Stellwerk Magazin

poetica III Die Seele und ihre Sprachen

Vorwort

Das inzwischen fest im kulturellen Leben Kölns angekommene Literaturfestival Poetica hat in diesem Jahr seine dritte Auflage erfahren. Die Poetica wurde vor drei Jahren von Günter Blamberger und Heinrich Detering gegründet. Maßgebliches Ziel der Poetica ist es, hervorragende internationale Dichter*innen hierzulande bekannter zu machen und in einer Woche intensiven Austauschs miteinander in Dialog zu bringen. Der Kurator oder die Kuratorin der Poetica ist dabei gleichzeitig Fellow am Internationalen Kolleg Morphomata, das neben der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung der Gastgeber der Veranstaltung ist. Den Kern der Poetica bilden Autorenlesungen in Kultureinrichtungen der Stadt Köln, darüber hinaus ist sie aber gekennzeichnet durch den Austausch zwischen Wissenschaft und Literatur.

Mit zehn Autorinnen aus neun Ländern wurde auch die Poetica III dem Anspruch, ein „Festival für Weltliteratur“ zu sein, mehr als gerecht. Kuratiert wurde die diesjähige Poetica von der vielfach, unter anderem mit dem Kleist-Preis ausgezeichneten Lyrikerin und Essayistin Monika Rinck. Teilnehmerinnen waren Javier Bello (Chile), Michael Donhauser (Luxemburg/Österreich), Nurduran Duman (Türkei), Maricela Guerrero (Mexiko), Gila Lustiger (Frankreich), Angelika Meier (Deutschland), Zeruya Shalev (Israel), Eleni Sikelianos (USA), Galsan Tschinag (Mongolei), Stefan Weidner (Deutschland) und der Religionswissenschaftler Lorenz Wilkens (Deutschland).

Für die dritte Auflage der Poetica hat die Kuratorin Monika Rinck das übergeordnete Thema „Die Seele und ihre Sprachen“ gewählt. „Die Seele“ – ein eigenartig widerständiges Thema, sobald man sich näher damit beschäftigt. Man glaubt zu wissen, was gemeint ist – und hat doch größte Schwierigkeiten, sobald man dieses Gemeinte explizit machen soll. Und gerade in solchen Unbestimmtheitsräumen schwer bestimmbarer anthropologischer Fundamentalia setzt das Dichterische ein. Insofern eröffnete die Thematik einen weiten Raum für die individuellen Dichterpersönlichkeiten, die aus aller Welt zur Präsentation ihrer Gedichte und Romane und zur Diskussion der Seelenräume nach Köln gekommen waren.

Wie jedes Jahr nahm die Poetica ihren Auftakt in der großen Aula der Universität zu Köln. Stimmungsvoll in den diesjährigen Poetica-Farben beleuchtet durfte diese für einen Abend in sanften Grüntönen als ein literarischer Gegenort zum sonstigen Lehrbetrieb erstrahlen. Der Abend war gegliedert in kurze Lesungen und Gespräche mit allen Dichter*innen. Dazwischen gab es musikalische Intermezzi auf Gitarre und Ney (Rohrflöte), sowie nach der Hälfte der Veranstaltung poetologische Erörterungen der Thematik von Günter Blamberger und Heinrich Detering.

Wie in der begleitend zur Poetica im Fink-Verlag erschienenen Publikation mit Gedichten, Prosaauszügen und Essays der TeilnehmerInnen nachzulesen ist, bewegen sich viele der eingeladenen AutorInnen im Grenzbereich zwischen Wissenschaft und Literatur. So geht Angelika Meier in ihrem Beitrag Eine Seele, weit und breitdem „Unbehagen“, der „Übelkeit“, den ihr dieser Begriff erzeugt, in einem weiten kulturhistorischen Bogen über Krakauer, Wittgenstein und Kafka nach. Michael Donhauser dagegen verwandelt das Thema in Wege der Seele in lyrische Prosa, die um eine Passage aus Adalbert Stifters Witiko kreist. Der Religionswissenschaftler Lorenz Wilkes schließlich, der gewissermaßen als ,theologischer Begleiter‘ der Poetica fungierte, hebt den psychosozialen Aspekt der Seelenthematik hervor.

Der erste Leseabend der Poetica III war zwei der drei Prosaautorinnen des Festivals gewidmet und fand im Stiftersaal des Wallraff-Richartz-Museums statt. Die israelische Romanautorin Zeruya Shalev las Passagen aus ihrem autofiktionalen Roman Schmerz, in dem sie die Folgen eines traumatisierenden Terroranschlags für das Leben einer Familienmutter mit dem Wiederauftauchen von deren Jugendliebe engführt. Die in Frankreich lebende Autorin Gila Lustiger präsentierte Passagen ihres dokumentarischen Romans Die Schuld der anderen, der die massiven politischen Verstrickungen um einen Prostituiertenmord aufdeckt.

