Stellwerk Magazin

Interview Der Komponist Timo Ruttkamp

Vorwort

Timo Ruttkamp, geboren 1980 in Hagen, studierte Komposition und elektronische Komposition an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln. Bereits als Jugendlicher hat er mit seinen Eigenkompositionen erfolgreich an zahlreichen Wettbewerben teilgenommen und ist u.a. Preisträger des Bernd-Alois-Zimmermann-Preises der Stadt Köln sowie des Deutschen Musikwettbewerbs Komposition. Musikalisch ist es ihm wichtig, stets eine eigene Sprache zu entwickeln, die in seinen Kompostionen zum Tragen kommt. Die Werke des in Köln lebenden Komponisten erscheinen bei dem Fachverlag für zeitgenössische Musik EDITION GRAVIS.

War es schon immer dein Wunsch, Komponist zu werden? Wie bist du dazu gekommen?

Im Alter von zehn Jahren habe ich ganz spontan meine Eltern gebeten, mir ein Notenschreibheft zu kaufen. Dann fing ich an, von jetzt auf gleich, und es hat mich nicht mehr losgelassen. Je älter ich wurde, umso stärker wurde auch der Wunsch, ein Musikstudium anzustreben. Und als zwei Jahre vor dem Abitur mein späterer Kompositionsprofessor York Höller zu mir meinte, dass ich auf jeden Fall bei ihm in seiner Klasse an der Kölner Musikhochschule studieren dürfe, war die Richtung für mich klar.

Bereits als Jugendlicher hast du Kompositionsunterricht genommen. Hast du damals schon gewusst, in welche Richtung deine Musik gehen würde?

Das Meiste an musikhistorischem und -theoretischem Wissen habe ich autodidaktisch gelernt. Musiktheorieunterricht bekam ich erst später mit 14 Jahren; da war manchmal etwas Kompositionsunterricht dabei, wenn ich meinem Lehrer eine neue Komposition zeigte. Er ließ mich aber meistens einfach machen, hat vor allem Wert auf korrekte Notation und musikalische „Orthografie“ gelegt und ein wenig an den Resultaten herum gefeilt, mich aber nicht in eine Richtung gedrängt. Erst schrieb ich tonale Musik in Anlehnung an die Spätromantik, später wurde es „neoklassizistischer“ und irgendwann merkte ich, dass es wichtig war, eine eigene Sprache zu entwickeln, um sich individuell auszudrücken.

Was fasziniert dich an „Neuer Musik“? Komponierst du auch Werke anderer Musikrichtungen?

Zur sogenannten „Neuen Musik“ (ein schwieriger Begriff!) kam ich automatisch, da es mich immer interessiert hat, etwas Eigenes, Neues zu entwerfen, eigene Systeme, eigene Klänge. Wenn ich hier und da zum Beispiel kleinere Gelegenheits-Filmmusiken schreibe, enthält die Musik natürlich oftmals traditionellere Elemente oder eine Mischung aus Altem und Neuem. Ich setze mich auch manchmal hin, improvisiere mit Synthesizern und spiele mit Musiksoftware herum, da kommt dann auch mal „pop“-artiges heraus. Aber das mache ich nur zum Spaß für mich, davon habe ich bisher nichts veröffentlicht.

Hast du selbst eine klassische Musikausbildung genossen?

Ich habe an der städtischen Musikschule meiner Heimatstadt erst klassisches Akkordeon und später zusätzlich Klavierunterricht bekommen – also eine ziemlich „klassische“ Ausbildung. An der Musikhochschule Köln war Klavier automatisch Nebenfach und man lernt in den Tonsatz-Pflichtseminaren die musikalischen Regeln der Vergangenheit, obwohl man ja im Hauptfach Komposition eigentlich ganz andere Dinge macht und sich individuell von allen ehemals streng gültigen Vorschriften lösen sollte – ein manchmal nicht so leichtes Unterfangen.

Du hast bereits an einigen Wettbewerben teilgenommen. Wie würdest du diese Erfahrungen beschreiben?

