Stellwerk Magazin

Ruhrtriennale Ein Loblied auf den Müßiggang

Vorwort

Der Niederländer Johan Simons, diesjähriger Intendant der Ruhrtriennale 2015, sucht nach spektakulären Plätzen, die eine Geschichte erzählen. So bespielte er mit seiner Theatergruppe “Hollandia” schon Kirchen, Fabrikhallen, Ställe und Schrottplätze in der nordholländischen Provinz. Seit jeher verfolgt er die Intention, das Theater aus den Städten zu holen und der Landbevölkerung zugänglich zu machen. In Dinslaken-Lohberg wurde er nun fündig. Als Auftakt der Ruhrtriennale inszeniert er Pasolinis “Accattone” in einer ehemaligen Kohlenmischanlage an der Peripherie des Ruhrgebiets. In einem Gespräch mit dem stellvertretenden Bürgermeister von Dinslaken Eyüp Yildiz musste er sich den Vorwurf gefallen lassen, den neuen Spielort als “pittoreske Schachtkulisse” zu nutzen, “in der sich die Gesellschaft des Kulturspektakels einen Sommer lang feiert, um dann weiter zu ziehen.”

Dinslaken-Lohberg liegt an der Grenze des Ruhrgebiets und beheimatet in seinem Herzen die Überreste eines Steinkohlebergwerks. Das Denkmal dieser Arbeit ist ein Fördergerüst, das siebzig Meter in den Himmel ragt und damals für den Schacht Lohberg 2 errichtet wurde, als die Zeche in den fünfziger Jahren zur Großschachtanlage expandierte. Ein neuer Stadtteil entstand für die Bergarbeiter und ihre Familien aus dem ehemaligen Jugoslawien, der Türkei, Polen und Holland. Bis vor acht Jahren der Strukturwandel die Fördertürme still legen ließ. Der Abriss der Anlage erfolgte 2007, die Arbeit war nicht mehr gefragt, die Siedlung mit ihren Bewohnern blieb. Es ist wie überall im Ruhrgebiet: nach dem Strukturwandel kam keine Ersatzindustrie, keine Möglichkeit für einen Neuanfang. Also abwandern oder bleiben. Die Lohberger blieben – vielleicht, weil sie mussten. Sie waren nun keine Gastarbeiter mehr, sondern Ausländer am Rand des Ballungsgebietes, von der Infrastruktur abgeschnitten und sozial isoliert von den Ruhrgebietszentren. Nach der Stilllegung der Zeche war 2009 jeder vierte Bewohner arbeitslos und jeder fünfte unter 25 ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz.1Sozialbericht der Stadt Dinslaken 2009, https://www.dinslaken.de/de/sitzungsdienst-2009/148-sozialbericht-2009-1505859/ Diese Perspektivlosigkeit der Jugendlichen machte die Versprechungen von Salafisten verführerisch: mit der Folge, dass die Siedlung in den Medien für islamistische Kämpfer bekannt wurde.

Bachkantaten in der Arbeitersiedlung

Das ist also die Umgebung der ehemaligen Kohlenmischhalle auf dem Zechengelände, die dieses Jahr zum ersten Mal im Rahmen der Ruhrtriennale bespielt wurde. Der Intendant des Festivals Johan Simons brachte Pasolinis "Accattone" (dt. "Bettler") mit Bachkantaten in die Arbeitersiedlung. Lohberg hat den Niederländer fasziniert: Die hohe Arbeitslosigkeit, Armut und Abwanderung, die Chancenungleichheiten auf der einen Seite, eine aufregende Szenerie durch die Leerstände, die Brachen und die Industriearchitektur auf der anderen. Simons stammt selbst vom Land, aus einfachen Verhältnissen, ist Idealist, glaubt an "die Kraft der Kunst als Motor für Veränderung"2Sozialbericht der Stadt Dinslaken 2009, https://www.dinslaken.de/de/sitzungsdienst-2009/148-sozialbericht-2009-1505859/ und trifft sie, die Lohberger, auf ihrem Marktplatz. Die Generalprobe von "Accattone" ist für die Bewohner der Siedlung frei zugänglich, zwei Aufführungen können sie für fünf Euro besuchen. Der Anspruch ist also hoch, es soll nicht nur ein unterhaltender, sondern auch politischer Abend werden. Kann aber der Einzug von Pasolini und Bach in den Stadtteil die Lebenssituation der Menschen beeinflussen oder sogar verändern?

