Stellwerk Magazin

Rezension Thomas Olde Heuvelt: Hex

Vorwort

Passend zu Halloween und dem Beginn der dunklen Jahreszeit hier nun eine Buchrezension der unheimlicheren Sorte: Der Roman „Hex“ des niederländischen Autors Thomas Olde Heuvelt. Mit Blick auf das Schauer- und Horrorgenre wird schnell deutlich, warum die Lektüre von „Hex“ einfach spannend ist.

Thomas Olde Heuvelt: Hex. Heyne Verlag, November 2017, 432 Seiten.

“There is no bombast no similes, flowers, digressions, or unnecessary descriptions. Everything tends directly to the catastrophe.” 1Walpole, Horace: The Castle of Otranto- A Gothic Story. 5. Auflage. Oxford: Oxford University Press 1764 [2008], S. 7. So leitet Horace Walpole 1765 im Vorwort seinen Roman The Castle of Otranto ein und macht dem Leser unmissverständlich deutlich: So muss ein Schauerroman ausschauen. Kein Element in diesem Genre ist zufällig gewählt, alles trägt zum Gruseln bei. Übernatürliche Wesen wie Geister, Hexen, Vampire, Zombies und Werwölfe treiben hier ihr Unwesen. Das Genre des Schauerromans greift auf düstere Atmosphären, malerische Kulissen, Dunkelheit, versteckte Verbrechen (und Geheimnisse) zurück und hat hauptsächlich einen übernatürlichen Fokus. Häufig ist ein skurriles Verbrechen der Beginn einer solchen Geschichte.2Vgl. Roberts, Adam: Gothic and horror fiction. In: Edward James und Farah Mendlesohn (Hg.): The Cambridge Companion to Fantasy Literature. Cambridge: Cambridge University Press 2012, S. 21-35. Genauso wie in Frankenstein. The Modern Prometheus Victor Frankenstein eine Kreatur aus Leichenteilen zum Leben erweckt, oder aber in Hex eine ermordete Hexe als Geist zurückkehrt, um ihre Peiniger heimzusuchen. Dieser übernatürliche Fokus führt oft zu grotesken Darstellungen, welche den Leser zugleich ekeln, aber auch zeitweise zum Lachen bringen können. Diese Zwiespältigkeit zeigt sich auch in Hex.

Das Genre des Horrors entsteht aus dem der Schauerromane und teilt daher viele der oben genannten Eigenschaften. Ein Unterschied zum Schauerroman ist jedoch die Repräsentation des Unheimlichen im Kontext des normalen Lebens, welcher auch in Thomas Olde Heuvelts Roman eine große Rolle spielt. In diesem Genre werden häufig auch menschliche Monster abgebildet, wie zum Beispiel die Figur des Dr. Jekyll aus dem Buch The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde3Stevenson, Robert Louis: The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde. London: Collins Classics 1886 [2010]. . Die Grenzen der beiden Genres zu überschreiten und somit auch zu vermischen, findet schon im 19. Jahrhundert in den sogenannten Penny Dreadfuls (Groschenromanen)4Vgl. Dunae, Patrick: Penny Dreadful: Late Nineteenth-Century Boys’ Literature and Crime. In: Victorian Studies 22 (1979), Nr. 2, S. 133-150. statt. Diese Formate vereinten sowohl Eigenschaften des Schauer- als auch des Horrorgenres. Darüber hinaus gilt natürlich, wie bei jeder Ausdifferenzierung von Genres, dass dies nur Anhaltspunkte der Zuordnung sein können und es viele Romane gibt, die Merkmale beider Genres aufweisen und sich einer eindeutigen Zuordnung verweigern.

Nun zu Hex: Man nehme den Geist einer im Jahre 1664 getöteten Hexe und verlegt die Handlung in eine kleine Stadt im Umfeld New Yorks im Jahre 2012. Die Bewohner der Stadt Black Spring werden tagtäglich mit dem Geist der Hexe Katherine van Wyler konfrontiert. Ihre Augen und ihr Mund sind zugenäht, denn ihr Flüstern ist tödlich. Wer versucht, die Stadt zu verlassen, unterliegt dem Fluch der Hexe und ist fortan selbstmord-gefährdet. Und auch hier wird klar: Alles baut wohl durchdacht aufeinander auf, nichts wird unnötigerweise erwähnt und alle Stränge laufen in der Katastrophe zusammen.

Thomas Olde Heuvelt spielt sowohl mit Elementen des Horror- als auch des Schauerromans. Die weibliche Protagonistin Katherine van Wyler wird die Bewohner des Städtchens so lange heimsuchen, bis sie jemand von den Drähten, die ihren Mund und ihre Augen verschließen, befreit. Der psychologische Spannungsbogen zieht sich durch die ganze Geschichte, mit der ständigen Frage, was Katherine als nächstes tun wird. Sie repräsentiert nicht nur den übernatürlichen Horror, sondern das historische Setting der Geschichte im Jahr 2012 erlaubt es dem Buch auch, eine Ebene des realistischen Horrors zu eröffnen. Das Warnsystem, eine App, die die Bewohner von Black Spring entwickelt haben, um für jeden sichtbar zu machen, wo Katherine alias die Black Rock Hexe sich gerade aufhält, erinnert an moderne Überwachungssysteme, die die Unvorhersehbarkeit des Grauens kontrollierbar zu machen versuchen. Aber die vermeintliche Antagonistin wirft auch ganz in Frankenstein'scher Manier die Frage nach dem Bösen im Menschen auf und letzten Endes sieht man sich vielleicht hin und her gerissen zwischen einer Ambivalenz von Angst und Mitgefühl.

Für Fans der Horror- und Schauerliteratur ist dieses Buch ein Muss. Es zeigt eine perfide Form des Horrors ohne langweilige Klischees und lässt sich trotzdem in der klassischen Tradition der Horror- und Schauerliteratur verorten. Ein Tipp für alle niederländischen Leser: Die niederländische Ausgabe von Hex hat ein anderes Ende als die deutsche Version.

Foto: Thomas Olde Heuvelt