Vom Gesang der Ney bis zu „Suff und Seele“

Am zweiten Abend im Literaturhaus setzten dann die Lyriklesungen der AutorInnen ein. Die in Istanbul lebende Dichterin Nurduran Duman stellte wunderbar melodische Gedichte vor, die um die „Ney“, die traditionelle persische Rohrflöte kreisen und sich auf den persischen Sufi-Dichter Rumi beziehen. Die Lyrik der amerikanischen Dichterin Eleni Sikelianos zeichnet sich durch ihre große formale Experimentierfreude und eindringliche innovative Metaphern aus, wenn zum Beispiel das „Bewusstsein wie ein Seidenschal in einen Apfel gestopft“1Monika Rinck, Günter Blamberger, Heinrich Detering, Sebastian Goth (Hg.): Die Seele und ihre Sprachen. Paderborn 2017, S. 111. wird. Beschlossen wurde der Abend durch den luxemburgisch-österreichischen Lyriker Michael Donhauser, der die singende Musikalität der Gedichte aus seinen Schönsten Liedern und seinen Variationen in Prosa voll zur Geltung brachte.

Nach dem zweiten Diskussionsnachmittag mit grundlegenden Fragen der Übersetzung von Gedichten war der dritte Abend mit Einzellesungen in der Stadtbibliothek schließlich dem mongolischen Schamanen, Stammesführer und Autor Galsan Tschinag, dem chilenischen Lyriker Javier Bello, der mexikanischen Dichterin Maricela Guerrero sowie der deutschen Romanautorin Angelika Meier gewidmet. Die Kontraste des Abends waren frappierend: Führte Tschinag neben seinen naturnahen Gedichten auch seinen Schamanengesang, mit dem er den Menschen ihre Seelen zurückbringt, vor, so präsentierte Javier Bello experimentelle Gedichte, die wie selbstverständlich die unerwartesten Bereiche der geistigen wie der Lebenswelt metaphorisch durchqueren und verknüpfen. Etwa, wenn zum Beispiel „hinter dem Denken […] ein gebrochener Mast“ liegt, „den die Strömung an die Füße des Bettes gespült hat“2Monika Rinck, Günter Blamberger, Heinrich Detering, Sebastian Goth (Hg.): Die Seele und ihre Sprachen. Paderborn 2017, S. 61.. Guerreros Gedichte wiederum – eine überaus lebendige Performerin ihrer Texte, die sich beim Vortrag metamorphotisch in deren Gegenstände, beispielsweise eine Krabbe, verwandelt – zeichnen sich durch die Verfremdung eines wissenschaftlich-objektivierenden Blickes auf die Welt aus. Abschließend führte Angelika Meier das Publikum mit der Lesung aus ihrem neuen Roman Osmo in die kalifornische Wüste, in der als festumrissene, tief im unteren Bodensegment eingescharrte, handbreite, leicht gebogene Linie“ der „Randstrich der Seele“3Angelika Meier: Osmo. Berlin/Zürich 2016. manifest wird.

Freitags gab es noch eine besondere Doppelveranstaltung im Sancta-Clara-Keller. Im ersten Teil las Stefan Weidner aus seinen Übersetzungen des arabischen Lyrikers Ibn-Arabi und führte gleichzeitig in den kulturhistorischen Horizont dieses „Übersetzers der Sehnsüchte“ ein. Der zweite Teil des Abends, „Suff und Seele“ betitelt, wurde seinem Namen voll gerecht: Monika Rincks von Franz Tröger vertonten Lieder für die letzte Runde boten bei Bier und Schnaps einen heiteren Ausklang der Woche, inklusive eines von der Kuratorin aus Poetica-Flyern selbstgebastelten Haarschmucks für Teilnehmende und Publikum. Man durfte sich auch singend einbringen, beispielsweise im kurzen und äußerst einprägsamen Stück In Ewigkeit Angst und Champagner.

Die diesjährige Poetica war also, maßgeblich dank der stets neugierig-begeisterten Kuratorin Monika Rinck und deren virtuosem Übersetzen zwischen dem Deutschen und dem Englischen, in sich sehr stimmig. Nur der finale Abend im Schauspiel Köln, der wie in den Jahren zuvor unter dem Motto „Poetry meets Scenery“ stand, machte einen eher dissonanten Eindruck – für eine Autorin wurde dem Publikum kein Raum zum Applaudieren gegeben, eine andere Autorin schien auf der Bühne sichtlich unglücklich mit der Interpretation ihres Textes durch die Schauspieler. In der anschließenden Diskussion schlug aber der Schauspieler Philipp Pleßmann vor, diese Misstöne als symptomatisch für die Reibungen zu interpretieren, die bei der Umwandlung von Texten in Material für schauspielerische Inszenierung entstehen.

Insgesamt dennoch eine weitere überzeugende Poetica, die sich durcheine besonders harmonische AutorInnenbesetzung auszeichnete. Das „Unbehagen“, das ein so schwer bestimmbares Konzept wie die Seele bei manchem erzeugen mag, findet seine wahrscheinlichste Auflösung in der Vielfalt herausragender dichterischer Formen. Lebendiger kann man Weltliteratur wohl kaum begegnen.

Fotos: Silviu Guiman

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