Pasolinis Wüste

19.00 Uhr. Es beginnt stark zu regnen, als ich über die Schotterwege zur Schachtanlage laufe. Nur die Banner der Ruhrtriennale mit dem diesjährigen Motto "Seid umschlungen!" deuten auf eine Kulturveranstaltung hin. Vor mir liegt ein Brachland mit üppiger Vegetation dahinter. Eine Industriewüste vor einem dunkelgrün bewaldeten Hintergrund. Heute abend wird es Pasolinis Wüste. Ich laufe weiter an halb abgerissenen Schachtanlagen vorbei, bis auf zwei parkende Autos ist das Gelände menschenleer. Die Inszenierung beginnt für mich bereits mit dem Blick auf den 70 Meter hohen Förderturm, der in den regenschweren Himmel ragt – wie ein bedrohlicher Schutzpatron der Siedlung. Ich betrete das Foyer, ein Maschinenhaus, in dem sich das Publikum vor dem Regen schützt. Es ist gut besucht. Man trinkt Rotwein, führt anregende Gespräche und freut sich auf das weltberühmte Collegium Vocale Gent unter Leitung von Philippe Herreweghe und ihrer Interpretation von Johann Sebastian Bach. Ein Menschenumzug nimmt mich mit über das Zechengelände, wir laufen einen schmalen Pfad vorbei an Schrottbergen und Geröll. Das Ziel ist die ehemalige Kohlenmischanlage, ein gigantisches Tonnengewölbe von 210 m Länge, 65 m Breite und 34 m Höhe, dahinter nur noch der Wald. Die Wanderung dorthin ist der Beginn der Passion, der Leidensgeschichte des Accattone. Der Menschenumzug flutet die Halle und steuert die angestrahlte Zuschauertribüne am anderen Ende an. Wir betreten die Bühne, in der Mitte liegen Schienen, an denen ein paar Gestalten herumlungern, miteinander plaudern und zu uns herüberschauen.

Accattone

Die Perspektive von den oberen Sitzen der Tribüne ist eindrucksvoll: Man schaut durch einen Tunnel, in der Mitte eine Gleislinie, die sich zum nebeligen Wald hin verjüngt. Der gesamte Raum scheint so vorgefunden, eine Kulisse, die von Schwerstarbeit zeugt. Man war sich einig, nichts zu verändern, das Bühnenbild ist minimalistisch und beschränkt sich auf zwei Container, einer davon ist Accattones Baracke. Über den Zuschauern wurde das Dach geflickt, doch an einigen Stellen regnet es trotzdem rein. Ein rhythmisches Tropfen durch die Decke, ein Scheppern von Maschinen erklingt und wird von zarter, barocker Musik abgelöst: Der Auftakt mit Bachs Kantate "Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen." Das Bild einer Barackensiedlung der Vorstädte von Rom, eine Gruppe von jungen Leute nähert sich aus der Ferne, sie schubsen sich, wirbeln Staub auf, einige gehen abseits, allein.

Accattone als Anti-Messias

Pier Paolo Pasolini (1922-1975) erkannte im Subproletariat die einzige Klasse, die außerhalb des Systems steht, da sie sich weder ausbeuten lasse, noch Ausbeuter werde. Sie lebe nur für sich selbst. Damit sah er in ihr ein revolutionäres Potential, um die Gleichschaltung der Massen, die in einem kapitalistischen System funktionieren müssen, aufzuhalten.3Vgl.: Tobias Staab, "Jenseits der Mitte", Programmheft zu "Accattone".

