Stellwerk Magazin

Wo spielt die Musik?

Vorwort

Mit seinem jüngsten Titel „Playlist“ betritt Deutschlands erfolgreichster Thriller-Autor Sebastian Fitzek neuen Boden: Parallel zum Buch veröffentlichte er in Zusammenarbeit mit 15 internationalen Musiker:innen ein gleichnamiges Album. Was sich als vielversprechende Idee ankündigt, endet in einem typischen Fitzek-Thriller, den die Leser:innen in ähnlicher Form bereits mehrfach in den Händen hielten.

Sebastian Fitzek: Playlist Fitzek, Sebastian: Playlist. München: Droemer Verlag 2021.

Dunkelheit. Das einzig wahrnehmbare Geräusch erzeugen die Fingernägel ihrer Mitgefangenen, die sich schon seit Stunden die eigene Haut aufkratzt. Vorsichtig, um sie bloß nicht auf sich aufmerksam zu machen, steckt Feline die Kopfhörer in die Ohren. Ein weiteres Mal startet sie die Playlist. Immer wieder die gleichen Songs. Ihre letzte Hoffnung.

Sebastian Fitzeks jüngster Thriller „Playlist“ handelt, wie man es vom Autor gewohnt ist, von einer Entführung. Im Fokus steht der Ex-Polizist und Kriminalreporter Alexander Zorbach. Eine verzweifelte Mutter bittet ihn um Hilfe bei der Suche nach ihrer entführten Tochter Feline. Gemeinsam mit seiner Ex-Freundin beginnt Zorbach schließlich die Ermittlungen. Anhaltspunkte über Felines Verbleib finden sie in einer Playlist, auf die Feline in Gefangenschaft über eine versteckte Smartwatch Zugriff hat und so Hinweise verschickt. Doch die Zeit ist knapp: Zorbach muss selbst in drei Tagen eine Haftstrafe antreten. Das Besondere am neuen Thriller ist sicherlich nicht dessen Handlung, die deutliche Parallelen zu Fitzeks anderen Büchern aufweist. Was „Playlist“ jedoch von den anderen Werken abhebt, ist die zusätzliche Veröffentlichung einer Website und eines gleichnamigen Albums. Die Website bietet die Möglichkeit in Form eines interaktiven Spiels den Rätseln rund um Felines Verschwinden auf die Spur zu kommen. Dabei werden Szenen der Entführung aufgegriffen – so müssen etwa Hinweise gesucht werden, um den Van von Felines Entführer zu knacken. Für das Album hat der Autor wiederum mit verschiedenen deutschen und internationalen Musiker:innen zusammengearbeitet, darunter Tim Bendzko, Beth Ditto, Silbermond und Rea Garvey. Laut Fitzek entstanden die Songs und die Handlung in einem gemeinsamen Schaffensprozess und beeinflussten sich wechselseitig. Während des Lesens vergrößern sie tatsächlich den Resonanzraum des Thrillers, beispielsweise wenn Figuren die Lieder vom Album in ihrem Alltag anhören. Die Songs evozieren dabei allesamt ein ähnliches Stimmungsbild: Die meisten sind melancholisch und handeln von Sehnsucht und Einsamkeit. Einerseits bieten diese visuellen und auditiven Features damit die Möglichkeit, sich tiefer in die Figuren und die Stimmung des Thrillers hineinzuversetzen. Andererseits wirken sie wie ein schnell durchschaubares Ablenkungsmanöver gegenüber der ansonsten wenig einfallsreichen Handlung, die Fitzek in dieser Form schon etliche Male durchgespielt hat.