An sich bin ich kein Wettbewerbsmensch, ich nutzte die Kompositionswettbewerbe bisher, um an Chancen für professionelle Aufführungen und Aufnahmen meiner Werke zu gelangen, und natürlich auch, um Aufmerksamkeit in der Musikwelt zu bekommen. Doch als Jugendlicher waren die Wettbewerbe für mich essentielle, externe Motivationen dafür, dass ich auf einem guten Weg zu sein scheine und weiter machen sollte, zumal man als komponierender Teenager ziemlich isoliert ist und niemanden kennt, der das auch macht, und sich dementsprechend nur schwer selbst einschätzen kann. Anders als bei objektiv messbaren Wettbewerben, wie zum Beispiel Sportdisziplinen, sind Wettbewerbe, denen ein künstlerischer Gegenstand zugrunde liegt, jedoch immer subjektiv und dadurch auch oftmals nicht immer „gerecht“. Anonyme Wettbewerbe gefallen mir noch am Besten – bei denen sind zumindest die Ausgangschancen für alle gleich und es werden nicht von vornherein Teilnehmer bevorzugt. Am Schönsten ist es, wenn bei einem Wettbewerb am Ende eine gut einstudierte Aufführung erfolgt, die für einen Komponisten immer mehr wert ist als eine Urkunde oder bloßes Preisgeld.

Hast du Vorbilder oder Inspirationen für deine Kompositionen?

Es gibt immer eine Mischung aus musikalischen und außermusikalischen Inspirationen. Vieles, was ich an Musik kenne, liegt irgendwo unterbewusst und beeinflusst meine Ideen. Oft sind es nicht einmal musikalische Ideen, sondern sie kommen aus allen möglichen Feldern, wo ich – meistens zufällig – irgendetwas sehe, lese, erfahre. Das können Dinge aus der Wissenschaft sein, Kunstwerke aus der bildenden Kunst, Alltagsphänomene usw. Im Grunde sind meine kreativen Antennen dauerhaft aktiv, egal was ich mache, bis sie irgendetwas empfangen, das mich interessiert, irritiert, befremdet, verstört, zum Nachdenken anregt. Daraus kann sich dann eine musikalische Idee oder ein Konzept entwickeln.

Orientierst du dich auch an klassischen Komponisten bzw. musikalischen Mustern?

Manchmal können Werke vergangener Epochen ziemlich inspirierend sein, wenn man mal ins Detail geht und schaut, wie dort handwerklich gearbeitet wurde, wie Ideen verarbeitet oder auch instrumentiert wurden. Und oft macht es auch einfach Spaß, mit dem heutigen Blick bzw. Ohr, ältere Werke zu betrachten und dabei festzustellen, was an einem Musikstück charakteristisch, für seine Zeit modern ist oder auch, was einfach zeitlos stark und überzeugend wirkt.

Wie lange brauchst du für eine Komposition? Benutzt du technische Hilfsmittel?

In den meisten Fällen gibt es ausgiebige Phasen von Nachdenken und „Brainstormen“ im Vorfeld einer Komposition. Die Ausarbeitung kann – wenn das Konzept einmal feststeht – oft relativ schnell gehen. Wichtig ist der Punkt, wo man sich eindeutig entscheidet und einen Weg konsequent weiter verfolgt, dann läuft es eigentlich ganz flüssig. Davor gibt es oft und bei jeder Komposition immer wieder Momente, wo ich feststecke, zweifle, korrigiere oder häufig neu anfange. Neben dem bewährten Papier und Bleistift brauche ich oft den Taschenrechner, um etwa Proportionen von Formteilen, Tempi oder Dauern zu bestimmen. Manchmal hilft mir auch Musiksoftware bei der Ausarbeitung von Ideen und am Ende setze ich die Noten im Notensatzprogramm, damit alles professionell aussieht und vom Verlag veröffentlicht werden kann.

Gibt es bestimmte Kriterien, nach denen du komponierst? Gehst du zum Beispiel nach einem bestimmten Muster vor?

Meistens entwerfe ich für jede Komposition einen neuen Plan und benutze Systeme, die oft Weiterentwicklungen oder Ableitungen aus vorherigen Kompositionen sind. Manchmal möchte ich auch absichtlich neue Verfahren ausprobieren oder ich habe eine „verrückte Idee“, dann gleicht eine Komposition eher einer durchdachten Versuchsanordnung, die durchaus auch mal „scheitern“ kann. Es gibt schon genug Musik auf der Welt, als dass ich mich selbst noch ständig wiederholen müsste.

Musst du denn im Vorfeld überprüfen, ob deine Ideen bereits in anderen Werken verwendet worden sind?

