Stellwerk Magazin

Die Rückkehr des Storytellings im Deutschrap?

Vorwort

„Mann beißt Hund“ – so heißt das aktuelle Album des Rappers OG Keemo. Anfang Januar 2022 wird es veröffentlicht und quer durch Feuilleton und Rap-Hörerschaft scheint man sich bereits einig: „Mann beißt Hund“ dürfte schon jetzt eines der interessantesten Deutschrap-Alben des Jahres sein.

OG Keemo ist einer der vielversprechendsten Rapper von Chimperator, dem Label, bei dem auch Erfolgsrapper Cro veröffentlicht. Anders als bei diesem findet man bei OG Keemo Texte über das prekäre Leben am Rande der Kriminalität und ein rohes Klangbild, das sich musikalischen Zitaten entlehnt. Verantwortlich für Letzteres zeigt sich Funkvater Frank, sein Stammproduzent. Er bedient sich in seinen Beats noch mehr als andere Hiphop-Producer dem sogenannten Sampling: Dabei geht es um das Unterbringen von bearbeiteten Soundelementen aus anderen Songs ins eigene Instrumental. Das sorgt in „Mann beißt Hund“ für einen groben und minimalistischen Klang – und schafft für OG Keemo Raum zum Erzählen, denn das ist mitunter das Alleinstellungsmerkmal dieses zweiten Albums seiner Karriere: Es erzählt eine Geschichte.

Diese Geschichte ist teilweise autobiografisch: In Interviews erklärt OG Keemo, der bürgerlich Karim Joel Martin heißt, dass er für das Album Anekdoten, die er während seiner Jugendzeit in einer Plattenbausiedlung in Mannheim erlebt und gehört hat, zu drei Figuren gebündelt hat. Diese Figuren tragen die Namen Malik, Yasha und Karim. Karim ist das im Laufe des Albums oft ausgesprochene „Ich“. Er wird am Ende die Plattenbausiedlung verlassen. Als Neuling in der Hochhaussiedlung lernt er Malik kennen, einen Dealer und Kleinkriminellen. Ihn zeichnen französischer Rap, Cannabis und grundsätzliche Brutalität aus. Bei seiner Vorstellung hört man das erste Mal eine hörspielartige Einlage im Album – das laute Summen seines Wegwerf-Telefons. Das sorgt beim Hören durchaus für einen hektischen Blick auf das eigene Handy. Wenig später kommt Yasha ins Spiel: ein „komischer Kauz mit den Augen eines Toten“. Der Vater ist Alkoholiker, der Rest der Familie in Herzegowina. Die folgenden Tracks arbeiten mit diesen Figuren: Es geht um das Erwachsenwerden im prekären Leben, im Plattenbau. Karim findet auf seinem Weg unter anderem Liebe und Geborgenheit, die ihn aus dem Block befreien. Malik bleibt enttäuscht in den Hochhäusern zurück und Yasha führen seine Depressionen in den Tod – drei Lebenswege in trister Armut, es ist eine Mischung aus Selbsterzählung und Sozialanalyse.

Die Figuren werden sowohl in Tracks vorgestellt als auch in sogenannten Skits – hörspielartige Dialogeinlagen im Rahmen eines Rap-Albums, die als eigener, meistens kurzer Track angelegt sind. Im Rap tragen sie oft zu einem kurzen Lacher bei. In „Mann beißt Hund“ existieren zwei Tracks dieser Art. Einer trägt den Titel „Hund Skit“, der andere heißt „Mann Skit“. An diesen Tracks ist jedoch nichts lustig: Dem Klang nach sitzen die drei Figuren in einem Auto, man hört eine Figur sprechen, zwischendurch Züge am Joint. Im „Hund Skit“ eröffnet Malik seine Sicht auf seine Rolle in seinem sozialen Milieu: Er sei ein Hund von vielen auf dieser Welt, seine kriminellen Tätigkeiten seien die paar Tricks, die er gelernt hat. Er habe sich sein Milieu nie aussuchen können. Das sei seine feste Rolle in dieser Welt. Die Antithese dazu bildet der „Mann Skit“, in dem Yasha spricht. Er sagt, dass er sich in der Rolle als menschlicher Hund nicht frei fühle. Hunde seien immer in der Verantwortung eines Herrchens gefangen. Am Ende plädiert er für die Eigenverantwortung, die man im zwielichtigen Milieu trotz allem habe. Seine Zweifel an der Existenz in der Plattenbausiedlung gipfeln im Track „Vögel“, in dem Yashas Kampf mit einem übermächtigen Riesen inszeniert wird: dem Hochhaus, in dem er aufwächst, und von dem er sich am Ende herabstürzt.

„Mann beißt Hund” hat also ein festes Figurenensemble, das in hörspielartigen Episoden tiefer ausgearbeitet wird. Damit fordert das Album viel Aufmerksamkeit. Etwas, das dem derzeitigen Trend im Deutschrap entgegenläuft. Entsprechend zeigt sich auch OG Keemo selbst in Interviews über die Chartplatzierung und den großen Erfolg von „Mann beißt Hund“ ehrlich verwundert. Die Tage des Konzeptalbums, wie es zum Beispiel K.I.Z. noch 2015 mit „Hurra die Welt geht unter“ ablieferten, schienen eigentlich gezählt. Der Spotify-Algorithmus begünstigt stattdessen auf Wiederspielwert gemünzte Songs. Tracks, die kurz sind, und schnell auf einen Höhepunkt hinführen: Klickmillionär-Rapper Pashanims Tracks sind beispielsweise maximal 2:30 Minuten lang. Diesem Fastfood-artigen Zeitgeist nimmt sich das Storytelling von OG Keemo als epischen Gegenentwurf aus. Im Song „Töle“ zum Beispiel – dem Track, in dem Malik wie in einem enttäuschten Brief seinen Zorn über Karims Verlassen des Blocks ausdrückt – wird dem Intro eine Minute Zeit gegeben, insgesamt dauert der Song sechs Minuten. Das Album erlaubt sich, eine kontinuierliche Geschichte zu erzählen, für die man die Songs in der richtigen Reihenfolge hören muss. Eine Geschichte, die mit intuitiv verständlichen Sprachbildern rund um das prekäre Leben in der Hochhaussiedlung ausgestattet ist, und auf intensives Zuhören setzt. OG Keemos Geschichte findet momentan ihr verdientes Publikum und das nicht nur dank Label-Platzhirsch Chimperator, sondern weil sich genug Hörer:innen trotz eines auf Kurzweiligkeit und Singles zielenden Zeitgeists Aufmerksamkeit für seine Story nehmen. Gerne mehr davon!

Vorschau- und Headerfoto: © Roberto Brundo

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