Doch wie viele Kinobesucher:innen kennen die Buchvorlage von Frank Herbert? Ein Blick zwischen die Seiten des Science-Fiction-Klassikers „Der Wüstenplanet“.

Herbert, Frank: Der Wüstenplanet. Aus dem Amerikanischen von Jakob Schmidt. München: Heyne-Verlag 2016. Herbert, Frank: Der Wüstenplanet. Aus dem Amerikanischen von Jakob Schmidt. München: Heyne Verlag 2016

Er spürt, wie seine Hand verbrennt. Doch wenn Paul sie aus der Kiste zieht, erwartet ihn der sichere Tod. Frank Herbert fackelt nicht lange bis er seinen Helden vor die erste Prüfung stellt. Direkt am Anfang von „Dune“ muss die Hauptfigur Paul Artreides sich der Prüfung des Gom Jabbar unterziehen. Sie dient dazu, die Frage zu beantworten: Bist du ein Mensch oder bist du ein Tier? Wer die Schmerzen aushält, ist ein Mensch und hat das Primat seines Verstandes über die Triebe bewiesen. Gleich zu Beginn wird den Leser:innen klar, dass der Roman zu den tiefgängigen Geschichten aus dem Science-Fiction Bereich zu zählen ist. Wer „Dune“ liest, muss bereit sein nachzudenken. Dafür darf man einer atemraubenden Geschichte folgen, in der ganz nebenbei über grundlegende Fragen des Menschseins reflektiert wird.

Frank Herberts bekanntestes Werk entwirft eine düstere Zukunftsvision: In deren Zentrum stehen Paul Artreides, der schon vor seiner Geburt auserwählt ist das Universum zu verändern, und der Wüstenplanet Arrakis, der den Schlüssel für diese Veränderung darstellt. Als Pauls Familie, eine von mehreren adligen Clans des Imperiums, auf den Planeten geschickt wird, um fortan dessen Herrschaft zu übernehmen, ahnen seine Eltern bereits, dass sie Opfer einer Intrige werden sollen. Der Clan der Harkonnen, angeführt von einem hochintelligenten und pädophilen Massenmörder, plant ihre Vernichtung. Schnell wird klar, dass Paul der Einzige ist, der sich den finsteren Intriganten entgegenstellen kann. Der Kampf um den Planeten beginnt und damit zugleich auch der Kampf um die Vorherrschaft im Universum.

Seit über einem halben Jahrhundert zieht der Science-Fiction-Klassiker „Dune“ – in der deutschen Übersetzung „Der Wüstenplanet“ – nun schon weltweit Leser:innen in seinen Bann. Die Geschichte erschien zunächst 1963-1964 als Fortsetzungsroman in einem Science-Fiction-Magazin, 1966 folgte die Buchfassung. „Der Wüstenplanet“ ist der erste Teil eines sechsbändigen Romanzyklus, den Frank Herbert verfasste. Nachdem er vor der Vervollständigung des Zyklus verstorben war, setzte sein Sohn die Reihe fort. Mit 12 Millionen Exemplaren gehört „Der Wüstenplanet“ zu den meistverkauften Büchern aller Zeiten. Auch Filmemacher:innen reizt es seit jeher, sich an dieser Geschichte abzuarbeiten. Für den chilenischen Regisseur Alejandro Jodorowsky beispielsweise blieb die Verfilmung ein unerfüllter Lebenstraum. Eine Dokumentation behandelt den in den 1970ern gescheiterten Filmdreh, für den Jodorowsky ein Ensemble an namenhaften Künstler:innen gewinnen konnte – unter anderem waren Pink Floyd für die Musik vorgesehen. In den ruhigen Aufnahmen der 2013 erschienenen Dokumentation sehen wir Jodorowsky als einen gealterten Mann, der von der größten Enttäuschung seines Lebens spricht. Die Welt verändern wollte er mit dem Film, kleiner konnte der Traum nicht sein. Doch Jodorowskys Projekt scheiterte auf den letzten Metern an der Finanzierung und so war es schließlich David Lynch, der „Dune“ 1984 verfilmen würde, ihm folgte der kanadische Regisseur Denis Villeneuve, dessen Neuinszenierung Ende letzten Jahres in die Kinos kam. Die aktuelle Dune-Verfilmung beeindruckt mit unglaublicher Bildgewalt und Star-Schauspieler:innen wie Timothee Chalamet, Zendaya Coleman und Jason Momoa. Dennoch kann der Film die Faszination, die das Buch umgibt, nicht vollends einfangen.

Woher kommt diese Faszination für „Dune“? Nicht umsonst ist der Roman nach dem Planeten benannt. Dieser wird Dune oder Arrakis genannt und ist mehr als nur eine Handlungskulisse. Der Planet ist der Schlüssel zur Macht im Universum, denn nur hier kann das Spice abgebaut werden, das die Fähigkeit verleiht, in die Zukunft zu sehen. Doch Arrakis entzieht sich jeder Kontrolle. Neben gigantischen Sandstürmen, bei denen auch die beste Technik aufgibt, ziehen 400 Meter lange Sandwürmer durch die Wüste, die alles vernichten, was eine Resonanz im Sand erzeugt. Allein die Fremen, die indigene Bevölkerung, scheinen Arrakis zu verstehen. Ihre Augen sind vom durchgängigen Spice-Konsum blau gefärbt, und ihre Stammeskultur könnte für die Familie Artreides fremdartiger nicht sein. Paul jedoch erscheinen die Fremen in seinen Visionen und als eine vernichtende Attacke der Harkonnen erfolgt, flieht er in die Wüste. „Dune“ ist ein Roman der Superlative, und zwar vor allem in Bezug auf Dimensionen des Menschlichen. Der Autor kreiert in seinem Werk unzählige Figuren mit übermenschlichen Fähigkeiten und doch so menschlichen Schwächen – und dann spielt er sie gegeneinander aus. Es gibt Figuren, die präzisere Berechnungen anstellen können als moderne Computer, eine Kämpfertruppe wird härter ausgebildet als die andere. Auch Weisheit und Wissen werden durch die Fähigkeit der Zukunftsvision maximiert. Und trotzdem werden die Figuren immer wieder auf ihre Emotionalität zurückgeworfen. Familiäre Liebe und Verantwortungsbewusstsein erweisen sich als ebenso mächtig wie verdorbener Machtwille und Perversion. Dabei wird nicht nur der Protagonist Paul geprüft. Der ganze Roman liest sich als eine Prüfung dessen, was menschenmöglich ist: emotional, geistig und körperlich. Und so sehr die Regisseure sich auch abmühen – die philosophisch-anthropologische Tiefe von Herberts Meisterwerk kann ein Film nicht abbilden.

Wer mal wieder staunen möchte wie ein kleines Kind in der Süßwarenabteilung, der sollte sich unbedingt diesem Roman widmen, denn das Staunen ist das zentrale Moment der Lektüre von „Dune“. Bestaunen kann man wilde Kampfszenen, tiefgründige Dialoge, aufregende Figuren und die überwältigende Urkraft der Wüste. Bestaunen kann man auch den Detailreichtum einer Welt, in der jede kleine Geste eine eigene Bedeutung zugesprochen bekommt. Bestaunen kann man zuletzt Paul, den Helden im Zentrum der Erzählung, der mit 15 Jahren in die wilde Wüstenwelt geworfen wird, und der von dort aus seinen Aufstieg beginnt.