Ein Künstler, egal ob Musiker, bildender Künstler, Literat oder Filmemacher, muss sich in dem Bereich, wo er arbeitet, möglichst gut in der Vergangenheit und Gegenwart auskennen, am besten auch Strömungen und wichtige Werke aus anderen künstlerischen Sparten kennen. Auch wenn man natürlich niemals alles kennen kann, bekommt man dennoch ein gutes Gefühl dafür, welche Dinge schon irgendwie mal gemacht wurden: ob man bewusst daran anknüpft, sich davon inspirieren lässt oder demgegenüber eine „Antihaltung“ einnimmt. Und je mehr man weiß und kennt, umso besser und präziser kann man auch seine eigene künstlerische Position herausarbeiten und bekommt eine Ahnung davon, wo man zwischen all den Zeiten, Epochen und Stilen selbst irgendwo stehen mag und möchte. Daher ist schöpferische Arbeit im Allgemeinen nie wirklich „zeitlos“, man ist selbst immer ein Produkt der ganzen Kunst- und Kulturgeschichte und ein Kind seiner Zeit. Und selbst wenn mehrere Komponisten dieselbe Idee verarbeiten, wird am Ende doch das Resultat niemals gleich ausfallen; dasselbe Motiv würde von verschiedenen Malern ja auch immer unterschiedlich dargestellt werden.

Wie würdest du deine Kompositionen beschreiben?

Ich bin kein Freund von festen Kategorien und die Beschreibung überlasse ich dem Hörer. Ich selbst bin dafür sicher nicht die richtige Person. Außerdem probiere ich immer auch etwas Neues oder Anderes aus und dann ändert sich gegebenenfalls auch die stilistische Einordnung, sofern es überhaupt eine Bezeichnung dafür gibt oder sie womöglich erst erfunden werden muss.

Wie kann man sich den Prozess von der musikalischen Idee bis zur Uraufführung vorstellen?

Im Idealfall bekommt der Komponist von Musikern oder Veranstaltern einen Kompositionsauftrag mit genügend Vorlaufzeit. Es wird ein Honorarangebot gemacht und man gibt mir Informationen über die Besetzung und den Aufführungstermin. Mit der Komposition sollte ich möglichst frühzeitig fertig werden, damit ich danach das Stimmenmaterial herstellen kann – was bei größerer Besetzung durchaus zeitaufwändig ist – und der Verlag es drucken und an die ausführenden Musiker verschicken kann. Danach sind die Noten im Verlagskatalog dauerhaft verfügbar und können weltweit bestellt werden: entweder als Kaufmaterial zu einem festen Preis oder – bei großem Ensemble oder Orchester – als sogenanntes Leih-/Mietmaterial, bei dem der Verlag die Noten gegen eine Gebühr nur verleiht und nach der Aufführung zurück bekommt. Manchmal komponiere ich auch ohne Auftrag, weil ich die Idee unbedingt umsetzen möchte, und kümmere mich später um eine Aufführung und/oder biete die Noten dem Verlag zur Veröffentlichung an. Manchmal kann man im Zuge einer Aufführung noch ein nachträgliches Kompositionshonorar bekommen.

Unter anderem komponierst du auch Orchesterwerke. Wie ist es, mit den Orchestern zusammenzuarbeiten? Hattest du schon Schwierigkeiten damit, deine Musik aufführen zu lassen?

Orchester sind komplexe Organismen, deren feste Routinen und gewissermaßen standardisierte Arbeitsweisen man ganz genau kennen muss, wenn man erfolgreich und möglichst frustfrei mit ihnen arbeiten möchte. Zum Beispiel haben Musiker eines kleineren Stadtorchesters während der Proben einmal provokante oder auch freche Dinge zu mir gesagt. Da hilft es nur, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, professionell aufzutreten, den Musikern bereitwillig alles zu erklären, warum man bestimmte Dinge so geschrieben hat, und dann auf gegenseitigen Respekt hoffen. Bei Proben mit Orchestern ist es außerdem sehr wichtig, sich gut mit dem Dirigenten abgesprochen zu haben, um gemeinsam ein tragfähiges Interpretationskonzept zu erarbeiten und die grundsätzlich immer sehr knapp bemessene Probenzeit effektiv zu nutzen.

Inwieweit bist du an den Proben beteiligt?

Je nach Zeit und Ort bin ich gern bei den Proben anwesend. Handelt es sich um ein Orchesterwerk, habe ich mich vorher mit dem Dirigenten verständigt und bespreche mich auch nach oder zwischen den Proben mit ihm. Manchmal fragt er mich auch während der Proben nach meiner Meinung und dann habe ich Gelegenheit, direkt einzugreifen. Ansonsten ist die Leitung der Proben dem Dirigenten zugewiesen. Bei kleineren Besetzungen oder Solokompositionen ist der Kontakt zu den Musikern natürlich direkter und oft auch persönlicher. Da können viele Dinge entspannter und auch ausführlicher besprochen werden.

