Stellwerk Magazin

Nur noch kurz die Welt retten…

Vorwort

Stell dir vor, du könntest an einem einzigen Tag etwas gegen die größten politischen Krisen unserer Zeit bewirken. Dann greif zu, denn „die Lösung gibt es jetzt bei Start-Next zu kaufen.“ – Für nur 29,95€! Mit diesen Worten wirbt ein Imagevideo für eine BügerInnenversammlung, die es in diesem Ausmaß noch nie gegeben hat: 12062020olympia. Was nach einem riesigen PR-Gag klingt, war tatsächlich das Vorhaben von Waldemar Zeiler und Philip Siefer – den Start-Up Gründern der veganen und nachhaltigen Kondommarke Einhorn. Die Mini-Dokuserie „Unfck the World“, erschienen am 4. Februar 2021 auf Joyn, erzählt nun vom gescheiteren Plan der beiden ein Demokratie-Festival auf die Beine zu stellen.

Doch fangen wir von vorne an: Am 7. November 2019 entschied der Bundestag, dass Periodenprodukte zum Grundbedarf gehören und nur noch mit sieben, statt wie bisher 19 Prozent besteuert werden sollen – Dank einer Petition, die Philip Siefer und Waldemar Zeiler gemeinsam mit dem NEON-Magazin vorangetrieben hatten. Beflügelt von diesem politischen Erfolg entstand die Idee für 12062020olympia. Der Plan: Am 12. Juni 2020 soll das Berliner Olympiastadion mit politisch interessierten BürgerInnen gefüllt werden, um für dringliche Anliegen wie den Klimaschutz auf einen Schlag eine große Anzahl an Unterschriften sammeln zu können, die anschließend in Form von Petitionen im Deutschen Bundestag eingereicht werden. Zusätzlich sollen Talks stattfinden, damit sich „alle zusammen einmal wirklich wirksam fühlen können“, wie Charlotte Roche, Unterstützerin des Projekts, so schön formuliert. Finanziert werden soll der Spaß durch Crowdfunding, denn erst dann könnte das Olympiastadion angemietet werden. Das Ziel: 60.000 Tickets für knapp 30€ müssen vorab verkauft werden.

Bürgerbeteiligung als kultiges Sommer-Event

Um für ihr Projekt so viel Aufmerksamkeit wie möglich zu generieren, haben sich Waldemar Zeiler und Philip Siefer diverse deutsche InfluencerInnen ins Boot geholt. Allen voran die Fridays for Future Aktivistin Luisa Neubauer (24) und Autorin und Moderatorin Charlotte Roche (43). Diese sollen kräftig die Werbetrommel rühren, damit das Crowdfunding-Ziel von 1,8 Millionen Euro erreicht werden kann – mit Marketing-Strategien kennen sich die Jungs eben aus. Doch wirkt das Ganze von Anfang an schief gedacht: Hier wird BürgerInnenbeteiligung als „kultiges Sommer-Event“ verkauft, wie Jan Böhmermann kritisiert. Auch die Ortsgruppe Fridays for Future Frankfurt zeigt sich wenig begeistert, dass demokratische Teilhabe als Grundrecht an einen Ticketpreis geknüpft wird und distanziert sich öffentlich vom Projekt Olympia: „Zu sagen, dass die Weltrettung für 29,99 zu haben sei, stellt einen Schlag ins Gesicht für die Jugendlichen dar, die seit 11 Monaten auf der Straße sind.“
PR ist den beiden Olympia-Initiatoren dennoch sicher – schließlich sind sie nicht nur politisch engagierte Bürger, sondern auch Unternehmer, die ihre veganen Kondome an den Mann bringen wollen. Da passt es perfekt ins Konzept sich als Weltverbesserer zu inszenieren.

Waldemar Zeiler und Philip Siefer am Berliner Olympiastadion © Joyn/INDIE FILM Waldemar Zeiler und Philip Siefer am Berliner Olympiastadion © Joyn/INDIE FILM