Sie sind alte Bekannte aus Pasolinis Film "Accattone" von 1961, der in Italien wegen der opportunistischen Haltung des Regisseurs für Furore sorgte, ein Regisseur, der den Katholizismus und die Moral des Bürgertums in seinen Essays, Romanen, Gedichten und Filmen als scheinheilig entlarvte. Nach dem Krieg kritisierte er als Journalist die kapitalistische Vereinnahmung der Massen und Ausbeutung des Menschen. 1975 wurde er ermordet. Accattone, hier gespielt von Steven Scharf, ist tragischer Protagonist – und Zuhälter. Seine Kumpels leben ebenfalls davon, Frauen zu verkaufen oder Lebensnotwendiges zu stehlen. Das Subproletariat ist eine archaische Männergesellschaft in einem Milieu von Prostitution, Elend und Gewalt. Sie kehren die bürgerlichen Werte ins Gegenteil, vertrödeln den Tag mit Karten spielen, Betrügereien, halsbrecherischen Wetten und Schlägereien. Der Alltag ist ein Loblied auf den Müßiggang, Accattone predigt als Anti-Messias mit seinen Jüngern die Heiligkeit des Nichts-Tuns. Während Faulheit im Christentum eine der sieben Todsünden ist, stellt in Accattones Welt die Arbeit eine Gotteslästerung dar. Andere für sich arbeiten zu lassen, zumeist Frauen, ist sein Glaubensbekenntnis.

Accattone

Spannungsfeld zwischen Himmel und Erde

Die Figuren entziehen sich einer bürgerlichen Logik, ihr Verhalten ist ambivalent bis menschenverachtend: Accattone lehnt Besitztümer ab, trägt aber seinen Goldschmuck zur Schau. Racheakte und Prügeleien sind bei den Zuhältern Tagesgeschäft. Simons inszeniert dies als Tanz zwischen dem mit zarter Stimme unheimlich säuselnden Zuhälter (Benny Claessens) und Maddalena (Sandra Hüller), mal liebevoll, mal ekstatisch bis brutal, untermalt von Bachs Kantate "Ach, bleib doch du mein liebstes Leben." Es ist keine Beschönigung der Realität, sondern eine Überhöhung des realen Elends in den Vorstädten des Nachkriegseuropas. Nach Pasolinis Manier, der im Film ebenfalls Bachs Kompositionen als musikalische Erzählung der Passion eines Subproletariers verwendet, entsteht ein Spannungsfeld zwischen Himmel und Erde. Die Musik verfehlt ihre Wirkung nicht. Die DarstellerInnen reagieren mit ihrer Körpersprache und ihren Bewegungen im Raum auf die himmlischen Klänge aus dem Nichts. Manch einer dirigiert ironisch ergriffen mit oder bleibt verwundert vor dem Orchester stehen. Bach und Baracken. Heiliges und Profanes verbinden sich über einen Zwischenraum hinweg, in dem der Mensch existiert. In dem Kosmos der Ausgestoßenen und Unbeachteten liegt die "Heiligkeit der Dinge"4Josef Rauscher, "Pasolinis mytho-mystische Realitätsversessenheit" in "Das goldene Zeitalter des italienischen Films", S. 246., die dem Materialisten und Atheisten Pasolini als erste Wahrheit galt.

Simons "Accattone"-Adaption löst die Schwierigkeit der Übertragung auf die Bühne, indem er szenische Handlungen nicht einfach nachspielt, sondern die Schauspieler die Regieanweisungen vorlesen lässt. Pasolini transportiert im Film die meisten Emotionen durch die Nahaufnahme der Gesichter seiner Laiendarsteller; das Stück findet seine Stimmung weniger durch das Schauspiel, da man die Gesichter von der Tribüne aus kaum erkennen kann. Es sind vielmehr die wortlosen körperlichen Äußerungen, gepaart mit einer musikalischen Erzählung von Verzweiflung, Erlösungshoffnung, Schmerz und Tod, die eine fatalistische Wirkung erzielen. Alle Figuren sind permanent durch ihre Reaktionen präsent, so wendet sich die zur Heiligen stilisierte Nannina (Laura Mentink), Frau eines inhaftierten Zuhälters, ab, sobald sich die anderen Frauen prostituieren, und schleppt sich den langen Weg zum Ausgang der Halle.