Wie empfindest du deine Musik, wenn sie auf der Bühne aufgeführt wird?

Es macht mich glücklich, wenn meine Musik aufgeführt wird und ich bin – vor allem bei Uraufführungen – natürlich auch nervös, weil ich in dem Moment nichts mehr tun, nicht mehr eingreifen kann und nun die ausführenden Musiker die volle Verantwortung tragen.

Wie sind die Reaktionen auf deine Musik? Lässt du dich von Kritik beeinflussen?

Ein Skandal blieb bisher aus, bislang wurden viele meiner Werke von Musikern als auch vom Publikum geschätzt, was mich natürlich – das ist ja auch menschlich – sehr freut. Von einem schlichtem „Gefällt mir (nicht)“ lasse ich mich nicht beeinflussen, ich habe ja eine klare Vorstellung davon, was ich machen will. Über das „Wie“ lässt sich natürlich auch gern mal diskutieren, daher freue ich mich, wenn ich fachlich-konstruktive Kritik und Anregungen bekomme – wie etwa von Komponisten-Kollegen und Musikern.

„Neue Musik“ richtet sich ja doch eher an ein kleineres Publikum. Meinst du, der Zugang zu dieser Musik ist einfacher, wenn man eine musikalische Ausbildung oder ein bestimmtes Vorwissen hat?

„Neue Musik“ richtet sich wie jegliche Form von Kunst meiner Meinung nach an alle Menschen und nicht explizit an ein kleines Publikum. Meiner Erfahrung nach sind „offene Ohren“, Neugier, Aufgeschlossenheit wichtiger als eine musikalische Ausbildung oder Vorwissen. Natürlich hilft es, generell viel Musik bewusst wahrzunehmen, um auch Werken der Neuen Musik beim Hören etwas abgewinnen und seinen eigenen ästhetischen Horizont erweitern zu können. Manchmal empfinde ich, dass eine musikalische Vorbildung sogar den Scheuklappenblick verstärkt. Nicht wenige Berufsmusiker hegen eine regelrechte Abscheu gegen alles, was nach 1950 oder gar 1900 komponiert wurde und sitzen in ihrem Elfenbeinturm alter Musik fest, in welchem sie ihre Erwartungen an Musik bestätigt bekommen und sie es sich bequem und in Bekanntem schwelgend eingerichtet haben. Interessanterweise können aber musikalisch weniger vorgebildete Familienangehörige und Freunde von mir in Konzerten Neuer Musik meistens intuitiv „gut gemachte“ Werke mit starker künstlerischer Aussage und Stringenz sofort erkennen und von eher mittelmäßigen, belangloseren Musikstücken unterscheiden.

Man sollte auch unterscheiden können zwischen einem anerkennenden ästhetischen Zugang zu einem Kunstwerk und einem intuitiv-persönlichen, genussvollen Gefallen daran. Das muss sich nicht immer decken. Manche Werke der Musik sind sperrig, schwer zugänglich, aber großartige künstlerische Leistungen, die man wertschätzen kann oder wozu man im Laufe des Lebens immer neue/andere Zugänge findet. Wobei es andersherum nicht heißt, dass etwas besonders wertvoll oder „wahrhaftiger“ ist, nur weil es unattraktiver erscheint. Dies ist ein großer Trugschluss der modernen Künste.

Ist es schwierig, sich in der Szene durchzusetzen?

Die Neue-Musik-Szene funktioniert wie jede andere Szene in allen kreativen Bereichen und ist ein komplexes System, das durchaus seine Besonderheiten und auch Tücken hat. Viel geht über Schneeballsysteme, Synergie-Effekte, „große Namen“ und nicht immer steht das künstlerische Werk an sich im Vordergrund. Da wünscht man sich oft etwas anders, es lässt sich aber scheinbar kaum ändern. Die Kunst- und Literaturszenen sind sich darin sehr ähnlich. Glücklicherweise kann sich Musik heutzutage über das Internet weltweit demokratisch und ziemlich einfach verbreiten, was den Vorteil hat, dass sich jeder präsentieren kann, aber gleichzeitig – das ist der Nachteil – zu der riesigen, im Internet verfügbaren Masse an Künstlern und Kunstwerken in Konkurrenz tritt.

Foto: ©Timo Ruttkamp

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