Jenseits atmosphärischer Verstärkung funktioniert die Einbettung der Songs noch weniger: So versucht Feline Codes in der Playlist zu verstecken. Das geschieht durch Buchstabenrätsel, beispielsweise indem Anfangsbuchstaben von Songtitel und Künstler:innennamen in bestimmter Reihenfolge aneinandergereiht werden. So wird etwa aus Songs wie „Junkie“, „Ein Monolog“, „Mauern“, „Erlkönig“ usw. der Satz „Je meurs là“ (französisch für „Ich sterbe dort“) gebildet. Eines haben alle Rätsel gemeinsam: Sie wirken weit hergeholt. In Zeiten, in denen es bereits Twitter-Accounts wie „Weird Spotify Playlists“ gibt, die nahezu jeden absurden Satz durch aneinander gereihte Songtitel bilden können, wird nicht klar, wieso sich Feline so verrätselt ausdrücken muss. Fitzeks Themenspektrum ist bekannt: Pädophilie, wie in seinem Roman „Passagier 23“ (2014), Folter und Gewalt, wie in „Der Insasse“ (2018), Wahnsinn, wie in seinem Debütthriller „Die Therapie“ (2006). Fast immer dreht sich die Handlung um verschwundene Kinder und ein gestörtes Eltern-Kind-Verhältnis. In „Playlist“ geht es nun zusätzlich um häusliche Gewalt: Eine sektenähnliche Einrichtung, die sich als eine Mischung aus Psychiatrie und Frauenhaus darstellt, gerät in Verdacht, Feline zu verstecken. Die Einrichtung nutzt fragwürdige Methoden: So sollen alle Opfer die Chance bekommen, den Täter:innen das Gleiche anzutun, was auch ihnen widerfahren ist. Auge um Auge. Leider nur ein weiteres lustlos abgearbeitetes Gewaltmotiv. Der preisgekrönte Thriller-Autor ist seit seinem Erstlingswerk „Die Therapie“ auch international bekannt. Seine Werke werden in 24 Sprachen übersetzt und sind als eine der wenigen deutschen Thriller auch auf dem britischen und amerikanischen Markt bekannt. Der im Herbst vergangenen Jahres bei Droemer erschienene Thriller „Playlist“ ist bereits Fitzeks 34. Werk. Die Handlung schließt außerdem an den 2010 erschienenen Titel „Der Augensammler“ an. Zwar muss der Vorgänger nicht gelesen zu werden, um der Geschichte folgen zu können. Trotzdem wäre ein Hinweis für Interessierte durchaus angebracht, um etwa spezielle Figurendynamiken zwischen Zorbach und seiner Ex-Freundin besser zu verstehen. So erzählt „Der Augensammler“ die Geschehnisse um die Entführung von Zorbachs Sohn sowie die Gründe seiner Haftstrafe.

Aber wieso sind Fitzeks Thriller eigentlich so erfolgreich? Dazu lohnt es sich, das „Fitzek-Schema“ einmal genauer zu betrachten. Die Thriller funktionieren meist nach dem gleichen Prinzip: Ein Kind verschwindet und die Hauptfigur, oft der Vater oder die Mutter, welche häufig Psychiater:in oder Polizist:in ist, will verzweifelt die Tat aufdecken. Die Spannung baut Fitzek durch zahlreiche Perspektivwechsel auf. Die Handlung wird sowohl aus Sicht der Hauptfigur, des:der Täter:in sowie des Opfers erzählt und die Erzählstränge enden meist jeweils mit Cliffhängern. Hinzu kommen oft abwegige Plot Twists, indem zuvor der Verdacht auf unschuldige Figuren gelenkt wurde. So ist es keine Seltenheit, dass ein:e Täter:in unentdeckt bleibt, da sie sich zuvor zahlreichen Schönheitsoperationen unterzogen hat. Hat man bereits einige Fitzek-Titel gelesen, wiederholen sich die Motive und die Handlung wird vorhersehbar. Trotzdem findet diese Methode bei einer großen Leser:innenschaft Anklang. Das gleiche Konzept verfolgt auch „Playlist“ und stellt sich damit am Ende als ein Thriller ohne Tiefgang heraus: Hektisch wird man beim Lesen hin und her gezerrt, mit dem Ziel die Spannung möglichst lange aufrecht zu erhalten. Hat man sich gerade in eine Figurenperspektive eingefunden, wird sie abrupt abgebrochen und zu einem anderen Erzählstrang gewechselt. Fitzeks Spannungskonzept funktioniert vielleicht ein oder zwei Mal gut, liest man es häufiger, ist es jedoch schnell durchschaut. Die Website und das Album greifen die Stimmung des Thrillers zwar schön auf, die inhaltliche Einbeziehung der Songs wirkt dafür leider zu aufgesetzt. Am Ende bleibt Frustration, schon wieder den gleichen Fitzek gelesen zu haben, den man bereits drei Mal in abgewandelter Form hinter sich hat. Vielleicht hat Fitzek sich einfach ausgeschrieben.