Stellwerk Magazin

TransLit 2021 Eine Frage der Form

Vorwort

Nach einem Jahr pandemiebedingter Pause startete im Mai die fünfte Ausgabe der TransLit Poetikdozentur am Institut für Deutsche Sprache und Literatur I der Universität zu Köln. Als Dozentin geladen war die kürzlich mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnete Autorin Iris Hanika. Bei der Auftaktveranstaltung am 5. Mai nahm sie das Publikum unter dem Titel „Based on a True Story“ mit in ihre Welt der Sprache und Wörter. Im Rahmen ihres Poetikvortrags kam sie auch auf transmediale Aspekte ihres Œuvre zu sprechen, die den Schwerpunkt der namensgebenden Poetikdozentur bilden. Passend dazu hieß es Bildschirm statt Bühne, Streamlink statt Hörsaal – während die zurückliegenden TransLit-Veranstaltungen in verschiedenen Räumen der Universität abgehalten wurden, fand sie in diesem Jahr auf den Bildschirmen der Zuschauenden statt. Doch egal wie, schon am ersten Abend wird schnell deutlich, dass Hanikas Werk nicht nur inhaltliche, sondern vor allem formale Vielfalt zu bieten hat.

„Die Veranstaltung beginnt in Kürze…“ Wo sonst das leise Murmeln des Publikums im Vorlesungssaal auf den nahenden Beginn hindeutet, lässt einen in diesem Jahr ein Standbild im Youtube-Livestream wissen, dass es gleich losgeht. Sich nochmal kurz mit den Nachbar:innen über die Erwartungen an die Veranstaltung austauschen ist nicht möglich, stattdessen sitzt man alleine vor seinem Bildschirm. Um kurz nach 18 Uhr springt das Bild um und verändert sich zu einem für die meisten sehr vertrauten Anblick: Drei Menschen sind bis zu ihren Schultern in kleinen Kästchen zu sehen. Auch die TransLit zeigt sich im wohlvertrauten Antlitz der Pandemie und seinen unentrinnbaren Zoom-Kacheln, denn seit mehr als einem Jahr findet der Universitätsbetrieb online statt.

Nach einem kurzen Grußwort durch den wissenschaftlichen Leiter der Veranstaltungsreihe, Christof Hamann, übernimmt Lektor Alexander Roesler mit einer Einführung in Hanikas Œuvre. Er lernte die Berliner Autorin als Sachbuch-Lektor für Suhrkamp kennen, wo er 2006 ihr Buch „Die Wette auf das Unbewusste oder Was Sie schon immer über Psychoanalyse wissen wollten“ lektorierte. Entsprechend blickt er aus der Perspektive des Sachbuch-Lektors auf Hanikas Werk und nennt die Psychoanalyse, die Musik und die Stadt als drei zentrale „Sachgehalts-Aspekte“, die einerseits dessen inhaltliche Vielfalt widerspiegeln und gleichzeitig transmediale Überschreitungen – beispielsweise von Literatur zu Musik – ankündigen.

© TransLit Bildschirm statt Bühne: Die fünfte Ausgabe der TransLit fand erstmalig als digitales Format statt.

Roeslers persönlicher Einblick in Hanikas Wirken macht schnell deutlich, dass die Autorin sich nicht auf ein bestimmtes literarisches Genre festlegen lässt. So sei zum Beispiel das mit ihrer Psychotherapeutin Edith Seifert gemeinsam verfasste Buch „Die Wette auf das Unbewußte“ eine Besonderheit in der literarischen Landschaft. Aber auch die Präzision, mit der Hanika Städte beschreibt, Musik als wiederkehrendes Element und ihre journalistischen Publikationen verweisen auf die inhaltliche Vielfalt ihres Œuvres. Trotz der sehr nüchternen und wenig abwechslungsreichen Präsentationsform über Zoom ist man als Zuschauende:r gespannt darauf zu erfahren, wer Iris Hanika nun ist und wie sie sich präsentieren wird. Zum Ende seiner kurzweiligen Einführung leitet Alexander Roesler zu Hanikas Vortrag über, mit dessen Beginn auch visuell der Fokus voll und ganz auf die Autorin gelenkt wird. Die anderen Gesprächsteilnehmer verschwinden in den Tiefen des Zoom-Kosmos und nur noch eine große Kachel ist zentral auf den Bildschirmen zu sehen: Autorin mit Brille vor orangenem Hintergrund, den Blick nach einem kurzen Lächeln auf die Blättersammlung vor sich gesenkt.