„Ich hab so ‘n tiefes Bedürfnis einmal so ein O zu malen“

Für „Unfck the World“ begleitete der niederländische Filmemacher Finbarr Wilbrink Waldemar Zeiler und Philip Siefer über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren ab dem Moment der offiziellen Reservierung des Olympiastadions. So findet dann auch die erste Szene genau an diesem Ort statt: Man sieht die beiden Initiatoren während des Kampagnendrehs auf der Tribüne des eindrucksvollen Gebäudes voller Euphorie und Vorfreude auf den 12. Juni 2020 – noch scheint alles möglich zu sein. Doch hat man die ersten drei der insgesamt sechs Folgen der Joyn-Produktion hinter sich gebracht, fällt auf, dass es inhaltlich vor allem um eins geht: Den Kampf mit den KritikerInnen. Die politischen Ziele scheinen dabei schnell vergessen. Auch wenn jede Episode der Dokumentation nur knapp 30 Minuten dauert, fühlt es sich streckenweise doch wie eine Ewigkeit an. Als ZuschauerIn kann man sich nur an den Kopf fassen, wenn in Folge eins beispielsweise eine langwierige Sequenz gezeigt wird, wie das Team von 12062020olympia anfängt Kreise – oder den Buchstaben O – mit Farbe auf Plakate zu malen, weil Philip Siefer „ein tiefes Bedürfnis“ danach verspürt hat. Zuvor musste ein Krisenmeeting einberufen werden, da der ursprüngliche Name für die Aktion „Unfck the World“ innerhalb der eigenen Reihen auf Kritik gestoßen war. Nun werden Ideen auf einem Flipchart im Loft-Büro gesammelt. Oder eben fleißig Kreise gemalt. So entsteht der finale Name 12062020olympia – Datum und Ort sollen untrennbar miteinander verbunden werden.

Aktivismus trifft auf Berliner Start-Up Szene

Wilbrink fängt mit seiner Kamera gekonnt ein, mit was für einem Milieu man es hier zu tun hat. Das betonte Understatement und der lässige Gestus, mit dem Waldemar Zeiler und Philip Siefer sich in den hippen Berliner Bars und Lofts bewegen, wird perfekt in Szene gesetzt. Die Wechsel zwischen halbnahen Aufnahmen und extremen Close-ups lassen die beiden nicht nur nahbar wirken, sondern halten immer wieder die Details dieser Welt fest, in der die obligatorische Mütze auf dem Kopf nicht fehlen darf, Männer sowieso alle einen Bart tragen und der Drink in der Hand als ständiger Begleiter fungiert. Das inhaltliche Programm von 12062020olympia wird dabei zur Nebensache.

Lange Zeit ist unklar, ob das Crowdfunding-Ziel erreicht werden kann. Doch anstatt sich und den ZuschauerInnen einen Gefallen zu tun und die Reißleine zu ziehen, geht es weiter, immer weiter. Und tatsächlich: Irgendwann wird das Ziel von 1,8 Millionen Euro erreicht und die beiden Berliner müssten sich nun wirklich über die Inhalte von 12062020olympia Gedanken machen. Doch sind wir mittlerweile bei Folge fünf der sechsteiligen Dokumentation angelangt und wissen: Viel kann da nicht mehr kommen. Der einzige Lichtblick in dieser Folge ist Dr. Otto Scharmer, leitender Dozent am MIT, der sich mit kulturellen, sozialen und organisationsbezogenen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Systemumbau beschäftigt. Er sieht großes Potenzial in der Idee der beiden Jungunternehmer und beginnt die richtigen Fragen zu stellen: Braucht es vielleicht doch diese Art von Aktivismus, um die Demokratie zu erneuern? Könnte das Projekt Olympia tatsächlich als Prototyp fungieren? Bevor es aber wirklich spannend wird, sitzen Waldemar Zeiler und Philip Siefer – wie so oft – bei einem Drink zusammen und reden nur über sich.

Schließlich kommt der „fucking Endgegner“ Corona und das Olympia-Event muss abgesagt werden. Aber wenn schon der Plan die Welt zu retten scheitert, dann bleibt immerhin noch diese Dokumentation, wie Philip Siefer an einer Tischtennisplatte im Park seinem Gegenüber am Smartphone erzählt. Diese Äußerung trifft den Kern der Serie ganz gut: Die ZuschauerInnen quälen sich von Folge zu Folge, um zu erfahren, wie denn nun der Plan zur Rettung der Welt aussehen könnte und alles, was sie bekommen, ist reine Selbstinszenierung, Start-Up-Blabla und die Vermarktung von Demokratie. Dabei hat der Ansatz der beiden – wenn man den bitteren Beigeschmack kommerzieller Interessen ausklammert – viel Potenzial: Angesichts kontinuierlich sinkender Mitgliederzahlen in Parteien böten vielleicht Petitionen und ein unkonventionelles Format wie ein Demokratie-Festival die Möglichkeit, BürgerInnen zu aktivieren und verstärkt interessengebunden in politische Prozesse einzubinden. Immerhin wurden von den für 12062020olympia geplanten Petitionen mittlerweile schon vier Stück beim Deutschen Bundestag eingereicht.

Headerfoto: © Joyn/INDIE FILM

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