Tragisches Musiktheater

"Accattone" als Musiktheater ist gelungen, denn Schauspiel und Musik wechseln sich gleichberechtigt ab, ohne sich zu stören. Die Inszenierung entzerrt sich plötzlich, als das Collegium Vocale Gent eine Bachkantate anstimmt und die SchauspielerInnen auf der zweihundert Meter langen Bühne auseinanderfallen. Ein tiefer Abgrund klafft auf zwischen Accattone und der Welt. Von der Publikumstribüne aus sieht man als göttlicher Beobachter den winzigen, vereinzelten Menschen. Er steht in der Wüste, kniet im Staub der Industriehalle, streckt die Hände um Erlösung flehend gen Himmel, dazu wieder Kirchenmusik. Die Weite des Raumes gepaart mit den polyphonen Sätzen barocker Musik verzerrt die Zeitwahrnehmung, entschleunigt das Bühnengeschehen und sorgt stilistisch für einen ähnlich Pathos wie der Film mit seinen langen, musikalisch untermalten Einstellungen.

Die Tragödie kündigt sich schon früh an – zum einen in der Musik, zum anderen durch die Veränderung der Lichtverhältnisse in der Halle aufgrund der Dämmerung. Der schleichende Tod ist präsent und nähert sich Accattone, der auf seinem Leidensweg immer weiter abwärts schreitet. Als Zuhälter hat er mit Maddalena keinen Erfolg, als Dieb scheitert er. Will er sich seiner Exfrau Ascensa (Laura Mentik) und ihrem gemeinsamen Kind annähern, verprügelt ihn ihr Bruder und jagt ihn brutal vom Hof.

"Entweder ich geh an der Welt kaputt oder die verdammte Welt an mir!"

Er weiß, dass er sich mit seiner anarchistischen Lebensweise niemals einer bürgerlichen Welt anpassen kann. So bleibt ihm nur seiner Bestimmung zu folgen und eben "Accattone", ein Bettler zu sein, um das zu bekommen, was die Welt ihm in ihrer Barmherzigkeit abwirft. Als Bettler nimmt er den untersten Platz in der christlichen Erzählung ein, da die Menschen an ihm die Großzügigkeit ihrer Moral erproben können. Dieses Dasein macht Accattone noch elender, denn die Vorstadt Roms erreicht niemand, der etwas zu geben hätte, bis auf Stella (Anna Drexler), eine in weiß gekleidete Unschuld. Ihr Broterwerb ist es, Flaschen zu putzen. Sie bietet Accattone ein Mittagessen an. Durch ihre Reinheit und Großzügigkeit setzt sie sich ab von dem Rest des Ghettos und wirkt auf Accattone wie eine Heilige. Verliebt er sich? Oder ist erst Platz für die Liebe, wenn der Hunger gestillt ist?

Accattone

Accattones wittert in Stella eine neue Überlebenschance, und das bedeutet, sie als Prostituierte für sich arbeiten zu lassen. Um ihr dafür neue Kleider zu kaufen, stiehlt er seiner Tochter, ganz der Anti-Held, die Goldkette. Stella durchschaut ihn und weigert sich, für ihn anschaffen zu gehen. Doch er ist bereit, für sie sein Leben zu ändern und das Unaussprechliche zu tun – zu arbeiten. In seiner schäbigen Baracke, in der er die mittellose Nannina und ihre Kinder beherbergt hat, feiern sie Versöhnung. Stella, Nannina und er stoßen zwischen dreckiger Wäsche mit Marsala auf das neue Leben an. Accattone verspricht einer ehrlichen Arbeit nachzugehen, um sie alle zu versorgen. Er betritt das Haus eines "Dicken" (Benny Claessens), der sich träge räkelt. "Was willst du?", fragt er und Accattone zögert – Publikum, MusikerInnen und DarstellerInnen starren ihn erwartungsvoll an, man könnte eine Stecknadel fallen hören – "Arbeit!", zwingt er sich schließlich zu sagen. Man wittert ein Ende nach dem Credo bürgerlicher Erzählungen, eine Läuterung, jetzt hat er endlich seine Lektion gelernt und wird ein anständiger Mensch. Accattone arbeitet, lässt sich ausbeuten für einen Hungerlohn, schleppt Schrott, bricht unter der Anstrengung dem Tode näher, als dem Leben zusammen.

"Ich bin ein Sklave auf einem Berg Schrott!"