In ihrem Vortrag geht es vor allem um ihren Zugang zum Schreiben und um das, was ihre literarische Ästhetik prägt: die Form. In ihrer Welt seien Texte noch nicht einmal dazu geeignet laut vorgelesen zu werden, was die Frage aufwirft, inwiefern Hanika mit dieser Haltung in eine Poetikdozentur mit dem Schwerpunkt „Literatur im medialen Wandel“ passt. Doch im weiteren Verlauf wird deutlich, weshalb die Autorin bei der TransLit richtig ist. So ist sie beispielsweise der Ansicht, dass zwischen Musik und Literatur eine enge Verbindung besteht: „Musik ist eine Grundvoraussetzung der Literatur. Wer mit Sprache arbeitet muss musikalisch sein, muss ein Ohr für Melodien und ein gutes Gefühl für Rhythmus haben. Ohne Musik geht beim Schreiben gar nichts.“1Iris Hanikas TransLit Poetikvortrag bei Youtube Hanika offenbart sich in ihrem Vortrag als Virtuosin der Wörter, denn wie die Töne eines Musikstücks setzt sie die Buchstaben zu einer Harmonie zusammen, deren Form sie sorgfältig auswählt. Wie sie im Vortrag immer wieder betont, stellt diese das Hauptaugenmerk ihres Schaffens dar. Schon seit ihrer Kindheit erzeuge bei ihr die Form – im Gegensatz zum Inhalt – starke Emotionen. Die Autorin habe sich schon früh für die Eigenheiten einer Sprache interessiert und weniger für die Geschichten, die mit dieser erzählt werden können: „Über Geschichten kann ich nicht weinen, über Sätze schon.“ Iris Hanika geht so weit, dass sie sich eine reine Form ohne Inhalt wünscht. Denn das, woran sie sich bei der Lektüre von Büchern erinnere, sei nicht was geschrieben wurde, sondern wie es geschrieben wurde.

Und während ihr Vortrag, den sie als „Plauderei mit Fußnoten“ bezeichnet, weiter voranschreitet, tut sich zunächst unmerklich, dann aber immer deutlicher zwischen Form und Inhalt der Veranstaltung selbst ein unüberbrückbarer Widerspruch auf. Die Unsinnlichkeit der Zoom-Kachel stellt einen harten Kontrast zu der von Hanika als „wilde Bücher“ beschriebenen Vision der eigenen Poetik dar. Als Zuschauende:r fragt man sich vor dem Laptop, wie ihre Form denn nun aussieht, wie sie die Wörter und Sätze, die Zitate und Einschübe auf dem Blatt angeordnet hat. Und zwar nicht nur als Imagination vor dem inneren Auge, sondern bildlich, eingebettet in den Livestream im eigenen Wohnzimmer. Doch dies bleibt leider aus.

Trotzdem macht Hanikas bodenständige und gleichzeitig bestimmte Art den Vortrag hörenswert und lässt den Wunsch nach Abwechslung schnell verblassen. „Wonach ich immer strebe, was ich mir wünsche, ist ein wildes Buch. Eines, bei dem alle Textformen nebeneinanderstehen.“2Ebd. Was von dem Abend hängenbleibt ist ein klares Bild ihrer Poetik, das neugierig auf ihre Bücher macht. Durch den Wunsch nach Vielfalt in der Form gelingt es Hanika auch inhaltlich mittels etlicher Verweise, Zitate und Referenzen ihren Vortrag „wild“ zu gestalten. „Daß es [...] keine Form ohne Inhalt gibt, war mir schon länger klar, das habe ich von Anfang an sehr bedauert, weil es mich von Anfang an behindert hat.“3Ebd. Als Zuschauende:r bekommt man von Hanikas Dilemma nichts mit, denn ihr Vortrag ist kurzweilig, spannend und lässt einen für kurze Momente vergessen, dass die Autorin nicht physisch im selben Raum sitzt, sondern nur aus den etwas blechern klingenden Laptopboxen spricht. Hanikas Vortrag zeigt, dass sie ein Verständnis für Künste über die Literatur hinaus besitzt und ein Gefühl für Melodien und Rhythmen hat: Die Melodien und Rhythmen der Wörter und der Sprache.

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Hier könnt ihr die Auftaktveranstaltung der TransLit 2021 online bei Youtube nachschauen
Hier findet ihr weitere Infos zur TransLit auf der Website der Uni Köln