Doch die fatalistische Spirale dreht sich langsam und qualvoll. Er begehrt ein letztes Mal auf, stiehlt Lebensmittel, wird von der Polizei erwischt. Zu Bachs "Ich habe genug", läuft Accattone ein Motorrad schiebend, gemächlich an den Gleisen entlang. Schreitet mit schweren Schritten von dem Ende der Halle auf uns zu, auf seinen Tod. Ein Kontrast dazu stellen die Frauen dar, die sich an den Händen halten und leichtfüßig an ihm vorbeirennen, bis sie im Wald verschwunden sind. Mit seinem Tod sind sie entlassen. Die starken weiblichen Darstellerinnen (Sandra Hüller, Elsie de Brauw, Anna Drexler, Laura Mentink) schaffen es, das binäre Frauenbild Heilige/Hure aus Pasolinis Film aufzubrechen. Wenn Accattone Stella als Prostituierte bei einem Fest anbietet, zitiert Amore ironisch Dante "Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren." Amore arbeitet freiberuflich und empfiehlt es auch Maddalena, da Accattone, wie alle anderen Männer, nichts taugt. Als Sportkommentatorinnen beschreiben die Frauen in verhöhnendem Ton die Szene in der Accattone in Verzweifelung über Stellas Prostitution den Strand entlang rennt. In der Filmszene möchte er vor seinem eigenen Leben fliehen, hier scheinen die Frauen ihn zu jagen.

Vor der Arbeit sind alle gleich

Bis auf Stella, die als Lichtgestalt dem Geschehen entrückt ist, sind bei Pasolini die Frauen des archaischen Subproletariat Ware (als Prostituierte), Opfer (als von ihren Männern verlassene Frauen) oder beides. Sie haben einen geringen Sprechanteil und sind ihrem Schicksal erlegene, passive Statistinnen. Bei Simons gibt es keine abgeschlossene Männergesellschaft mehr, Frauen treten in Aktion, bewerten und kommentieren das Geschehen. Er entlässt sie aus der Rolle Opfer der Männer zu sein, sie bleiben gemeinsam mit ihnen Opfer des kapitalistischen Systems. In den Grenzen ihrer Möglichkeiten sind die Frauen selbstständig, in der Lage für sich zu sorgen und verhöhnen Accattone und seine Kumpels für ihre Misserfolge. Ihnen fehlt es nicht an Humor, sie sind weniger schwermütig als die Frauen bei Pasolini und verfallen nicht der Lethargie und Todessehnsucht, wie die männlichen Figuren auf der Bühne.

Accattone ist am Ende der Gleise angekommen, sein Motorrad fällt in den Staub, er berichtet als Beobachter seinen Zusammenprall mit dem Laster, starrt ins Leere und scheint überrascht von der Profanität des eigenen Todes. Er haucht seine letzten Worte in Erleichterung aus: "Jetzt bin ich erlöst." Er lässt sich langsam über das Motorrad sinken. Flügelschläge von auffliegenden Tauben, Stille, Dunkelheit, tosender Beifall.

Accattone

Aus der Peripherie Roms trete ich in den Randbezirk des Ruhrgebiets Dinslaken-Lohberg, aus einer inszenierten Überhöhung der Realität zurück auf den Schotterparkplatz vor der Zeche. Ein paar tiefergelegte Autos parken dort. Es ist stockdunkel, ich sehe die Umrisse von jungen Männern, nur wenige Frauen, ein paar sitzen rauchend auf den Motorhauben, andere unterhalten sich lautstark, es läuft Gangsterrap. Bach ist stumm. Sie rufen mir zu: "Ist da drin jetzt noch irgendwas los?", ich antworte: "Leider schon vorbei.“ Es ist Samstagnacht, sie langweilen sich in Düsseldorfs Umland, verstecken sich hier, das gute Leben findet anderswo ohne sie statt und sie wissen es. Die Ruhrtriennale kommt noch ein paar Mal zurück an diesen verlassenen Ort, um Auserwählte zu umschlingen. Dann zieht die Kultur weg, wie damals die Arbeit – die Lohberger aber bleiben.

Fotos: Ursula Kaufmann / Julian Ro /// Ruhrtriennale 2015

Die Redaktion empfiehlt passend zu diesem Artikel:

Ruhrtriennale
Johan Simons Interview | WDR 3
Interview mit Johan Simons & Eyüp Yildiz | Welt am Sonntag